Berlin. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt will härter gegen die AfD vorgehen – und sagt, was sie an Westdeutschen nervt.
Von ihrem Schreibtisch aus blickt Katrin Göring-Eckardt direkt auf das Reichstagsgebäude. 10,4 Prozent hat die AfD bei der vergangenen Bundestagswahl geholt – und ist seither in den Umfragen weiter gewachsen, obwohl sich ihre Demokratiefeindlichkeit immer deutlicher zeigt. Die gebürtige Thüringerin und Grünen-Politikerin Göring-Eckardt, seit 2021 Vizepräsidentin des Bundestages, fordert im Interview konkrete Schritte.
Die AfD ist zweitstärkste Kraft in Deutschland – hinter der Union und vor den drei Regierungsparteien. Bleiben die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus wirkungslos?
Katrin Göring-Eckardt: Nein. Viele Menschen spüren: Ich kann etwas tun gegen Rechtsextremismus. Und ich bin nicht allein. Die Stimmung im Land ist eine andere als noch vor einem Jahr.
Im Osten liegt die AfD auf Platz 1. Gibt es dafür einen tieferen Grund?
Rechtsextremismus ist ein Problem in Ost und West – und nicht nur im Osten, das sollte man den Leuten auch nicht einreden. Richtig ist: In Ostdeutschland herrscht eine große Enttäuschung. Viele Menschen fragen sich, was ihnen die Demokratie gebracht hat. Ein Viertel der Ostdeutschen zeigt sich nach einer Studie geschlossen ausländerfeindlich, in Thüringen hat etwa jeder Fünfte rechtsextreme Einstellungen. Die sind schwer zu erreichen. Andere sind nur unzufrieden und wollen gegen etwas protestieren. Mit denen muss man im Gespräch bleiben. Aber wissen Sie, was die Leute richtig sauer macht?
Sagen Sie es.
Dass Menschen aus Thüringen oder Brandenburg erst einmal erklären müssen, dass sie nicht die AfD wählen. Ich sage allen Westdeutschen: Macht euch gerne Sorgen um die Demokratie in unseren Bundesländern. Aber tut nicht so, als ob die Mehrheit in Ostdeutschland die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt. Im Osten leben Menschen, die viel mehr kämpfen müssen als Westdeutsche, damit die Demokratie stabil bleibt.
Welche Folgen hätte ein Sieg der AfD bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg?
Die AfD will das Land destabilisieren. Sie greift unsere demokratische Ordnung an. Das ist eine Gefahr für die Sicherheit und den Wohlstand in unserem Land. Es zeichnet sich bei den Landtagswahlen ab, dass es in jedem Fall schwierig werden wird mit der Regierungsbildung – egal, wer stärkste Kraft wird. Alle Demokratinnen und Demokraten sind sich sehr klar darüber, dass die Landtagswahlen im September eine Bewährungsprobe sind. Sie wird auch Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft haben. Die Industrie ist auf Fachkräfte angewiesen, auch aus dem Ausland. Wenn die bei einem Wahlerfolg der AfD nicht mehr kommen und Unternehmen das Land deshalb verlassen, gefährdet das den Wohlstand ganzer Regionen. Jeder muss wissen, dass er sich ins eigene Fleisch schneidet, wenn er aus Protest für Rechtsextremisten stimmt.
Der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, ist ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Es geht um Geldzahlungen aus russischen und chinesischen Quellen. Krahs Assistent wurde verhaftet, weil er für China spioniert haben soll. Wie kommt Ihnen das vor?
Es ist schon absurd: Herr Krah bleibt Spitzenkandidat, wird im Wahlkampf aber versteckt. Die AfD behauptet in jeder Bundestagsrede, sie sei besonders vaterlandsliebend und patriotisch. Nein, kann ich da nur sagen. Offensichtlich geht es der AfD mehr darum, wie Russland und China dastehen – und wie viel Geld man dafür kassiert. Die AfD vertritt nicht deutsche Interessen. Sie ist eine Gefahr für unser Land. Die AfD darf nicht den geringsten Raum bekommen, die Richtung in unserem Land zu bestimmen.
Die AfD-Fraktion im Bundestag – das ergaben Recherchen des Bayerischen Rundfunks – soll mehr als 100 Mitarbeiter aus dem rechtsextremen Milieu beschäftigen. Welche Konsequenzen ziehen Sie?
Wir müssen die Sicherheit im Bundestag gewährleisten und schauen uns sehr sorgfältig an, was rechtlich möglich ist. Mitarbeiter, die nicht auf dem Boden unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen, sollten keinen Zugang zu Parlamentsgebäuden und keinen Zugriff auf das Netzwerk des Bundestages bekommen. Und sie sollten meiner Auffassung nach dann auch nicht aus Steuermitteln bezahlt werden. Was davon wie rechtssicher umsetzbar ist, wird gerade geprüft. Wir dürfen uns in der Herzkammer der Demokratie jedenfalls nicht in Gefahr begeben. Alle demokratischen Fraktionen sind entschlossen, den Bundestag besser zu schützen.
Wie wollen Sie feststellen, welche Mitarbeiter gefährlich sind?
Alle Personen, die einen Hausausweis erhalten, müssen schon jetzt eine Zuverlässigkeitsüberprüfung bestehen. Die Bundestagspolizei sollte mehr Befugnisse bekommen und in Verdachtsfällen künftig auch Informationen vom Verfassungsschutz abrufen können. Es geht nicht darum, das Parlament zu einem Hochsicherheitstrakt zu machen. Wir sollten weiterhin ein offenes Haus bleiben. Wenn es einen Extremismusverdacht gegen Mitarbeiter von Abgeordneten gibt, sollte die Bundestagspolizei jedoch in der Lage sein, dem intensiver als bisher nachzugehen.
Wird es Zeit für ein AfD-Verbotsverfahren?
Es ist Zeit, alle juristischen Möglichkeiten gegen die AfD auszuschöpfen. Dazu gehört auch die Prüfung eines Verbotsverfahrens. Nähe zu Diktatoren, Umsturzfantasien, Vertreibungspläne – aus der Partei wird gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung mobilisiert. Originäre Aufgabe von Verfassungsorganen ist es, die Verfassung zu schützen. Dabei müssen wir mit größter Sorgfalt vorgehen.
Vor den Landtagswahlen im September wird es also nichts mehr.
Ein gescheitertes Verbotsverfahren wie seinerzeit bei der NPD können wir uns nicht leisten. Deshalb ist es richtig, die rechtlichen Möglichkeiten sorgfältig zu prüfen und dann zu entscheiden. Die inhaltliche Auseinandersetzung vor den Wahlen muss ohnehin politisch erfolgen.
Einfacher wäre ein Verbot der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative oder der rechtsextremen Identitären Bewegung. Das sind Vereine, keine Parteien.
Auch das muss gut vorbereitet sein. Aber ein Verbot der Jungen Alternative und der Identitären Bewegung könnte schneller gehen, das ist richtig. Man hat damit zwar nicht die Gesinnung der jungen Leute bekämpft. Trotzdem wäre es ein wichtiges Signal.
Sehen Sie eine Handhabe, die AfD erst einmal von der Parteienfinanzierung abzuschneiden?
Auch das ist zu prüfen. Es kann nicht sein, dass der Rechtsstaat seine eigenen Feinde finanziert. All die Instrumente, die Sie abgefragt haben, zeigen: Unsere Demokratie ist wehrhaft. Als Abgeordnete bin ich Mitglied eines Verfassungsorgans. Es ist also unsere Pflicht zu prüfen, welche juristischen Möglichkeiten es gibt, unsere freiheitliche Demokratie zu schützen. Ich gehörte zur Bürgerbewegung der DDR und habe für diese Freiheit gekämpft. Ich werde alles daransetzen, sie zu schützen. Politisch, juristisch und in jedem einzelnen Gespräch.
Sie waren zweimal Spitzenkandidatin der Grünen, bevor Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin antrat. Vertragen sich Umfragen unter 15 Prozent, wie sie die Grünen gerade haben, mit einer weiteren Kanzlerkandidatur?
Das entscheiden wir, wenn es so weit ist. Bei den mittelgroßen Parteien sind die Umfragewerte nicht weit auseinander. Und viele Leute entscheiden sich erst kurz vor den Wahlen. Es kommt darauf an, ob eine Partei bereit ist, nicht nur eine bestimmte Klientel zu bedienen, sondern die Verantwortung für das gesamte Land zu übernehmen. Und da sage ich: Ja, die Grünen sind das. Und wir könnten wieder mehr versuchen, in die Breite auszugreifen, und daran erinnern, dass wir Bündnispartei sind, die zusammenführt.
Hat Baerbock eine zweite Chance verdient?
Annalena Baerbock macht gerade einen ausgezeichneten Job. Genauso wie Robert Habeck. Es ist doch hervorragend, dass wir mit den beiden zwei Personen haben, die ins Kanzleramt einziehen könnten. Beiden traue ich das zu.
Habeck ist unter Druck geraten, weil sein Ministerium die Bedenken von Experten gegen den Atomausstieg unterdrückt haben soll. Ist das für Sie unerheblich?
Der Wirtschaftsminister hat uns gut und sicher durch einen schwierigen Winter geführt. Die Union hatte den Atomausstieg 2011 beschlossen, die Energiewende aber abgewürgt. Deutschland war hilflos der Gasabhängigkeit von Russland ausgeliefert. Robert Habeck und die Regierung hatten alle Hände voll zu tun, um die Fehler der Union auszubügeln, Deutschland unabhängig vom Kreml-Gas zu machen und unser Land sicher durch die Krise zu führen. Seit dem Atomausstieg sind die Strompreise wieder deutlich gesunken. Die Kohleverstromung liegt auf einem Rekordtief, die Erneuerbaren produzieren dagegen so viel saubere Energie wie noch nie. Das ist ein Erfolg.
Die Union lässt das nicht gelten – und droht mit einem Untersuchungsausschuss ...
Die Union will wohl eher ablenken und vergessen machen, dass sie den Atomausstieg beschlossen hatte. Was angesichts der Risiken auch richtig war und ist. Genau vor 38 Jahren ereignete sich der Super-GAU von Tschernobyl, 25 Jahre später Fukushima: Die Atomkraft ist gefährlich. Menschliches Versagen, Naturkatastrophen und nicht zuletzt auch gezielte Angriffe. Sicherheit und sichere, günstige Energieversorgung sind das, was gebraucht wird.
War es so klug, mitten in der Energiekrise die letzten Kernkraftwerke abzuschalten?
Die Bundesregierung hat wegen der Energiekrise die Atomkraftwerke länger laufen lassen, als es die Union beschlossen hatte. Maßgabe der Entscheidungen in der Frage war immer die Abwägung. Ganz wichtig war natürlich die Versorgungssicherheit. Diese war und ist zu jedem Zeitpunkt gewährleistet.
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