Essen. Landauf, landab diskutieren Politiker und Historiker derzeit über die Frage: War die DDR ein reiner Unrechtsstaat – oder ist dies eine allzu einseitige Betrachtung? In Schulbüchern wird die Geschichte des SED-Staates oft nur stiefmütterlich behandelt.

Im 20. Jahr des Mauerfalls mehren sich die Stimmen, die vor einer nachträglichen Verklärung des DDR-Regimes warnen – und die eine grundsätzliche Aufwertung des Geschichts-Unterrichts fordern. „Dieses Fach hat in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung verloren”, kritisiert Heike Mätzing, Historikerin und Schulbuchforscherin an der Technischen Universität Braunschweig, im Gespräch mit der WAZ. Vor diesem Hintergrund solle sich niemand wundern, wenn sich immer häufiger „gravierende Wissenslücken auftun”.

Ähnlich argumentiert Peter Lautzas, Vorstand des „Verbands der Geschichtslehrer Deutschland”. „Das Kapitel DDR ist in Relation zu anderen Geschichts-Kapiteln solide verankert”, betont er. „Aber in zwei Stunden pro Wochen lässt sich eben nicht alles so umfangreich wie nötig vermitteln.”

Was wissen die heutigen Schüler über die deutsche Teilungsgeschichte?

Die meist erwachsenen Diskutanten berichten von ihren eigenen Erfahrungen, Zeitzeugen melden sich zu Wort. Kurzum: Die Debatte hat Hand und Fuß.

Aber was wissen eigentlich die heutigen Schüler über die deutsche Teilungsgeschichte? Das Ergebnis einer Studie der Freien Universität Berlin ist ernüchternd: 63 Prozent der Jungen und Mädchen aus NRW können wenig bis nichts mit Namen wie Honecker oder Begriffen wie Stasi anfangen.

Thema DDR im Unterricht stiefmütterlich behandelt

Als die Forscher mit den Schülern über die Gründe für die Wissenslücken diskutierten, gaben diese den „Schwarzen Peter” weiter – an die Schulen. 80 Prozent monierten, dass das Thema DDR im Unterricht stiefmütterlich behandelt würde.

Nur eine Ausrede oder Realität? Der „Verband der Geschichtslehrer” hat errechnet, dass von 60 Schuljahrs-Geschichtsstunden, die in der Klasse 9 oder 10 erteilt werden, durchschnittlich zehn Stunden auf die Zeit nach 1945 verwendet werden. „Da fällt die DDR-Geschichte oft arg herunter”, meint Verbands-Chef Peter Lautzas.

„Milde Darstellung”

An den Gymnasien ist der Anteil höher: Laut NRW-Lehrplan für die Sekundarstufe I (Klassen 5-9) ist die Geschichte der zweiten deutschen Diktatur dem Inhaltsfeld „Neuordnungen der Welt und Situation Deutschlands nach 1945” zugeordnet – mit mindestens sechs Wochenstunden. Die Vorgabe des Schulministeriums lautet: „Die DDR-Geschichte ist angemessen zu berücksichtigen.”

Ein dehnbarer Begriff. Zudem sind aktuell rund 300 Geschichts-Schulbücher im Gebrauch – mit sehr unterschiedlichen Standards. Das Pro-blem der offenbar unzureichenden DDR-Berücksichtigung sei ohnehin nur vordergründig ein quantitatives, meint die Historikerin und Schulbuchforscherin Heike Mätzing. „Wir alle sind sehr auf Aktualität fixiert. Das Fach Geschichte hat insgesamt erheblich an Wertschätzung eingebüßt.” Die Beschäftigung mit der DDR habe zudem nach wie vor einen grundsätzlichen Makel: „Der Unrechtscharakter dieses Staats wird meist viel zu milde dargestellt.”

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