Tel Aviv. Die Stollen unter dem Gazastreifen sollen sich über mehrere Hundert Kilometer erstrecken. Warum eine Stürmung für Israel so heikel ist.
Einen Monat noch, aber nicht länger: Die Geduld der USA, was Israels Offensive im Gazastreifen betrifft, hat Grenzen. Washington drängt Israel, den intensiven Kampf der Bodentruppen in Gaza noch vor Mitte Januar zu beenden und zur nächsten Etappe überzugehen: Rückzug der Truppen, Fortsetzung der Angriffe aus der Luft und gelegentliche Invasionen der Bodentruppen, um gezielt gegen Hamas-Ziele vorzugehen. Die intensiven Kämpfe sollen aber bald ein Ende haben, wenn es nach Washington geht.
Damit kollidiert die Vorgabe des wichtigsten Verbündeten Israels mit der Strategie, die Israels Militärkommando vorgibt. Und die lautet: Kämpfen, bis die Hamas vernichtet ist, bei möglichst geringem Schaden für die eigenen Soldaten. Luftwaffe und Bodentruppen sind dabei aufeinander angewiesen, um Hamas-Ziele auszuforschen und auszuschalten.
Israel vermutet, dass sich die Hamas-Führung in den Tunneln aufhält
Die größte Hürde in dieser Operation besteht auch weiterhin im Tunnelnetzwerk der Hamas. Das von Israel „Metro“ genannte Untergrundsystem soll sich über mehrere Hundert Kilometer erstrecken. Die Armee geht davon aus, dass sich die Spitzen der Hamas in Gaza – angeführt von Jahia Sinwar und Mohammed Deif – in den Tunneln unter Chan Yunis im Süden des Gazastreifens aufhalten.
In den Untergrundkanälen lagern die Terrorgruppen ihre Waffenarsenale, Munition, aber auch Lebensmittel für den eigenen Bedarf. Während die Zivilbevölkerung dem Beschuss ungeschützt ausgeliefert ist und zunehmend Durst und Hunger leidet, schont sich das Establishment der Hamas im Untergrundbunker – in der Hoffnung, dort so lange ausharren zu können, bis Israels Truppen abziehen. Genau deshalb stellt sich Israel gegen einen baldigen Abzug. Man will vermeiden, dass ausgerechnet die Führungsriege der Hamas diesen Krieg unversehrt übersteht.
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Israelische Bodentruppen sind unter der Erde auf sich allein gestellt
Das Tunnelnetzwerk stellt die Armee aber vor Herausforderungen. Bis jetzt haben die Truppen davor zurückgeschreckt, weit in die Tunnel vorzudringen und sich dort intensive Kämpfe mit den Terroristen zu liefern. Dafür gibt es gute Gründe: Während sich die Kämpfe an der Oberfläche auf gut erkundetem Gelände bewegen, ist das Untergrundnetzwerk unbekanntes Terrain. Die Bodentruppen sind im Tunnel auf sich allein gestellt und können aus der Luft nicht unterstützt werden. Im Nahkampf mit den ortskundigen Hamas-Kämpfern, die laufend auf Waffennachschub zurückgreifen können, sind sie dort im Nachteil. Dazu kommt die stete Gefahr, dass die Hamas an den Eingängen zu den Tunneln Sprengsätze platziert hat.
Bis jetzt hat die Armee daher vor allem auf Luftangriffe gesetzt, um die Tunnel zu beschädigen. Dafür sind aber hohe Mengen an Explosionsmaterial nötig: Die Schächte sollen bis in 70 Meter Tiefe reichen und zum Teil mehrere Etagen umfassen. Diese Detonationen reißen immer auch die Gebäude im Umkreis des Treffers mit. Das sorgte schon im Norden – etwa im Stadtteil Jabalia in Gaza-Stadt – für massive Kritik, weil dabei immer auch viele Zivilisten verschüttet und getötet werden.
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Tunnel befinden sich oft unter Krankenhäusern oder Schulen
Das gilt umso mehr für den Süden rund um Chan Yunis: Nach der von Israel verordneten Massenevakuierung ist der Süden extrem dicht besiedelt. 85 Prozent der Bevölkerung in Gaza gelten derzeit als Binnenvertriebene, der Großteil von ihnen harrt im Süden aus. Luftangriffe sind auch deshalb problematisch, weil sich die Tunnel oft unter sensibler Infrastruktur befinden, etwa unter Krankenhäusern oder Schulen.
Israels Armee hat in den vergangenen Tagen zwar mehrstündige Waffenpausen eingerichtet und die Bevölkerung im Süden aufgefordert, bestimmte Teile der Stadt Chan Yunis zu verlassen, um auch dort gegen die Tunnel vorgehen zu können. Diese Informationen dringen aber oft nicht durch, weil die Handynetze nicht intakt sind oder Mobiltelefone nicht geladen werden können.
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Tunnel reichen bis nach Ägypten
Das Tunnelnetzwerk beschränkt sich nicht auf den Gazastreifen, es reicht bis nach Ägypten. Auf diese Weise wird Nachschub an Waffen für die Hamas orchestriert. Dieser Zweig des Tunnelnetzwerks dient den Spitzen der Hamas aber auch als möglicher Exit-Punkt für den Fall, dass die Truppen im Süden näherrücken. Für Israel wird es also entscheidend sein, auch in unmittelbarer Nähe zu Ägypten anzugreifen. Das ist aber aus mehreren Gründen heikel: Einerseits halten sich in der Nähe des Grenzübergangs Rafah derzeit besonders viele Binnenflüchtlinge auf. Andererseits sieht Ägypten diese Angriffe mit einiger Skepsis: Man befürchtet, dass sie Fluchtbewegungen auf ägyptisches Territorium auslösen könnten.
Eine mögliche Option, um die Zahl an zivilen Opfern vergleichsweise gering zu halten und ägyptische Sorgen zu beruhigen, wäre das Fluten der Tunnel mit Meerwasser. Das wurde bereits versucht, als Ägypten große Mengen an Abwasser in einen Teil des Netzwerks leitete.
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Wenn Tunnel geflutet werden – was passiert mit den Geiseln?
Im aktuellen Krieg stellt sich aber das Problem, dass sich immer noch mehr als 130 Geiseln in der Gewalt der Hamas befinden. Israel muss davon ausgehen, dass der Großteil von ihnen im Tunnelsystem festgehalten wird. Die Armee muss alles daransetzen, um die Sicherheit der Geiseln nicht zu gefährden. Das stellt die Militärführung vor ein schweres Dilemma.
Die Geheimdienste sind nun damit beschäftigt, so viel Wissen wie möglich über das Tunnelsystem zu sammeln. Dabei helfen akustische Sensoren und Rauchbomben, aber auch Drohnen und Roboter. Dafür braucht die Armee aber Zeit – und Zeit ist der Faktor, der nun knapp zu sein scheint.
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