Berlin. .


Bundesinnenminister Thomas de Maizière beobachtet den Start von Google Street View in Deutschland mit Skepsis. Im Interview spricht der CDU-Politiker zudem über die Lehren aus der Loveparade, Risiken des Internets und seine Handy-Probleme.

Er wirkt entspannt, als er seinen Besuch zum Gespräch in die Bibliothek neben seinem Arbeitszimmer hoch oben in seinem Amtssitz am Spreebogen führt. Thomas de Maizière hat seinen Urlaub gerade erst hinter sich und Kraft getankt für die vielen Baustellen in der schwarz-gelben Regierungskoalition. Ein Gespräch mit dem Bundesinnenminister.

Frage: Blackberrys und andere Internet-fähige Handys sind ins Gerede gekommen. Sie sollen unsicher sein. Womit simst eigentlich der Bundesinnenminister?

Thomas de Maizière: Ich habe privat ein Smartphone eines großen deutschen Herstellers. Ich simse damit und kann nicht ausschließen, dass es abgehört wird. Wenn ich geheimhaltungsbedürftige Dinge kommunizieren muss, benutze ich dienstlich ein verschlüsseltes Krypto-Handy.

Hoppla, wer hört denn einen Bundesminister ab?

Meine Vermutungen möchte ich für mich behalten.

Thomas de Maizière. (Fotos: Thomas Köhler)
Thomas de Maizière. (Fotos: Thomas Köhler)

Sie sagen, der schwarz-gelben Koalition ginge es bedeutend besser, wenn alle öfter gut über sich und die anderen reden würden. Bitte sehr! Was fällt Ihnen Gutes zu Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ein?

Die Kollegin ist eine geschätzte Juristin und erfahrene Ministerin. Sie steht loyal zur Koalition. Wir sind manchmal unterschiedlicher Auffassung. Aber das tragen wir stilvoll und fair miteinander aus.

Auch bei der heiß diskutierten Sicherungsverwahrung für Schwerstkriminelle?

Ja. Es geht hier um einen schwierigen Abwägungsprozess: Niemand darf prinzipiell in Haft genommen werden, wenn er seine Haft verbüßt hat. Aber die Bevölkerung hat genauso einen Anspruch darauf, vor gefährlichen, rückfallgefährdeten Tätern geschützt zu werden.

Unvorbereitete Freilassung löst Besorgnis aus

Ist die öffentliche Sicherheit in Deutschland bedroht, weil ein Dutzend Straftäter auf freien Fuß kommt. Verstehen Sie die Hysterie?

Es gibt einen Unterschied zwischen der objektiven Sicherheitslage, die meist besser ist, und dem subjektiven Sicherheitsgefühl. Eine gehäufte und, was noch wichtiger ist, eine unvorbereitete Freilassung von Extrem-Straftätern, löst Besorgnis aus. Das kann ich gut nachvollziehen.

Hat sich die Union deshalb dem Opferschutz verschrieben, während die FDP-Justizministerin - so der in manchen Medien erzeugte Eindruck - den Täterschutz höher gewichtet?

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Von DerWesten

Ich habe mit meinen Wortbeiträgen nichts zu diesem Eindruck beigetragen. Er ist auch falsch. Das Thema eignet sich nicht zur parteipolitischen Profilierung oder zum Wettkampf der Koalitionäre. Niemand sollte der jeweils anderen Seite den guten Willen absprechen.

Sie selbst haben eine neuartige Verwahranstalt - nicht Gefängnis, nicht Psychiatrie - als Lösung vorgeschlagen, um entlassene Straftäter aufzunehmen. Wie schnell kann man das einrichten?

Ich bin in der Tat für eine schnelle politische Einigung. Sie sollte bis zum Ende der Sommerpause erzielt werden, damit dann schnell das nötige Gesetz beraten werden kann.

Aber das Justizministerium hält Ihren Vorschlag gelinde gesagt für nicht machbar und unsinnig.

Es geht um Unterbringung, nicht ums Verwahren. Das ist kein großer Aufwand. Solche Einrichtungen könnten auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalten geschaffen werden, in abgetrennten Räumlichkeiten. Sie sind notwendig, weil wir mit der elektronischen Fußfessel allein die Konsequenz des Straßburger Urteils, die Aufhebung der bisherigen nachträglichen Sicherungsverwahrung, nicht in den Griff kriegen. Die Fußfessel ersetzt niemals den Schutz der Bevölkerung durch Unterbringung von gefährlichen Straftätern.

Innenminister beklagt fehlende „Willkommens-Kultur“

Schwarz-Gelb liegt auch in der Zuwanderungsfrage im Clinch. Die FDP behauptet, der Staat müsse die Zugangshürden für ausländische Arbeitskräfte senken und Lockprämien zahlen. Sie sagen, die Wirtschaft tue zu wenig, und raten dazu, erst das Arbeitskräftepotenzial im Land auszuschöpfen. Muss man nicht beides tun?

Völlig richtig. Ich bin auch für Zuwanderung. Aber das geltende Recht bietet dazu schon heute sehr viele Chancen. Die kann die Wirtschaft nutzen. Vorrangig muss man sich um die kümmern, die in Deutschland sind und keine Arbeit haben. Ich kann überhaupt nicht einsehen, warum der Staat ein Begrüßungsgeld zahlen soll. Wenn die Wirtschaft jemandem, der zu uns kommt, das bezahlen will - okay. Und davon abgesehen: Ab Mai 2011 ergibt sich durch den Wegfall fast aller EU-Freizügigkeitsbeschränkungen für die meisten osteuropäischen Staaten ein gewaltiges Potenzial, das gerne ausgeschöpft werden kann.

Sie beklagen eine fehlende „Willkommens-Kultur“ in Deutschland. Was meinen Sie damit?

Die zu uns kommen, müssen das Gefühl haben, dass sie nicht bloß als Arbeitskräfte gewollt sind, sondern als Menschen. Deshalb stört mich immer die Formulierung „Fachkraft gesucht“. Das hört sich so an, als kaufe man eine neue Maschine. Wir sollten uns über gut ausgebildete Menschen freuen, die bei uns leben wollen.

Erstaunen über „Sinneswandel“ der NRW-SPD

Das Bundesverwaltungsgericht hält die Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz weiter für geboten, SPD und Grüne nicht. In NRW ist die Linke jetzt sozusagen Garant für eine Landesregierung. Ärgert Sie das?

Zum einen begrüße ich das Urteil. Der Staat hat gewonnen. Die Linke wird ja insbesondere deswegen beobachtet, weil zu ihr Untergliederungen gehören, von denen wir überzeugt sind, dass sie ein Problem mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung haben. Zum anderen bin ich schwer enttäuscht darüber, dass die Sozialdemokratie in NRW, die immer als Hort der Seriosität galt, sich jetzt die Regierungsmöglichkeit der rot-grünen Minderheitsregierung von der Linken absichern lässt. Vor der Wahl hat die SPD die Linken gerade in NRW als besonders problematisch gekennzeichnet. Umso erstaunter bin ich über den Sinneswandel.

Verhaltene Skepsis gegenüber Google

Im Herbst will die Bundesregierung eine Gesamtstrategie für mehr Datenschutz im Internet vorlegen. Welche Rolle darf der Staat im Netz spielen?

Das Wichtigste ist: Der Rechtsstaat muss sich auch im Internet bewähren. Weder ist das Internet ein rechtsfreier Raum, noch ein Hort der Kriminalität. Die Besonderheit des Mediums, seine Internationalität, der Hang zur Anonymität und die merkwürdige Mischung von Flüchtigkeit und Ewigkeit, zwingt uns aber zu neuen Antworten auf die Frage: Was bedeutet Privatsphäre im Internet?

Wie bewerten Sie die Ankündigung von Google, noch in diesem Jahr das umstrittene „Street View“-Projekt zu beginnen?

Ich kenne noch keine Details. Aber ich begrüße das Widerspruchsrecht, dass Google einräumt. Wir müssen sehr sorgfältig darauf achten, wann Quantität in Qualität umschlägt und aus etwas Normalem, dem Blick auf eine Häuserfassade mit Klingelschildern und Briefkästen, ein weltweit möglicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen werden kann.

Der Verfassungsschutz hat eine Aussteiger-Telefon-Hotline für Islamisten eingerichtet. Hat es schon geklingelt?

Über Zahlen nach ein paar Wochen zu reden, ist noch viel zu früh. Aber selbst, wenn es am Ende nur zwei oder drei sind, die sich radikalisiert hatten und die wir zur Umkehr bewegen können, hätte sich die Sache schon gelohnt.

Die rechtsextremen Parteien NPD und DVU wollen gemeinsame Sache machen. Muss man sich vor einer Fusion der Ewiggestrigen fürchten?

Ein stolzer Demokrat muss sich vor Rechtsextremisten nie fürchten. Die NPD ist finanziell fast am Ende und in sich zerstritten. Die DVU steht vor der Auflösung. Gefährlicher sind gewaltbereite Nationalisten. Und mir macht Sorgen, dass mancherorts rechtsextremes Gedankengut schleichend in die Mittelschichten einsickert - als Ablehnung von Modernität oder durch Fremdenfurcht. Beides verdient mehr Aufmerksamkeit als die Zukunft von NPD und DVU.

“Kein Stillstand“ bei innerer Sicherheit

Die „Gewerkschaft der Polizei“ moniert Stillstand in der Politik der inneren Sicherheit. Der Vorwurf zielt auf Sie.

Woran bemisst man Stillstand? Man kann nicht sagen: Je mehr Gesetze, desto besser für die öffentliche Sicherheit. Das wäre eine Schein-Sicherheit. Echte Sicherheit macht sich vor allem an einer guten Polizeiarbeit und einer schnellen Justiz fest. Und da sehe ich überhaupt keinen Stillstand. Tausende Polizisten machen hervorragende Arbeit. Gewiss, es gibt in der Koalition manchmal verschiedene Standpunkte ...

... etwa bei der Vorratsdatenspeicherung, die Karlsruhe gekippt hat. Ermittler sprechen von einer unverantwortlichen Sicherheitslücke. Wann kommt die Reform, die vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat?

Ich hoffe - bald. Ich halte eine verfassungsgemäße Vorratsdatenspeicherung für zwingend notwendig, um schwerste Straftaten aufklären zu können.

Lehren aus der Loveparade-Katastrophe

Mit etwas Abstand: Welche Lehren muss man aus der Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg ziehen?

Erstens: Die Länder mit ihren Fachbehörden, die hier zuständig sind, sollten sich zur Gefahrenabwehr früher in den Vorbereitungsprozess einschalten dürfen. Zweitens: Große Veranstaltungen, das zeigen die Ereignisse, müssen immer wieder geübt werden. Drittens: Bei solchen tragischen Ereignissen mit Toten muss es eine unnachsichtige Aufklärung geben. Aber es hilft weder Opfern noch Angehörigen, wenn es in dieser Weise gegenseitige öffentliche Schuldzuweisungen gibt. Losgelöst vom konkreten Fall: Schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass nicht das Versagen eines Einzelnen, sondern das verhängnisvolle Zusammenwirken mehrerer Fehlerquellen als Ursache in Frage kommt. Darum rate ich allen zu mehr Selbstkritik und weniger Rechthaberei. In der Bibel heißt es: Such lieber den Balken im eigenen Auge, als den Splitter im Auge des anderen.

In der Union vermissen immer mehr das konservative Profil. Sie auch?

Das kommt mir doch alles sehr künstlich vor. Man kann eine Profil-Debatte nicht verordnen. Das Profil von Menschen und Parteien zeigt sich im Handeln und nicht im Beschwören. Mit dem Satz: Ich will konservativer werden, tut niemand der Union etwas Gutes. Eine Volkspartei macht aus, dass sie das, was die Gesellschaft zusammenhält, bewahrt und neue Fragen zielstrebig und wertebewusst beantwortet. Wenn wir uns weiter am Gemeinwohl orientieren, erfüllen wir ein konservatives Profil.