Düsseldorf/Köln. Im Streit um die Kommunalwahl in NRW will der Verein „Mehr Demokratie“ mit dem Vorschlag für ein neues Stimmverfahren schlichten. Die „Zustimmungswahl“ mache eine Stichwahl für Bürgermeisterkandidaten überflüssig und gebe zudem die nötige „demokratische Legitimation“.
Ban Ki Moon steht Pate: Wenn es nach dem Vorschlag des Vereins „Mehr Demokratie“ in Köln geht, dann wäre künftig jeder Bürgermeister in NRW eine Art UN-Generalsekrektär. Stadtoberhäupter sollten künftig nach dem Vorbild des Chefs der UN-Vollversammlung gewählt werden, schlägt der Verein vor, der sich die Stärkung der direkten Demokratie zum Ziel setzt und unter den Landtagsparteien jetzt erneut einen Vorstoß für ein „demokratischeres“ Wahlrecht wagt.
So viele Stimmen wie Bewerber
Bei der „Zustimmungswahl“ hat man so viele Stimmen wie es vor Ort Bürgermeister-Bewerber gibt: „Man kann alle Kandidaten ankreuzen, die man gut findet“, statt wie bisher nur einen, erklärt Thorsten Sterk, Sprecher von „Mehr Demokratie“ NRW. Chef im Rathaus wird, wer zusammengerechnet die meisten Stimmen hat – „das gibt dem Gewinner dann auch die nötige demokratische Legitimation“, und zwar in einem einzigen Wahlgang, sagt Sterk.
Mit alternativen Stimmverfahren mögen sich die Landtagsparteien derzeit jedoch nicht befassen. Zumal Grüne und SPD gerade vor dem NRW-Verfassungsgerichtshof dafür streiten, dass die Bürgermeister-Stichwahl wieder eingeführt wird, die die schwarz-gelbe Landesregierung mit ihrer Wahlrechtsreform im Oktober 2007 abgeschafft hat. „Eine Stichwahl ist durch ein anderes Stimmverfahren nicht zu ersetzen“, meint etwa Horst Becker, kommunalpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Wer als Bürgermeister für – künftig flächendeckend - sechs Jahre einer Gemeinde vorstehe, „braucht eine klare Entscheidung“. Eine Zustimmungswahl wäre für Becker dabei „nur eine theoretische Stichwahl“, weil man „im Vorfeld ja nicht weiß, welche beiden Kandidaten tatsächlich an der Spitze liegen.“
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Beckers CDU-Kollege Rainer Lux hält ebenfalls nichts davon, jetzt ein neues Stimmverfahren zu diskutieren: „Das ist im Augenblick den Kommunen nicht zu vermitteln. Erstmal muss sich das neue Wahlrecht etablieren“, meint Lux. Das sorge schließlich in den Städten und Gemeinden abseits der Stichwahl-Frage für zahlreiche Änderungen, von der Einteilung der Wahlbezirke bis zum Berechnungsverfahren für die Sitzverteilung in den Kommunal-Parlamenten.
Überraschungen in der Stichwahl
Für ein anderes Stimmverfahren bei der Bürgermeisterwahl plädiert unterdessen auch Martin Fehndrich, Initiator der privaten Internet-Plattform wahlrecht.de. Auch er kritisiert die Abschaffung der Stichwahl und erinnert an die Kommunalwahl 2004. Damals sorgte der zweite Wahlgang für einige Überraschungen: „In 23 Fällen verlor der CDU-Kandidat seine Mehrheit, zweimal wurde ein CDU-Kandidat doch noch Bürgermeister“ 16-mal gelang es SPD-Kandidaten ihre Kontrahenten doch noch zu überholen, vier verloren, von Position eins aus gestartet, die Wahl. Und „in neun Gemeinden gewannen anfangs zurückliegende unabhängige Kandidaten die Stichwahl“, einer schaffte es schließlich nicht auf den Chefsitz.
Dass sich das bei der kommenden Kommunalwahl am 30. August wiederholt, glaubt Fehndrich nicht: „Anderes Wahlsystem, andere Stimmabgabe“, bringt er seine Erklärung auf eine kurze Formel. So dürften bei der Bürgermeisterwahl „viele Wähler ihr Wahlverhalten ändern, wenn es nur noch einen Durchgang gibt“. Zumal auch die Kandidatenauswahl sinkt, wenn Parteien örtliche Bündnisse schmieden. Die, findet Fehndrich, „haben auf kommunaler Ebene am wenigsten zu suchen“.
Er plädiert daher ebenfalls für ein anderes Wahlsystem und weist auf die „Präferenzwahl“ hin, wie sie zum Beispiel in Australien, Irland oder Schottland zu finden ist. Dabei kreuzten die Wähler ihre Kandidaten in einer Art Rangliste (Präferenz) an. Nach einem komplexen Auszählungsverfahren gewinnt am Ende, wer das Maximum an Zuspruch unter allen Präferenzen erhalten hat - was rechnerisch auf eine absolute Mehrheit hinausläuft und eine breite Basis an Zustimmung. In einem einzigen Wahlgang.
Das Verfahren klingt schwierig, soll aber einen entscheidenden Mangel der reinen Mehrheitswahl beheben: Die reine Mehrheit der Stimmen für einen gewählten Kandidaten, etwa bei der bisherigen Bürgermeisterwahl in NRW, entspricht häufig nicht der tatsächlichen Mehrheit von allen abgegebenen Stimmen. Dieses Manko hat die schwarz-gelbe Landesregierung mit dem Abschaffen der Bürgermeister-Stichwahl allerdings noch verstärkt: Sollten die NRW-Verfassungsrichter in Münster diese Praxis für rechtmäßig erklären, reicht künftig die „relative Mehrheit“ der abgegebenen Stimmen, um ein kommunales Spitzenamt zu erreichen. Heißt: Wer am meisten Stimmen hat, gewinnt, egal ob es 60 oder nur 30 Prozent sind.
Von demokratischer Legitimation mag man bei „Mehr Demokratie“ da nicht sprechen, wo man hofft, „dass NRW beim Wahlrecht auch mal Vorreiter wird“, wie Sprecher Thorsten Sterk erklärt. Denn die „Zustimmungswahl“ ist bundesweit noch Neuland. Doch viel Glück mit den Anregungen hatte man bei „Mehr Demokratie“ in Sachen Wahlrecht bis dato nicht: Das Volksbegehren für das „Kumulieren und Panaschieren“ hatte der Landtag NRW im vergangenen September abgewiesen. Die schwarz-gelbe Koalitionsmehrheit mochte ein individuelles Stimmen häufeln und verteilen quer über die von den Parteien aufgestellten Ratswahl-Listen den NRW-Wählern nicht zumuten. Obwohl es im Koalitionsvertrag als Ziel zu lesen ist.