Frauengold. Unsere Kolumnistin muss Möbel loswerden und wird dabei übers Ohr gehauen. Doch dann wird klar: Besser hätte es gar nicht laufen können.
Immer mittendrin: So wohnen wir am liebsten. Fachwerk und Fußgängerzone in der Kleinstadt etwa, mit französischer Brasserie um die Ecke. Da kamen die großen Kinder zur Welt. Oder mitten in der Metropole zwischen S-Bahn und Theater. Da, wo nachts die Busse voll sind und die Bürgersteige auch.
Wir sind schon oft umgezogen, haben in Essen und Dortmund gelebt, in Freiburg und Offenburg, in Berlin, München und Bochum. Überall haben wir Freunde hinterlassen und Familie und damit auch ein Stück von uns selbst.
Was ist eure Heimat, fragte mich neulich eine alte Schulfreundin. Dortmund? Wo du aufgewachsen bist? Es ist die Stadt an sich, antworte ich, dort, wo immer irgendein Laden um die Ecke geöffnet, viel Kultur um uns herum ist und die gesamte kulinarische Welt dazu. Allerdings heißt es auch: Es gibt kein Platz für ein vor der Tür, der Keller ist klein, ziemlich schmutzig und läuft bei Unwettern mit Wasser voll.
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Wir könnten nun eines der leeren Kinderzimmer nutzen, um Dinge abzustellen, die andere im Keller oder ihrer Garage haben. Noch lieber aber ziehen wir wieder um – und specken ab.
Die neue Wohnung liegt ein paar Viertel weiter, hat eine schöne Dachterrasse, ein paar Schrägen und einen Einbauschrank. Genug Platz für uns als Pärchen, mit Gästezimmer für Kinder, Freunde und sonstige Familie. Aber kein Platz für das vier Meter breite und zwei Meter hohe Bücherregal. Kein Platz für das Kleiderschrank-Ungetüm. Kein Platz für den Küchenschrank, den Schreibtisch der Tochter im Landhausstil, das Kinderzimmerbett. „Vielleicht können ja die Nachmieter was brauchen“, sage ich zum Makler, den die Hausverwaltung schickt.
Die Nachmieterin flüstert: „Wir verdienen beide richtig gut.“
Und potenzielle Nachmieter gibt es viele. Sie drängeln sich als Gruppe durch die Wohnung. Eine junge Frau mit Pagenschnitt flüstert mir zu: Ich bin Bankkauffrau, habe einen Master in Betriebswirtschaft. Und der Verlobte (sie sagte wirklich: „Verlobte“) habe einen ganz tollen Job bei einer Digitalfirma. Dann senkt sie die Stimme: „Wir verdienen beide richtig gut“. Schließlich flüstert sie: „Sie haben ja wirklich schöne Möbel.“
Als der Makler alle raus bugsiert, „vergisst“ sie ihre Handtasche und klingelt ein paar Minuten später wieder. „So eine tolle Wohnung“, ruft sie. „Und die Aussicht!“ Ich überlege, ob sie den Himmel meint, der tatsächlich an diesem Wintertag strahlend blau ist oder die graue Wand der Backsteinschule gegenüber. Mehr sieht man eigentlich nicht. Sie fragt, ob sie noch mal den Schlafzimmerschrank sehen dürfe und das Bücherregal. „Würden wir übernehmen“, sagt sie, sei doch klar. Ob ich wohl den Makler noch mal anrufen könne? Um mich für sie einzusetzen? „Ganz tolle Leute“, hört der dann tatsächlich von mir. Und: „Die passen super in die Hausgemeinschaft“.
Am nächsten Tag haben die Bankerin und ihr Digitaltyp den Zuschlag. Permanent ruft sie nun an: Ob wir hier im Wohnzimmer messen könnten und da im Schlafzimmer. Sie kommt noch mal vorbei und schickt Textnachrichten aus dem Möbelhaus. Ob das Sideboard wohl passe?
Dann die letzte Mail. Sie bedanke sich für unseren Einsatz. Und was unsere Möbel angehe – „da haben wir keine Verwendung“.
Ohne Trickserei läuft auf dem Berliner Wohnungsmarkt nichts
Stimmt, typische Großstadt-Trickserei. Auch das ist anstrengend. Einem Freund, dem wir das erzählen, sagt, genau diese Geschichte sei ihm beim letzten Umzug auch passiert. Ein Kollege beschwichtigt mich: anders komme man doch nicht an Wohnungen. Der Berliner Markt sei zu aggressiv. Der Trick mit der Tasche, die vergessen wurde, das habe er auch schon mal gemacht, um mit den Vormietern ins Gespräch zu kommen.
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Nun sind es nur noch zehn Tage bis zum Umzug und die Möbel sind so gut wie weg. Einen Samstagnachmittag lang habe ich sie fotografiert, ihre Macken dokumentiert und auf Kleinanzeigen hochgeladen. Es läuft tatsächlich super.
Die Second-Hand-Community kommt mit gemieteten Autos, professionellem Werkzeug und zahlt bar. Einer will weiterverkaufen, der nächste abschleifen und anstreichen. Es kommen die klassischen Expats, mit denen wir Englisch reden, Jungs mit Goldkette und Sneakern, die doppelt so teuer sind wie der Schlafzimmerschrank, den sie mitnehmen, eine Familie mit Kita-Kind, eine Dreier-Wohngemeinschaft. Nur eine gewisse Hermine versetzt uns zweimal und ghostet uns dann.
Inzwischen leben wir zwischen Kleiderstangen, Bücherbergen und auf dem Boden gestapelten Geschirr. Von dem ganzen Kram muss auch noch eine Menge weg. Die Kinder finden, wir übertreiben. Ich schenke ihnen das Silberbesteck der Uroma, einen kleinen antiken Küchentisch und eine Vintage-Lampe für den Schreibtisch. Aber passt auf, mahne ich. „Wenn ihr Klamotten horten wollt, dann müsst ihr aufs Land ziehen.“
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