Berlin. Das erste RTL-"Townhall-Meeting" wurde für die Bundeskanzlerin zu einem harmlosen Spaziergang durch den Themenwald. Bohrende Nachfragen? Fehlanzeige ... Zudem stellte Merkel unter Beweis, dass sie eine politische Königsdisiplin sehr gut beherrscht: Im Notfall nichtssagend zu bleiben.
Der politische Hauptstadtjournalist bringt den Politiker gern ins Schwitzen. Er beißt gerne, möchte entlarven. Meist wird der Politiker dann schnell unfroh und glitschig wie ein Aal. Er windet sich mit Hilfe ungefährer Rhetorik aus jedwedem Angriff heraus. Angela Merkel, Regierungschefin und CDU-Vorsitzende, beherrscht auch diese Disziplin inzwischend mehr als ordentlich. Gestern Abend im Berliner RTL-Studio an der Spree hatte sie das aber gar nicht nötig. Das erste "Townhall-Meeting" nach amerikanischem Menschen-fragen-Politiker-antworten-Vorbild, in dem 100 Bürger der Kanzlerin auf den Zahn fühlen konnten, wurde für Angela Merkel ein ausnahmslos harmloser, lockerer Spaziergang durch den Themenwald dieser Tage. Opel, Manager-Gehältern, Bad Bank, Integration und Gesundheitskosten. Abwrackprämie, Hartz IV, Forschung, Schulprobleme und Mittelstand - kein Baum fehlte. Und Merkel kannte sie alle gut.
75 Minuten lang keine böse, keine giftige, keine wirklich delikate Frage - der Souverän geht manchmal überaus sanft mit seinen ersten Vertretern um. Schon beizeiten geriet die Sendung zu einer Art Arztplaudersprechstunde, in der Frau Dr. Merkel mal lauwarme Wickeln verschrieb, mal nur den Puls fühlte, stets fachlich um die beklagten Krankheiten wusste, ohne in jedem Fall Heilung versprechen zu können. Oder zu wollen. Oder beides. Was ja auch nicht weiter schlimm war, weil der handverlesene "Patient" zu keiner Zeit die angebotenen Therapievorschläge von sich wies. Selbst jener nicht, Dennis Schubert (21), arbeitslos, dem die Kanzlerin eine Kurz-Berufsberatung angedeihen ließ, die sich gewaschen hatte. Sinngemäßes Stenogramm: Haben Sie einen Beruf? Schubert: Nein! Na, dann wär's doch jetzt dann mal an der Zeit einen zu ergreifen! Schubert: Mmmhh, okay! Auf was hätten'sen Lust? Schubert: Garten-und Landschaftsbau! Merkel (Mundwinkel zeigen nach unten): Wie wär's denn mit Pflege. Wir brauchen da junge Männer. Sie sollten mal ihr Spektrum verbreitern. Nächstes Thema.
Die sitzende Kanzlerin stellt sich den Fragen?
Schon weil die Kanzlerin die ganze Zeit über saß, hielt sich der "Ich stelle mich"-Charakter in Grenzen, wie er amerikanische "Townhall"-Runden auszeichnet, in denen vom Bürgermeisterkandidaten bis zum Präsidenten Politiker immerzu in Bewegung sind und geradezu physisch auf ihr Wahlvolk zugehen. Die Gastgeber des Abends, RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel und Spiegel-TV-Moderatorin Maria Gresz, verlegten sich darauf, die Fragestunde im Sinne Merkels höflich zu moderieren, höchstens hier und da ein bisschen steuernd einzugreifen. Die vorher in 15 Themenblöcke eingeteilten Zuschauerfragen, die zum Teil durch Einspielfilme illustriert wurden, ließen indes keine Spannung aufkommen. Der redaktionelle Filter machte das Geschehen im Studio vorhersehbar, sicherte bis auf wenige Momente ein beinahe professionelles Frageniveau ohne Nachfragen. Die gewiefte Politikerin, die in ihrem rosafarbenen Jackett schlagfertig und unaufgeregt mediengerechte Fitness demonstrierte, kam mit ihrem konventionellen Antwort-Portfolio bestens aus. Neue Erkenntnisse? Keine. Halt, dass sie nach eigenen Worten neben einer ordentlichen Kartoffelsuppe auch lobenswerte Rouladen mit Rotkohl zu kochen versteht, das - immerhin - war am Ende doch einigen neu.
Die Kernbotschaft: Ich kann Krise
Schaut her, ich kann Krise! Das war die Kern-Botschaft dieses RTL-Fernsehabends mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. In der 75-minütigen Sendung, die RTL ab 21.45 Uhr ausstrahlte, graste die Regierungschefin - auf Wunsch der geladenen Bürger - nahezu sämtliche tagesaktuellen Themenwiesen ab und sagte unter anderem
...zum WAFFENRECHT: dass sie nichts davon hält, alle Waffen in Deutschland zentral an einer Stelle zu lagern, etwa bei einem Schützenverein. Warum? Weil dies aus Sicht aller Experten wesentlich risikoreicher sei, als die Waffen im Privathaus aufzubewahren. Gefragt hatte eine Mutter, deren Tochter bei dem Amoklauf von Winnenden ums Leben gekommen war.
...zur GESUNDHEITSREFORM: dass es nicht sein könne, dass die Bundesregierung drei Milliarden Euro mehr ins Gesundheitssystem gegeben habe und trotzdem viele Ärzte und noch mehr Patienten unzufrieden seien. Sie schaue sich das jeden Tag sehr genau an.
...zu OPEL: dass sie an einem Treuhandkonzept für den angeschlagenen Autobauer festhalte und man so in die jetzt beginnende `entscheidende Phase" der Verhandlungen gehe. Dabei gehe es zuvorderst darum, dass Deutschland mit seinen Opel-Standorten seine Interessen wahren müsse.
...zur ABWRACKPRÄMIE: dass es dabei vor allem darum gegangen sei, den hierzulande eingebrochenen Export von Autos abzufangen und so Arbeitsplätze zu sichern und man sich deshalb nicht auf die Förderung einiger wenige besonders klimafreundlicher Modelle habe konzentrieren wollen und können.
...zu FOLGEN DER BANKENKRISE: dass Bürger, die bei der Anlage ihres Geldes, etwa zur Altersvorsorge, miserabel beraten wurden und ihr ganzes Geld, etwa durch Lehmann-Brothers-Papiere, verloren haben, gegen das betreffende Geldinstitut unbedingt klagen sollten. .
..zur KRISE ALLGEMEIN: dass sie auf ein absehbares Auslaufen der Wirtschaftskrise setzt. `Wir haben den Tiefpunkt, glaube ich, bald erreicht", sagte sie wörtlich.
...zu STEUERSENKUNGEN: dass man sie benötigt, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu `Wir brauchen Wachstum, damit wir aus dem Loch der Krise herauskommen." Um dieses Wachstum zu schaffen, gelte es die Leistungsträger zu motivieren. Ihr Motto: Ein Dreiklang aus Haushaltskonsolidierung, Förderung in Bildung und andere Bereiche der Zukunftssicherung sowie Steuerentlastungen. ...zu STEUERERHÖHUNGEN: dass es auf jeden Fall keine weitere Erhöhung der Mehrwertsteuer geben wird.
...zum ISLAMISCHEN RELIGIONS-UNTERRICHT: dass er als Mittel zur Integration wichtig und notwendig sei, aber bisweilen daran scheitere, dass sich die vielen islamischen Verbände in Deutschland nicht einigen könnten.
...zu SATIREN ÜBER IHRE PERSON: dass sie sich bei manchen `bemühe zu lachen" und bei anderen `geradezu ausschütten könne vor Lachen".
...zum ALLTAG IM HAUSE MERKEL: dass sie zu Hause ihre Wäsche selbst zusammenlegt `und die Waschmaschine füllt", dass sie ab und an auch selbst in den Supermarkt gehe, dass sie einen Mann habe, der sie nicht nur `tätschelt und hätschelt", sondern der ihr hin und wieder auch Beiträge zur `gemeinsamen Lebensführung" abverlange.
...zum STUDIO-PUBLIKUM: dass es `toll" war. Na dann ....