Berlin. Strack-Zimmermann geht nach Brüssel. Im politischen Berlin verbleiben fast nur Männer. Warum das für die Partei jetzt zum Problem wird.
Christian Lindner versagt die Stimme. Eine Falte zieht sich vertikal über die Stirn. Die rechte Faust schwebt kämpferisch über dem Rednerpult. Zu ernst ist ihm das Thema, als dass ihm bei seiner Rede auf dem FDP-Parteitag in Berlin ein Lächeln über die Lippen zucken würde. „Wir wissen, wofür wir stehen“, ruft der Parteivorsitzende am Ende seiner einstündigen Rede. „Umso mehr kommt es auf jede und jeden bei uns an“, schwört er die Liberalen ein.
Die Mitteilung kommt an – zumindest bei einem großen Teil der Delegierten, die ihren Parteivorsitzenden mit Standing-Ovation feiern. Aber kommt es auch wirklich auf „jede“ an? Mitnichten ist es so, dass auf dem Parteitag nur Männer zugegen sind: Die Eröffnungsrede darf Bildungsministerin Stark-Watzinger halten, moderiert wird die Veranstaltung überwiegend von Frauen. Viele junge Frauen stehen am Samstag hinter dem Rednerpult.
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Strack-Zimmermann profilierte sich als prominente Zugfrau der FDP
Doch Lindner blickt nach seiner Rede mehrheitlich auf Sakkoträger, wird während des Applauses von Bundestagsvize Wolfgang Kubicki und Generalsekretär Bijan Djir-Sarai flankiert, beides Mitglieder des männlich dominierten Präsidiums. Viel wird an diesem Tag über Marktwirtschaft gesprochen, die auch die Parität dieser Partei regelt. Die FDP wehrt sich bislang gegen Quoten, wie sie etwa die Grünen für ihre Bundestagsfraktionen längst eingeführt haben.
Gleichwohl kämpften sich auch Politikerinnen immer wieder an die Spitze der Partei, konnten sich in Führungsgremien einen Namen machen. Aktuelles Aushängeschild: Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die wortgewandte Verteidigungspolitikerin macht Kanzler Scholz ordentlich Feuer unter dem Hintern, wenn es um Waffenlieferungen an die überfallene Ukraine geht. Sie setzte damit einen Kontrapunkt zu klassischen liberalen Wirtschaftsthemen, wie sie die übrige Führungsriege gerne in den Vordergrund stellt – so wie auch Lindner am Parteitag an diesem Samstag.
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Lindner setzt auf Wirtschaftsthemen – Strack-Zimmermann hat auch Ukraine im Blick
Bei Strack-Zimmermann verhält sich das anders, sie bleibt in ihrer Rede ihrem Thema treu: Es sei ein Fehler der Nato gewesen, einer Flugverbotszone eine Absage zu erteilen, sagte sie. Dennoch widmet sie sich länger dem Thema Wirtschaft: „Ohne wirtschaftliche Kraft können wir unsere Sicherheit in Europa nicht garantieren, denn diese gibt es nicht zum Nulltarif“, so die EU-Spitzenkandidatin. Besonders Regulierungen der Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen (CDU) seien ihr ein Dorn im Auge. Nach ihrer Rede bekommt sie einen großen Blumenstrauß vom Parteivorsitzenden. Bald ist sie in Brüssel. Dem Boysclub im politischen Berlin kehrt sie den Rücken.
Es dürfte für Strack-Zimmermann der Höhepunkt ihrer politischen Karriere werden. Die Düsseldorferin machte sich zunächst als Kommunalpolitikerin einen Namen, bevor sie 2017 in den Bundestag zog. Ihre Ambitionen auf das Amt der Verteidigungsministerin musste sie begraben, als bei der Verhandlung über eine Ampel-Koalition die SPD nach diesem Amt griff. Mit dem Gang nach Europa steht der 66-Jährigen ein erfolgreiches Karriereende als Fraktionsvorsitzende im Europaparlament in Aussicht.
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FDP verliert Kernklientel – Zustimmung aus Mittelstand schwindet
Mit dem Weggang dieser zwar streitbaren, aber durchaus schillernden Politikerin hat die Partei ein Problem: Ein weibliches Zugpferd ist weg. Ohnehin ist der Frauenanteil der Fraktion mit einem Viertel unterdurchschnittlich – lediglich CDU und AfD schneiden schlechter ab. Bei der Besetzung des Parteipräsidiums verhält es sich ähnlich. Nur mit einer nahezu paritätischen Besetzung des Vorstandes brüstet sich die FDP beizeiten.
Dennoch bleiben die Gesichter der Partei mit Generalsekretär Djir-Sarai, Fraktionschef Christian Dürr und den drei Ministern Christian Lindner, Volker Wissing und Marco Buschmann männlich. Mit Johannes Vogel und Konstantin Kuhle steht der männliche Nachwuchs bereit. Die Zeit der weiblichen Generalsekretärin Linda Teuteberg hatte Lindner vor der Bundestagswahl kurzerhand beendet. Lediglich Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger darf neben den Schlüsselressorts ihrer männlichen Kollegen von der politischen Seitenlinie mitspielen.
Das alles wäre für die Parteiführung unerheblich, wenn sie damit nicht um einen großen Teil ihrer Wählerschaft bangen müsste. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage verliert die Partei ohnehin weiter an Kernklientel. Lediglich 21 Prozent der Befragten meinen, dass die FDP in der Bundesregierung die Interessen des Mittelstandes vertritt. Auch unter FDP-Wählern und Parteianhängern zeichnet sich überwiegend dieses Bild ab. Die Partei steht mit dem Rücken zur Wand, muss um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen.
Noch bei der letzten Wahl brüstete sich die FDP als Fortschrittspartei, da sie gemeinsam mit den Grünen die jüngste Wählerschaft erreicht hatte. Doch schon damals zeichnete sich der maskuline Trend ab: Im Gegensatz zu allen anderen Parteien außer der AfD machten mehr Männer als Frauen ihr Kreuz bei der FDP. Bis zuletzt sank der Anteil der weiblichen FDP-Mitglieder. Die Partei spricht von 20 Prozent.
„Bei der Gruppe der Frauen noch sehr viel Potential, das wir noch nicht ausreichend abrufen“
Wird die FDP also nur noch von Männern gewählt? Die „Liberalen Frauen“ haben davor keine Angst. Es sei nicht schlimm, wenn Strack-Zimmermann nach Europa gehe, da sie auch dort Politik für Deutschland macht, sagte Bundesvorsitzende Jaqueline Krüger. „Dass wir uns mehr Frauen wünschen an diesen Positionen, ist kein Geheimnis“, sagt sie mit Blick auf politische Ämter in Berlin.
„Wir müssen deutlicher machen, dass unsere inhaltlichen Vorschläge das Leben der Frauen in diesem Land verbessern würden“, sagte Franziska Brandmann dieser Redaktion. Die Vorsitzende der Jungen Liberalen möchte vor allem mit Inhalten versuchen, junge Frauen auf ihre Seite zu ziehen. Sie nennt die Reform der Rentenpolitik, beklagt die Gefahr von Altersarmut bei Frauen und möchte bessere Betreuungsmöglichkeiten schaffen. „Ich versuche, Themen zu spielen, die liberale Menschen erreichen – und da gibt es gerade bei der Gruppe der Frauen noch sehr viel Potential, das wir noch nicht ausreichend abrufen.“
Um dem nachzukommen, bleibt der Partei nicht mehr viel Zeit. In etwas mehr als einem Jahr wird der Bundestag neu gewählt. Dann sitzt die liberale Zugfrau Strack-Zimmermann längst in Brüssel.