Berlin. Nach dem Wahl-Debakel räumt die SPD eine gewisse Ratlosigkeit ein. Irgendwas sei schief gegangen in den vergangenen Tagen, kommentierte SPD-Chef Franz Müntefering das Ergebnis. Die SPD werde trotzdem in der Krise weiter auf staatliche Hilfen für die Wirtschaft setzen.
«Kurs halten» rufen die Sozialdemokraten und wirken doch am Tag nach dem Debakel wie schockgefroren. Aber auch die Union weiß nicht so recht, was ihr zum gefühlten Sieg verholfen hat. Die Volksparteien erleben den Ausgang der Europawahl eher ratlos.
Die SPD ist durch ihr Fiasko bei der Europawahl gewissermaßen zum Gefangenen ihrer perfekten Organisation geworden. Das Drehbuch für den Bundestagswahlkampf legten die Genossen schon vor Monaten fest und dabei war fest eingeplant, dass am 7. Juni der schwarze Balken nach unten und der rote nach oben zeigt. Nun, da es anders gekommen ist, können die Sozialdemokraten nur «Weiter so» sagen.
Steinmeier wirkt genervt
Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sollte den Triumph in der Sendung von ARD-Moderatorin Anne Will auskosten. Stattdessen wirkte er am Sonntagabend genervt und ziemlich angefressen. Am Montag sollte Steinmeier dann die frohe Kunde in seinen Brandenburger Wahlkreis tragen. Daher musste der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering die Pleite im Berliner Willy-Brandt-Haus vor Journalisten alleine vertreten und ihm blieb gar nichts anderes übrig, als - frei nach Martin Luther - zu rufen: «Hier stehe ich, ich kann nicht anders».
Immer wenn es eng wird, erinnern sich die Sozialdemokraten an Willy Brandt. Diesmal an dessen lange umstrittene Ostpolitik: Vom einstigen Kanzler und SPD-Chef hätten die Genossen gelernt, «dass man nicht nachgeben darf, wenn ein Thema noch nicht populär ist», machte Müntefering seiner Partei Mut. Die SPD werde in der Wirtschaftskrise weiter auf staatliche Hilfen für die Wirtschaft setzen, um wie beim angeschlagenen Automobilbauer Opel Arbeitsplätze in der Industrieproduktion zu erhalten.
Und doch räumte Müntefering eine gewisse Ratlosigkeit ein. Den Boden wollte er für seine Partei «festtrampeln, eine Leiter hinstellen, hochklettern», nun ist eine Sprosse gebrochen und warum, dafür hat er noch keine wirkliche Erklärung. Irgendwas sei schief gegangen in den vergangenen Tagen. Eine Vorentscheidung für das Bundestagswahl sei das aber noch nicht.
Kanzlerin Merkel kündigt "demütigen Wahlkampf" an
Für die Union bedeutet das Ergebnis von 37,9 Prozent einen Verlust von mehr als sechs Prozentpunkten gegenüber der letzten Europawahl. Aber angesichts der schweren Wahlschlappe der SPD wiegen die eigenen Stimmeinbußen nicht so schwer, einen «Rückenwind» für den Herbst verspürt man in der Parteiführung, auch wenn die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel einen «demütigen Wahlkampf» ankündigt.
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla bemühte am Wahlabend das Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl als positiven Vergleich und machte für die kommenden Aufgaben Mut: Es fehlten nur noch zwei Prozentpunkte bis zur magischen Zahl 40. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der Sieg ist nur ein relativer, für einen deutlichen Triumph im Herbst müsste die CDU von der Schwäche der SPD mehr profitieren als diesmal. Auch weiß die Union nicht so recht, welchem Kurs sie ihren gefühlten Sieg nun verdankt. War es nun die Opel-Rettung durch Merkel oder die skeptische Haltung ihres Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).
Stabilisiert hat sich jedenfalls die CSU in Bayern. Allen persönlichen Ränkespielen zum Trotz hat sich die Partei unter ihrem Vorsitzenden Horst Seehofer zusammengerissen und verbissen Wahlkampf geführt. Ein heiserer CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer hatte am Freitag fast trotzig verkündet, die CSU «kämpfe und ackere». Dies komme - im Gegensatz zur desaströsen Landtagswahl - bei den Wählern an. Er sollte recht behalten: Die CSU überschritt klar die bundesweite Fünf-Prozent-Hürde, trug zum Unions-Sieg bei und Seehofer versicherte gleich eilfertig, man werde in Berlin nun keine «Streitereien vom Zaun brechen". Die CDU wird dem keinen rechten Glauben schenken.
Bleibt auch die Frage, wie sich das Verhältnis zwischen Seehofer und seinem beliebten Wirtschaftsminister Guttenberg weiter entwickelt. Wird Guttenberg zum einsamen Rufer nach einer klaren wirtschaftspolitischen Linie, oder kann er sich auch dann der Unterstützung seiner Parteiführung sicher sein, wenn die angeschlagenen Unternehmen in Bayern beheimatet sind?
In den letzten Monaten der großen Koalition jedenfalls wird die Union mit breiter Brust auftreten, die selbstbewusste Forderung nach einem deutschen EU-Kommissar aus dem konservativen Lager zeigt dies bereits, die SPD reagiert genervt. Die Koalition muss nun aufpassen, dass das gemeinsame Regieren in Wahlkampf- und Krisenzeiten nicht zur Farce wird. (ddp)