Düsseldorf. Extremisten entdecken soziale Medien für sich. Gefährlich ist das vor allem für Kinder. Was sonst noch im NRW-Verfassungsschutzbericht stand.

Seien es antisemitische Parolen auf Demonstrationszügen, islamistische Hassprediger bei TikTok oder linksextremistische Aktivisten in Lützerath: Das Jahr 2023 habe aufgezeigt, welches Gefahrenpotential von Extremisten unterschiedlichster Couleur für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland ausgingen. Seit Bestehen des Grundgesetzes sei die Gefahr nie größer gewesen als heute.

Zu dieser drastischen Einschätzung kam NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für 2023. An seiner Seite: der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Jürgen Kayser.

Geprägt wurde das Jahr 2023 aus Sicht des Verfassungsschutzes von internationalen Krisen. Der 7. Oktober, der Tag des Angriffs der Hamas auf israelische Bürgerinnen und Bürger, sei dabei ein entscheidendes Datum gewesen. „Extremisten verschiedener ideologischer Prägungen nutzten den Terroranschlag gegen den Staat Israel dazu, ihre Anhänger zu mobilisieren und scharfe Botschaften in noch kürzeren Frequenzen zu senden“, so der Minister.

Antisemitismus: Starker Anstieg der Fälle im vergangenen Jahr

Ablesbar ist das an den Zahlen antisemitischer Delikte. 547 antisemitische Straftaten wurden im vergangenen Jahr in NRW gezählt, das sind 65 Prozent mehr als im Vorjahr. In 296 und damit den meisten Fällen ging es um Volksverhetzung.

Bei einer pro-palästinensischen Demonstration im November kamen im Essener Stadtzentrum rund 3000 Demonstrierende zusammen.
Bei einer pro-palästinensischen Demonstration im November kamen im Essener Stadtzentrum rund 3000 Demonstrierende zusammen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Reul erinnerte in diesem Kontext an die Anti-Israel-Demonstration in Essen, an der im November rund 3000 Menschen teilnahmen. Die Demo, bei der Männer und Frauen getrennt marschierten, hatte aufgrund offen vorgetragener Forderungen nach einem Kalifat in Deutschland bundesweit für Furore gesorgt.

2023 mehr politisch motivierte Gewaltdelikte in NRW

Insgesamt ist die Zahl politisch motivierter Straftaten in NRW zurückgegangen. 7596 Fälle wurden 2023 registriert, 15 Prozent weniger als im Vorjahr. „Ein Grund zum Aufatmen ist das nicht“, sagte Reul, der den Rückgang mit dem Abebben unangemeldeter Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen begründete.

Gestiegen sind indes die Gewaltdelikte, 541 wurden 2023 gezählt. Das sind 37 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch deswegen könne von einer Entspannung der Lage keine Rede sein: Was in den bloßen Zahlen schnell unterginge, sei die veränderte Qualität der Straftaten, erklärte Reul.

Hassprediger machen sich in den sozialen Medien breit

Neben dem Aufflammen des Nahostkonflikts in Folge des 7. Oktobers machte der Minister für die veränderte Qualität auch den Einfluss sozialer Medien verantwortlich. Ausschnitte aus TikTok-Videos von Hasspredigern und Influencern mit islamistischem Gedankengut wurden während der Pressekonferenz vorgeführt. Darin machen junge Männer gegen die Gleichstellung von Frauen, gegen Religionsfreiheit und gegen die westliche Kultur im Allgemeinen Stimmung.

Zehn bis zwanzig solcher „TikToker“ habe man in NRW gesondert auf dem Schirm, erklärte Jürgen Kayser. Früher sei die Gefahr durch Extremisten vor allem von bestimmten Moscheen ausgegangen, heute sei die Lage deutlich unübersichtlicher und für Kinder und Jugendliche, die Hauptnutzer von TikTok, auch gefährlicher, so der Chef des Verfassungsschutzes.

Erstmals gesondert gelistet wurden im Bericht Straftaten zum „Tatmittel Internet“. 1859 Straftaten wurden 2023 registriert, 2022 waren es 70 Prozent weniger. In 400 Fällen handelte es sich um Hasskriminalität von rechts. Einen noch stärkeren Anstieg zeigt sich bei der Zahl von Straftaten mit Bezug zu religiöser Ideologie. Die vervierfachte sich im Jahr 2023. 305 Delikte wurden insgesamt registriert. In den meisten Fällen handelte es sich um Sachbeschädigung und Volksverhetzung.

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Extremismus von rechts und links auf anhaltend hohem Niveau

Von rechts sei, gemessen an den absoluten Zahlen, auch in diesem Jahr wieder die größte Bedrohung ausgegangen, so Reul. Die Zahl von 3549 Straftaten verbleibt ungefähr auf dem Niveau des Vorjahrs, ebenso die Zahl der rechtsextremistischen Gewaltdelikte (116). Reul sagte bei dieser Gelegenheit, er sei froh, dass der Verfassungsschutz die Junge Alternative (JA) in NRW, also den AfD-Nachwuchs, nun als Verdachtsfall einstufe. „Wer sein eigenes – das rechtsextremistische – Regelwerk vorzieht, ist ein Demokratiefeind“, bekräftigte der Minister.

Die meisten Straftaten im linksextremen Spektrum (1097) wurden 2023 im Zusammenhang mit den Protesten während der Räumung von Lützerath verzeichnet (396). Hier gab es einen Zuwachs von 33 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Spionage und Cyberangriffe: Die Hauptakteure sind Nachrichtendienste aus dem Ausland

Desinformationskampagnen und Spionage aus Russland, Cyberangriffe auf Kritische Infrastruktur und die illegale Beschaffung von Wissen und Technologie zum Zwecke des Staatsterrorismus wurden als Herausforderungen im Bereich Cyberkriminalität herausgestellt. Die Hauptakteure sind nach den Worten des obersten Verfassungsschützers in NRW die Nachrichtendienste in Russland, China und im Iran. Akteure, die sicher auch im nächsten Bericht auftauchen werden, hieß es. „Der Dauerkrisenmodus endet nicht“, ist sich Herbert Reul sicher.