Essen. Warum guckt auf dem CDU-Plakat ein Kind aus dem Einkaufswagen und was heißt das groß gedruckte "Wums!" der Grünen. Kommunikationspsychologisch steht uns in diesem Jahr einiges bevor. Erst geht es noch um die Europa-Wahl. Zum Warmlaufen für die Kampagnen der Bundestagswahl.
Die ersten Wahlplakate sind da. Und wie immer geben sie Anlass zum Grübeln. Was wollen uns die rätselhaften Botschaften mitteilen?
Das groß gedruckte „Wums!” auf einem Plakat der Grünen zum Beispiel. Es wird zwar im Kleingedruckten unten aufgelöst (Wirtschaft & Umwelt, Menschlich & Sozial), aber was bedeutet das Bild? Sind das Zahnräder? Und wenn ja, warum?
Warum guckt auf dem CDU-Plakat („Wir in Europa”) ein Kind mit aufgestützten Armen aus einem Einkaufswagen, und was für ein schwarz-rot-goldener Bildschirm ist das neben ihm? Was bedeuten die Puzzlespiel-Plättchen auf dem Plakat der FDP, betitelt mit „Stark vor Ort”? Und was macht der Fön auf dem SPD-Plakat? Welcher Sinn versteckt sich in dem Spruch darüber: „Heiße Luft würde Die Linke wählen”?
Stecken vielleicht raffinierte Strategien der Beeinflussung dahinter, die der Laie nicht so ohne weiteres durchschaut? Kommunikationspsychologisch steht uns in diesem Jahr einiges bevor. Vorerst geht es noch um die Europa-Wahl. Zum Warmlaufen für den ganz großen Werbeauftritt vor der Bundestagswahl.
Beklommen denkt man daran, dass in der Werbepsychologie mittlerweile einige beinahe unheimliche Methoden entwickelt worden sind. Etwa das Neuromarketing, bei dem mittels Kernspintomographie die Hirnaktivität von Probanden beim Anblick von Produkten und Marken gemessen wird. Auch von der unbemerkten Beeinflussung durch unterschwellige (subliminale) Reize ist zu lesen.
Welche Tricks verbergen sich hinter unseren Wahlplakaten?
Erkennbar ist die Anwendung der so genannten „Text-Bild-Interaktion”. Das ist die hohe Kunst der Werbegestaltung. Schon in den 60er-Jahren wurde sie von Designern gern angewendet, da sie Kreativität erfordert. Ein Bildmotiv, das für sich allein unverständlich wäre, wird kombiniert mit einer Headline, die allein ebenfalls unverständlich bliebe. Etwa die Zeile „Alle reden vom Wetter. Wir nicht” zusammen mit dem Foto einer Eisenbahn (für die Bundesbahn) oder auch der Abbildung von Marx, Engels, Lenin (für den SDS).
Erst durch die Kombination ergibt sich der Sinn, und der Betrachter ist überrascht und erfreut. Manchmal ergibt auch die Kombination keinen Sinn. Aber wie wir an den neuen Plakaten feststellen: überrascht ist man trotzdem.
Eine weitere Vermutung drängt sich auf. Wurde mit „inneren Bildern” gearbeitet? Die Imagery-Forschung seit den 70er-Jahren hat gezeigt, dass Bilder dabei helfen, eine Botschaft im Gedächtnis zu verankern. Schafft man durch wiederholte Darbietung eine Assoziation zwischen einem Werbeobjekt und einem gefühlsbesetzten Gegenstand, können sich diese Gefühle unbewusst auf das Werbeobjekt übertragen.
Hier zeigen die verschiedenen Parteien erstaunliche Übereinstimmung. Die Bilder, die sie benutzen, stammen sämtlich aus dem Themenkreis „Abenteuer Haushalt”, mit Kinderaugen betrachtet: im Einkaufswagen fahren, Luft aus dem Fön pusten, puzzeln, schrauben, wums! Beruhigend. Das sind dann doch die harmloseren Bezirke des Unbewussten. Die Parteien bedienen sich keiner durchtriebenen Suggestion. Darüber können wir froh sein, das ist die gute Nachricht dahinter.
Für wen werden eigentlich die Wahlplakate gemacht?
Da wären erstens die Stammwähler, die schon jetzt wissen, wen sie wählen. Sie benötigen ein so genanntes „reinforcement”, eine Bekräftigung. (Herzlichen Glückwunsch, Sie haben richtig entschieden! -„Wums!” ) Darüber hinaus will man ihnen signalisieren: Wir sind da, und wir werden es schaffen („Wir in Europa”).
Die Wechselwähler dagegen, die noch Unentschiedenen, könnten Stimmen bringen, müssen aber überzeugt werden. Diesen Prozess untersucht die Persuasionsforschung, eine alte Disziplin, in der seit Aristoteles gestritten wird. Aber als gesichert gilt: Von allzu weit entfernten Positionen kann man niemanden zu sich herüber ziehen. Man muss bei den Gemeinsamkeiten ansetzen (kritisch gegen „heiße Luft”?), die Überlegung „Wen würde ich wählen” zum Thema machen.
In der ersten berühmten Wahlkampfstudie in den USA („The People's Choice”, 1944) entdeckte man eine weitere Wählergruppe. Auf sie wirkt der „Bandwagon-Effekt”: Wo die Musik spielt, da laufen alle hin! Diese Wähler entscheiden sich erst in letzter Minute für den Stärksten, weil sie am Sieg teil haben wollen („I wanted to vote for the winner.”) Ihnen muss die Wahlwerbung sagen: Wir sind stark! („Stark vor Ort.”)
Welche der Wählergruppen man in erster Linie mit der Wahlwerbung ansprechen will, hängt von der Situation ab. Welche Wirkung man überhaupt erzielen kann, wird auch unter Experten heftig diskutiert.
Dabei wird die wahre Antwort übersehen: Gewählt wird nicht wegen, sondern trotz der Wahlplakate. Sie sind der endgültige Härtetest für den Stammwähler. Wer sich vom Wahlkampf-Auftritt der eigenen Partei nicht abschrecken lässt und sie dennoch wählt, der ist wirklich überzeugt.