Urumqi. Im Westen Chinas ist ein uralter Konflikt eskaliert: Über 140 Menschen starben, 800 wurden bei den Krawallen verletzt. Die Uiguren fühlen sich seit Jahrzehnten unterdrückt und wirtschaftlich an den Rand gedrängt. Die Zentralregierung bekommt ihr Minderheitenproblem nicht in den Griff.
Nach den schweren Unruhen in Tibet sind jetzt auch in Chinas fernem Nordwesten Spannungen zwischen den Nationalitäten explodiert. Über 140 Menschen starben, mehr als 800 wurden verletzt, als mehrere Protestzüge in Urumqi, der Hauptstadt der Grenzregion Xinjiang, in der Nacht zum Montag in blutige Krawalle mündeten. Die Polizei setzte Truppen und Panzerwagen ein. Gebäude gingen in Flammen auf, Autos wurden umgestürzt. Hunderte Menschen wurden festgenommen, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtet.
Brennende Häuser, wütender Konflikt
Chinesische Bewohner Urumqis berichteten, sie seien von Uiguren auf offener Straße bedroht und angegriffen worden. „Ich sah Uiguren mit großen Messern auf Leute einstechen”, berichteten Bewohner im Internet. In Chinas Internet erschienenen Videofilme und Fotos von wütenden Menschenmengen, brennenden Häusern und schwerverletzten Opfern. Später wurden viele Webseiten gesperrt, auch die Telefonleitungen nach Urumqi waren teilweise unterbrochen.
Damit zeigt sich, dass Peking in Xinjiang, 3000 Kilometer im Westen, seine Probleme mit nationalen Minderheiten nicht in den Griff bekommt. Die Proteste vom Sonntag waren eine Reaktion auf blutige Zusammenstöße zwischen Han-Chinesen und uigurischen Arbeitern in einer Spielzeugfabrik tausende Kilometer weiter im Süden, in der Provinz Guangdong.
Uiguren fühlen sich bevormundet
Dort hatten Han-Chinesen uigurische Arbeiter angegriffen und zwei von ihnen getötet, nachdem es geheißen hatte, Uiguren hätten eine Han-Chinesische Arbeiterin vergewaltigt. Die Behörden erklärten später, dieser Vorwurf sei aus der Luft gegriffen gewesen. Sie nahmen einen Mann fest, der das Gerücht angeblich in die Welt gesetzt hatte.
Die Ursache der Spannungen zwischen Han-Chinesen und den muslimischen Uiguren, einem Turkvolk, liegen tiefer. Viele Uiguren fühlen sich von den Han-Chinesen bevormundet, unterdrückt und wirtschaftlich an den Rand gedrängt. Hinzu kommen große kulturelle Unterschiede, die über die Religion hinausgehen. Die Han-Chinesen stellen rund 92 Prozent der Bevölkerung in der Volksrepublik. In Xinjiang sind die Uiguren traditionell in der Mehrheit, in der Hauptstadt allerdings sind inzwischen große Teile von Han-Chinesischen Zuwanderern bewohnt.
Koran-Unterricht in den Schulen ist untersagt
Die Pekinger Regierung bezichtigte Exil-Uiguren, die für einen unabhängigen Staat Ostturkistan kämpfen, hinter den Unruhen vom Sonntag zu stecken. Die Demonstrationen seien „aus dem Ausland angestachelt und gelenkt” worden. Drahtzieher sei vor allem die in den USA lebende uigurische Aktivistin Rebiya Kadeer. Sie ist Präsidentin des Weltkongresses der Uiguren. Als Geschäftsfrau lebte sie in Urumqi, bevor sie ins Gefängnis geworfen wurde und schließlich in die USA ausreisen durfte. Uigurische Exil-organisationen wiesen die Vorwürfe zurück.
Die Argumentation der Pekinger Behörden erinnert an die Reaktion nach den Unruhen in Tibet und angrenzenden Regionen im März 2008. Damals warf die Regierung Exil-Tibetern, vor allem der „Dalai-Lama-Clique” vor, die Proteste angestachelt zu haben, um der Volksrepublik zu schaden und sie zu spalten. Viele Uiguren klagen, die Kontrollen in den Moscheen seien zu scharf. Die Regierung verbietet unter anderem unter 18-jährigen Jugendlichen, in einer Moschee zu beten. Koran-Unterricht in den Schulen ist auch untersagt. Als Reaktion war in Xinjiang in den letzten Jahren eine deutliche Hinwendung zu einem konservativen Islam zu beobachten. Die Zahl der verschleierten Frauen in vielen Orten nahm zu. Die Regierung erklärt, dass sich in Xinjiang terroristische Vereinigungen gebildet haben, die für eine Loslösung Xinjiangs von China kämpfen. Anfang des Jahres wurden zwei vermeintliche Terroristen öffentlich hingerichtet.