Kiew. An der Front setzen den ukrainischen Soldaten nicht mehr nur der Feind, Dauerregen und die Kälte zu – sondern auch ungebetene Besucher.
Der Feind ist im regnerischen Spätherbst nur ein Problem für die ukrainischen Soldaten an der Front. Neben den jüngsten russischen Angriffen ist dieser Tage eine Invasion der etwas anderen Art zu beobachten: Vor allem in den südlichen Gebieten werden Mäuse und Schlangen zunehmend zum Problem in den Schützengräben. Ukrainische Social-Media-Kanäle sind voll mit überwiegend ironischen TikTok-Videos, die diese ungewöhnlichen Umstände eindrücklich zeigen. Gleiches gilt für das russische Netz, denn das Problem existiert natürlicherweise genauso auf der russisch kontrollierten Seite der Frontlinie.
Auf einem der meistgeteilten Videos zeigt ein ukrainischer Soldat zwei große Schlangen und scherzt, dass die Frau und die Schwiegermutter eines Kameraden zu Besuch gekommen seien. In einem anderen Clip schimpft ein Soldat über einen Mäuseschwarm, der sich unter seiner Matratze zusammengedrängt hat. „Sie werden uns fressen“, ruft einer der Kämpfer mit Blick auf die Plage. Ein weiteres Video zeigt, wie Mäuse plötzlich in alle Richtungen rennen, sobald ein Soldat seine Tasche öffnet.
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Dass Mäuse, aber auch Ratten und Schlangen verstärkt die Nähe zu den Menschen suchen, ist nur natürlich. In den Schützengräben stehen oft kleine Kanonenöfen, die für Wärme sorgen – und die Tiere bewegen sich automatisch dorthin, wo es warm ist. Im Vergleich zum Herbst 2022 ist das Ausmaß jedoch neu: Auch vor einem Jahr schon trafen die Soldaten auf Mäuse und Schlangen, allerdings nur vereinzelt. Was auf TikTok oft sogar ganz niedlich aussieht, ist in Wirklichkeit aber ein riesiges Problem für die Militärs, denn es erschwert die Stellungskämpfe im fast ununterbrochenen Regen zusätzlich.
Krieg in Ukraine: Mäuse knabbern an Fingern und Ausrüstung
„Das mag auf den ersten Blick lustig wirken, aber nur auf den ersten Blick“, erzählt Soldat Jewhen Ijewlew im ukrainischen Fernsehen. „Wenn man aufwacht, fängt man stets zwei bis drei Mäuse, die in den Schlafsack gekrochen sind. Es ist nicht besonders angenehm, wenn sie einem am Finger kauen.“ Trotzdem versuchen Ijewlew und seine Kameraden, die Situation mit Humor zu nehmen. „Wir hatten neulich einen Wettbewerb, bei dem die Stellung siegte, die einen halber Eimer Mäuse zusammen bekam.“
Auch das Fotografenpaar Wlada und Kostja Liberow, das oft an der Front arbeitet, hat die durch Mäuseplage in seinen Social-Media-Accounts thematisiert. „In den Schützengräben gibt es Tausende davon – und sie haben Angst vor nichts. Sie stören nicht nur den Schlaf der Soldaten, sondern fressen auch deren Ausrüstung“, schreiben die Fotografen. Einer der Soldaten habe den Fotografen seinen Helm gezeigt, der umgerechnet rund 800 Euro kostet. Er sei über Nacht von innen angefressen worden. Dabei sind zerstörte Helme noch das kleinere Problem für die Soldaten.
Mäuse in Schützengräben: „Sie sind überall. Sie zerstören alles“
Denn die Mäuse beschädigen auch Kabel der Starlink-Terminals, was im schlimmsten Fall für einen Ausfall jeglicher Kommunikation mit der Außenwelt sorgen kann. Das Problem ist so akut, dass es inzwischen sogar Spendenaufrufe gibt, um den Kampf gegen die Plage zu unterstützen. „Es ist eine seltsame, aber absolut notwendige Spendensammlung“, betont eine Kiewer Bar in ihrem Aufruf. „Mäuse und Ratten sind Geschöpfe Gottes. Sie sind schön, klug, zumindest nicht dumm, aber heimtückisch. Und gäbe es die verdammten Russen nicht, müssten wir die Nagetiere auch nicht töten. Doch sie sind überall. Sie zerstören alles: Lebensmittel, Medikamente, Kleidung, Lederwaren, Kabel.“
Die Bar hat deshalb einen recht abenteuerlich klingenden Plan entwickelt: Mit Drohnen sollen die gesammelten Spenden direkt an die Front geflogen und dort abgeworfen werden. Was genau abgeworfen werden soll, scheint Gegenstand von Diskussionen gewesen zu sein. „Wir sind zum Entschluss gekommen, kein Gift zu kaufen. Dort, an der Front, ist deren Einsatz zu gefährlich“, schreibt die Bar. „Daher werden wir auf das Zuverlässigste setzen: Klett- und Elektrofallen, einmalige und wiederverwendbare, in großer Stückzahl.“ Im Kampf gegen die Mäuse haben die Soldaten aber auch einen natürlichen Helfer.
Katzen werden in ukrainischen Schützengräben immer beliebter
„Katzen sind in den Schützengräben immer gern gesehen“, erzählt etwa Kostjantyn, der als Koch in einer ukrainischen Armee-Brigade eingesetzt ist. Seinen vier Monate alten Kater hat er mit an die Front gebracht. „Er ist zwar erst vier Monate alt, fängt die Mäuse aber bereits seit zwei Monaten sehr erfolgreich.“ Ein anderer Kater ist in den vergangenen Wochen sogar zum Star in den sozialen Medien aufgestiegen: Syrskyj, der dem Soldaten Roman Synyzyn gehört, und über dessen Erfolge der Ukrainer auf X (ehemals Twitter) immer wieder berichtet, beflügelte zuletzt die Memes in den ukrainischen Kanälen.
Syrskyj macht sogar Patron, dem ukrainischen Sprengstoffspürhund im Dienste des Katastrophenschutzes, Konkurrenz. Der Jack Russell Terrier hatte kurz nach Kriegsbeginn landesweit Schlagzeilen gemacht, indem er nicht detonierte russische Minen aufgespürte. Inzwischen gibt es sogar durchaus beliebte Zeichentrickfilme über ihn. Zur Realität gehört jedoch auch, dass es nie genug Katzen geben wird, um der Zahl an Mäusen, Ratten und Schlangen in den Schützengräben Herr zu werden. Ein Grund, warum selbst die wildesten Spendenaktionen für technische Lösungen in diesem ungleichen Kampf Sinn ergeben.
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