Düsseldorf. Professionelles und illegales Geschäft: Wie Verbrecher reichen Ausländern jahrelang Aufenthaltstitel in Deutschland verschafften.
Bei einer großangelegten Razzia gegen eine international agierende Schleuserbande in acht Bundesländern hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf am Mittwoch zehn Beschuldigte verhaften lassen.
Im Visier sind 38 mutmaßliche Bandenmitglieder, darunter Rechtsanwälte und Unternehmer, und 147 Personen, die geschleust worden sein sollen, wie die Bundespolizeidirektion Sankt Augustin am Mittwoch mitteilte. Zähle man später nachgezogene Familienangehörige mit, gehe es um etwa 350 eingeschleuste Ausländer, so die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft.
Zu den Kunden der Bande zählten „wohlhabende Menschen vor allem aus China, aber auch aus Oman und Südafrika“, erklärte Staatsanwalt Hendrik Timmer von der Zentral und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten (ZeOS) in Düsseldorf.
Laut Timmer wurden die zu schleusenden Menschen über das Internet angeworben. Ihnen seien zum Teil für mehrere hunderttausend Euro „Residenzprogramme“ in Verbindung mit einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis in Deutschland angeboten worden. Zur illegalen Einwanderung seien Scheinfirmen gegründet worden. Die Kunden der Bande hätten auch Scheinwohnsitze – zum Beispiel in zwei Burgen in der Eifel -- sowie Scheinarbeitsverträge bekommen.
Razzia gegen Schleuserbande: Innenministerin Faeser (SPD) lobt „konsequentes Durchgreifen“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte nach den Razzien: „Jetzt gilt es, alle Hintergründe auszuleuchten und diesen Strukturen der organisierten Kriminalität das Handwerk zu legen“. Im Kampf gegen Schleuserbanden brauche es „genau diesen hohen Ermittlungsdruck und dieses konsequente Durchgreifen“.
Hauptverdächtig sind laut der Staatsanwaltschaft Düsseldorf zwei 42 und 46 Jahre alte Rechtsanwälte aus dem Raum Köln. Neben dem Vorwurf der Schleusung ermittelt die Staatsanwaltschaft auch wegen des Verdachts der Bestechung und Geldwäsche.
Razzia gegen Schleuserbande: Korruptionsverdacht gegen Mitarbeiter eines Ausländeramtes
Zu den zehn Verhafteten soll ein Mitarbeiter des Kreises Düren gehören, der bei den Schleusungen maßgeblich beteiligt gewesen sein und dafür Bestechungsgelder erhalten haben soll. Die Aufenthaltserlaubnisse wurden den Ermittlern zufolge bei den Ausländerämtern in Kerpen und Solingen sowie der Kreise Rhein-Erft und Düren erlangt.
Laut der Bundespolizei wurden bei dem Großeinsatz in NRW neben den betroffenen Ausländerämtern Wohnungen in Aachen, Bergheim, Bergisch-Gladbach, Düren, Düsseldorf, Frechen, Heimbach, Kerpen, Köln, Kreuzau, Pulheim, Ratingen, Roetgen, Siegburg und Solingen durchsucht.
Neben mehreren Einsatzhundertschaften der Bundespolizei seien auch Banknotenspürhunde bei den Razzien eingesetzt worden. „Bislang konnten umfangreiche Beweismittel und nicht unerhebliche Vermögenswerte gesichert werden, unter anderem 210.000 Euro Bargeld. Auch wurden insgesamt 269 Bankkonten gesperrt und 31 Grundstücke mit einer Sicherungshypothek belegt“, schrieb die Bundespolizei in einer Mitteilung.
Schleuserbande hochgenommen: So funktionierte das dreiste Geschäftsmodell
Die Schleuserbande boten mit einem perfiden Geschäftsmodell reichen Ausländern, vor allem aus China, ein Aufenthaltsrecht gegen Geld an. Staatsanwalt Hendrik Timmer nannte am Mittwoch Details und Beispiele:
„Die Bande setzt sich aus Rechtsanwälten, Immobilienunternehmern und weiteren Personen zusammen. Das Ganze fußt auf dem Ausnutzen von Sonderregeln aus dem Aufenthaltsgesetz für Selbstständige und für Fachkräfte“, erklärte Timmer, der in der Zentral und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten (ZeOS) in Düsseldorf arbeitet. Hier kämpfen Experten zum Beispiel gegen Mafia-Organisationen, Rockerbanden, den Drogenhandel und in diesem Fall gegen eine Schleuserbande, deren Fäden in zwei Rechtsanwaltskanzleien in NRW zusammenlaufen sollen.
Methode der Schleuser: Gratis-Bildung und „Weltklasse-Gesundheitssystem“ als Lockmittel
Und so funktioniert die Methode: „Interessierte werden über das Internet angeworben. Man stellt ihnen Residenzprogramme in Verbindung mit einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis in Aussicht“, so Timmer. Geworben werde unter anderem mit der kostenlosen Bildung in Deutschland und mit einem „Weltklasse-Gesundheitssystem“. Dafür sei angeblich kein dauerhafter Aufenthalt in Deutschland erforderlich. Den Kunden sei sogar die deutsche Staatsbürgerschaft in Aussicht gestellt worden, hieß es.
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Laut einer „Preisliste“ habe die Schleusung 360.000 Euro, in einigen Fällen auch „nur“ fünfstellige Beträge gekostet. Diese Summe floss in eine angebliche Investition in offene Handelsgesellschaften oder Immobilienfirmen. Die Einzahler hätten aber später über ihre „Investition“ gar nicht verfügen können, sagte Timmer.
Das Geld floss an zwei Rechtsanwaltskanzleien und an weitere Bandenmitglieder. Allein für einen angeblichen Wohnsitz in Deutschland sollten 25.000 Euro Gebühr bezahlt werden, berichtete die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft.
Die Methode der Schleusebander: Schein-Arbeitsverträge, Scheinfirmen, Schein-Wohnungen
Der zu Schleusende erteilte der Rechtsanwaltskanzlei eine Generalvollmacht. Damit wurde ein so genanntes „Rechtsanwalts-Anderkonten“ bei Banken eröffnet. Das sind Konten, auf denen Mandanten Anwälten ihr Geld anvertrauen. Danach wurden Scheinfirmen gegründet, meist offene Handelsgesellschaften.
Wenn die Geschleusten im Rahmen der Fachkräfte-Einwanderung nach Deutschland kommen sollten, musste auch ein Arbeitsvertrag vorgelegt werden. Hier habe es sich aber nur um Schein-Arbeitsverträge mit Scheinfirmen gehandelt, sagte Timmer. Auch Schein-Wohnsitze seien Teil des Angebots gewesen. Die Schleuser hätten dann bei deutschen Botschaften und Konsulaten, vor allem in Schanghai und Kanton, „Niederlassungserlaubnisse“ für ihre Klienten organisiert
Damit könne jemand nach Deutschland einreisen, wieder ausreisen und jederzeit erneut einreisen. Auch ein Umzug vom Scheinwohnsitz in eine „richtige“ Wohnung überall in Deutschland sei möglich gewesen.
Die Methode der Schleuser: Firmen und Privatleute wollten ihre Immobilien „versilbern“
Das auf die „Anderkonten“ eingezahlte Geld ging als Honorar an die Kanzlei, angebliche Mieten flossen an angebliche Wohnungsgeber und über Scheinfirmen an Immobilienfirmen und Privatleute, „die damit ihre Immobilien versilbern wollten“, so Timmer.
Weil für einen Arbeitsvertrag regelmäßige Lohnzahlungen nachgewiesen werden müssen, geht ein Teil des auf das „Anderkonto“ eingezahlten Geldes an einen angeblichen Arbeitgeber. Der zahlt den Lohn aber nur zum Schein aus. Es entstehte eine Art Lohnkreislauf, berichtete der Staatsanwalt. (mit dpa)
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