Leverkusen. Was wir süß finden, bedeutet für viele Hunde unvorstellbare Qualen. Berater der NRW-Landesregierung gehen jetzt in die Offensive.

Wenn Ralf Unna im Behandlungsraum seiner Kölner Kleintierpraxis steht, kann er das hektische Pfeifen meist schon über 15 Meter aus dem Wartezimmer hören. Der Veterinär mit 30 Jahren Berufserfahrung weiß dann: Er muss mal wieder einen Hund von Qualen befreien, die ihm der züchtende Mensch zugefügt hat.

Mops, französische Bulldogge, Boxer, Chihuahua oder Cavalier King Charles Spaniel – Hundefreunde lieben knuddelige Rassen mit kurzen Schnauzen und großen Augen. Weil die Nachfrage so riesig ist, produziert der Markt immer mehr von ihnen. Unna dagegen spricht von „Tierversuchen in Privathand“.

Der Veterinär, der seit 20 Jahren dem Tierschutzbeirat der Landesregierung angehört, sieht nach eigener Aussage jeden Tag die dramatischen Folgen auf dem Behandlungstisch. Zu viele Zähne für die zurückgezüchteten Oberkiefer. Zu lange Gaumensegel. Zu ausgeprägte Nasenfalten. Kehlkopf-Lähmungen. Abgeplattete Luftröhren. Augenleiden, Hüftdysplasie.

Durch die kurze Nase funktioniert bei den Hunden die körpereigene Kühlung nicht

Die Hunde können oft kaum atmen. Durch die kurze Nase funktioniert vor allem das körpereigene Kühlungssystem nicht. An warmen Tagen wird das lebensgefährlich. „Wir haben Tiere, deren Körperinnentemperatur von unseren Thermometern gar nicht mehr angezeigt werden kann, weil die bei 42 Grad aussteigen“, sagt Unna. Auch ein putziger Stummelschwanz sei nichts anderes als eine verkümmerte Rute, mit der ein Hund normalerweise kommuniziert und Bewegungen koordiniert.

Der Veterinär steht am Mittwochmittag im Tierschutzzentrum Leverkusen und will zusammen mit der Tierschutzbeauftragten des Landes, Gerlinde von Dehn, das Thema „Qualzucht“ stärker in den öffentlichen Fokus rücken. Nicht nur bei Hunden, sondern auch bei Reptilien oder Katzen wie der Scottish Fod mit den beliebten Faltohren. Viele der betroffenen Tiere landen wegen der hohen Arztkosten am Ende in den NRW-Tierheimen.

Die Tierschutzbeauftragte des Landes NRW, Dr. Gerlinde von Dehn, macht gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Tierheims Leverkusen, Gerd Kortschlag (links), und dem Kölner Tierarzt Dr. Ralf Unna gegen
Die Tierschutzbeauftragte des Landes NRW, Dr. Gerlinde von Dehn, macht gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Tierheims Leverkusen, Gerd Kortschlag (links), und dem Kölner Tierarzt Dr. Ralf Unna gegen "Qualzuchten" mobil. Mit auf dem Bild: Die französische Bulldogge "Pippa". © Tobias Blasius | Tobias Blasius

Den Haltern machen die Experten gar keinen Vorwurf. „Wenn ich 2500 Euro für einen Welpen ausgebe, habe ich erstmal die berechtigte Verbrauchererwartung, dass ich ein grundsätzlich gesundes Tier erwerbe und nicht ein genetisch kaputt gezüchtetes Tier“, sagt Unna. Er warte auf den Hundehalter, der seinen Züchter in Regress nimmt für Tausende Euro auf der Tierarztrechnung.

Eigentlich ist die Qualzucht in Deutschland seit 40 Jahren verboten

Die anerkannten deutschen Zuchtvereine verweisen darauf, dass kranke Tiere zumeist aus Hinterhof-Würfen stammten, aus illegalem Internet-Handel oder Auslandsimporten. Für die Tierschutzbeauftragte von Dehn reicht das Problem jedoch tiefer: „Es geht darum, die Weiterzucht von Tieren zu unterbinden, die jetzt schon erwarten lassen, dass sie selbst oder ihre Nachkommen unter Schmerzen und Schäden zu leiden haben.“ Lässt sich das rechtssicher definieren?

Zurzeit wird auf Bundesebene das Tierschutzgesetz reformiert. Formal ist die „Qualzucht“ bereits seit 40 Jahren verboten. Doch es scheitert an der Umsetzung in der Praxis. Von Dehn rät der NRW-Landesregierung, in Berlin auf eine leichtere Anwendbarkeit der Paragrafen hinzuwirken. „Es ist für einzelne Veterinärämter eine Riesenherausforderung, das gerichtsfest festzustellen“, berichtet auch Unna. Auf der anderen Seite stünden immerhin Verbände mit sehr viel Geld und gut aufgestellten Juristen. „Da ist es nicht immer ganz einfach, Recht zu bekommen, wo die Lage aus tierärztlicher Sicht ganz eindeutig ist.“

Soweit wie andere EU-Staaten will Deutschland bislang nicht gehen. Die Niederlande etwa haben einzelne Rassen komplett verboten. Wer dort extrem plattnasige Möpse züchtet, begeht eine Straftat. Von Dehn setzt große Hoffnungen in eine bessere Aufklärung der Hundeliebhaber: „Am Ende des Tages entscheidet der Verbraucher.“ Die Tierästhetik müsse sich ändern. „Süß findet man kurze Nase, große Augen, keine Rute. Diese Merkmale sind für viele Menschen immer noch schön, doch für die betroffenen Tiere bedeutet es Leid“, sagt von Dehn.

Seit 2022 gibt es bereits ein Ausstellungsverbot für bestimmte überzüchtete Rassen. NRW arbeitet zurzeit mit daran, dass bestimmte Zuchtmerkmale konkret in das Gesetz aufgenommen werden, um die Werbewirkung besonders „süßer“ Tiere einzuschränken. „Mindestens ein Kinofilm pro Saison hat irgendwo so einen Hund“, stöhnt von Dehn. Es werde ein Knopfaugen-Ideal vorgelebt, das die Natur so nun einmal nicht vorgesehen hat.

Während die Tierärzte Unna und van Dehn über die schlimmen Folgen von Qualzucht referieren, kuschelt die französische Bulldogge „Pippa“ zufrieden auf dem Schoß von Gerd Kortschlag, dem Vorsitzenden des Leverkusener Tierschutzvereins. „Das“, sagt Unna, „ist so schon die operierte Version. Wir haben ihr die Nasenlöcher erweitert.“