Kiew. Komiker Tymoshenko lässt Gäste den Krieg für ein paar Stunden vergessen. Die Gefahr ist ihm bewusst. Warum macht er trotzdem weiter?
„Liebe Deutsche, danke für eure Leoparden. Ich hätte nie gedacht, einmal zu sagen, dass ich froh bin, wieder deutsche Panzer in der Ukraine zu sehen. Aber beim ersten Mal seid ihr schneller gewesen.“ Anton Tymoschenko lacht, als er den Witz erzählt. Es ist einer seiner Lieblingswitze über die Deutschen.
Tymoschenko, 29, sitzt in einem Restaurant am Goldenen Tor im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt. Im Keller ist der „Underground Stand-up-Club“, in dem er und befreundete Comedians nahezu jeden Abend auftreten und das Kiewer Publikum unterhalten. Ihre Shows sind immer gut besucht. Comedy in Zeiten des Krieges. Wie passt das zusammen?
Vor dem russischen Überfall im Februar vergangenen Jahres war die ukrainische Hauptstadt ein Ort, an dem das kulturelle Leben pulsierte. In den Clubs in Kiew wurden ausgelassene und überschäumende Partys gefeiert. „Kiew war ein wenig wie Berlin. Wahrscheinlich wollen die Russen es deshalb zerstören“, sagt Tymoschenko und lacht wieder. In den ersten Wochen nach dem Überfall, als die russischen Streitkräfte im Norden Kiews stehen, bricht das öffentliche Leben zusammen. Die Straßen sind leer, die Clubs und Restaurants geschlossen.
Das ändert sich schnell, als sich die Russen im April aus der Umgebung der Hauptstadt zurückziehen. Tymoschenko denkt zu dieser Zeit in einem Bunker nach, wie er seine erste Show aufziehen soll. Er stammt aus einem kleinen Dorf nahe der Stadt Nikopol im Süden des Landes. Er hat Politikwissenschaften studiert, seine wahre Leidenschaft ist aber die Comedy. Schon als Jugendlicher hat er seine Mitschüler unterhalten. Im „Keller der Kultur“ laden er und andere Comedians zur ersten Show ein, kurz nachdem die Russen ihren eisernen Würgegriff um die Hauptstadt gelockert hatten.
Prominente Gäste wie David Letterman und Stephen Fry waren bereits zu Gast
„Damals sind vielleicht 50 Leute gekommen. Es war die beste Show, die ich bislang erlebt habe. Die Menschen haben so herzhaft gelacht.“ Der März sei die wahrscheinlich härteste Zeit im Leben der Kiewer gewesen. „Die Leute standen unter massivem Druck, körperlich wie seelisch. Humor hilft dir, diesen Druck loszuwerden.“ Was im Frühjahr vergangenen Jahres funktioniert hat, erzielt auch heute seine Wirkung. Tymoschenko spielt mittlerweile vor größerem Publikum. „Ich bin der größte Comedian in der Ukraine.“ Er zögert einen Moment und grinst. „Nach Selenskyj natürlich.“
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Tatsächlich folgen dem jungen Mann Hunderttausende in den sozialen Netzwerken. Auf YouTube hat er Shows auf Englisch veröffentlicht, das hat ihm auch international Bekanntheit verschafft. Der legendäre US-amerikanische Late-Night-Talker David Letterman war im Dezember da, Stephen Fry, der englische Komiker, Schauspieler und Moderator, hat den „Underground Stand-up-Club“ erst vor wenigen Tagen besucht. Tymoschenkos Humor ist dunkel. Der Krieg durchzieht das Programm.
„Wie reagieren Leute in Bunkern auf Comedy? Nun ja, die Leute reagieren im Bunker auf alles positiv, was nicht wie eine Rakete oder ein Gewehr klingt. Es könnte die letzte Stand-up-Show ihres Lebens sein. Wenn sie den Tod mit meinem Stand-up in dieser Situation vergleichen, hören sich meine Witze gar nicht so schlecht für sie an.“
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Tymoschenko: „Unsere Witze zeigen, dass die Russen uns keine Angst machen können“
Natürlich ist Tymoschenko klar, dass es auf diejenigen, die im Frieden leben, verstörend wirken kann, wenn sie Comedy-Videos aus einem Land sehen, in dem Krieg herrscht, in dem so viele Menschen sterben. „Ich wache jeden Tag auf und denke: Was? Ich schreibe Witze während des Krieges? Wie werde ich das meinen Kindern und Enkeln erzählen?“ Aber ohne den Humor und die Lust, das Leben zu feiern, würde in der Ukraine alles zusammenbrechen, ist sich der 29-Jährige sicher. „Wenn Menschen lachen, dann ist das ein glücklicher Moment in der Welt. Es ist wie eine Therapie.“
Dass die Menschen in seinen Shows und über den Wahnsinn, der in ihrem Land tobt, lachen können, zeige außerdem, dass die Russen „es nicht schaffen, uns zu demoralisieren“. „Unsere Witze zeigen, dass die Russen uns keine Angst machen können.“ Der Krieg aber habe seinen Blick auf die Welt verändert, räumt er ein. „Manchmal fehlen mir meine Gefühle. Es ist, als habe ich eine Aufgabe zu erfüllen. Witze machen, Leute zum Lachen bringen, Geld für die Armee sammeln.“ Die meisten der Einnahmen aus den Shows spenden Tymoschenko und andere Comedians für die Armee, beispielsweise zur Anschaffung von Kamikaze-Drohnen oder Ambulanzwagen.
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Vor der Annexion der Krim im Jahr 2014 und dem Beginn des Krieges im Donbass habe Russland viel Geld investiert, um russische Kultur in der Ukraine populärer zu machen, erzählt Tymoschenko. Russische Comedians, russische Musiker und russische Filme waren angesagt. Wer etwas in der Szene werden wollte, musste nach Moskau gehen. „Nach 2014 haben wir verstanden, dass wir nicht nur unsere territorialen Grenzen, sondern auch unsere kulturellen Grenzen sichern müssen.“
Schauspielerin Koschmal: „Die Menschen brauchen positive Emotionen“
Der Krieg, glaubt Tymoschenko, hat die Menschen im Land näher zusammenrücken und sich ihrer eigenen Identität besinnen lassen. Davon ist auch Anna Koschmal überzeugt. Die 28-Jährige ist eine der bekanntesten jungen Schauspielerinnen in der Ukraine. Sie hat in der Fernsehserie „Diener des Volkes“ an der Seite des heutigen Präsidenten gespielt. „Wir haben angefangen, unsere eigene Kultur zu erforschen. Sie ist uns viel näher als die russische Kultur, die uns jahrelang aufgezwungen wurde“, sagt sie. Der Krieg sei „ein starker Schub für unsere kulturelle Front“.
Koschmal steht auf einer Brücke, von der aus man auf den Maidan blicken kann, den Platz im Herzen Kiews, von dem aus 2014 Demonstranten die damalige prorussische Regierung stürzten. Seit Februar dieses Jahres sind die Theater in der Ukraine wieder geöffnet. Ein Jahr waren sie geschlossen, um bei Luftangriffen nicht zu viele Menschen zu gefährden. Koschmal ist begeistert über die Entscheidung. „Trotz des Krieges wieder auf der Bühne stehen zu können, war für uns Schauspieler ein großer Sieg. Die Menschen brauchen positive Emotionen“, sagt sie.
Die Säle seien immer ausverkauft, auch in den frontnahen Städten wie Saporischschja, Charkiw oder Dnipro. „Die Menschen kommen nach unseren Auftritten mit Tränen in den Augen und mit zitternden Händen zu uns und danken uns, weil sie die Angst und den Krieg für zwei Stunden vergessen konnten.“ Manchmal, wenn der Luftalarm ertöne und die Auftritte eigentlich abgebrochen werden müssten, dränge das Publikum häufig darauf, einfach weiterzumachen.
Manchmal gibt es Drehpausen, wenn der Luftalarm ertönt
Hauptsächlich, erzählt Koschmal, führten sie jetzt Komödien auf, ukrainische Klassiker in modernem Gewand. „Stellen Sie sich vor, wir drehen auch Filme während des Krieges.“ Kürzlich war sie am Set einer Filmproduktion, als plötzlich der Luftalarm gellte. „Es gab aber keine Meldung über einen Raketenstart, also haben wir einfach weitergedreht. Dann ist eine Kinschal-Rakete über uns explodiert.“
Kinschals, das sind russische Hyperschallraketen, die häufig die ukrainische Luftabwehr überwinden. „Wir haben uns das Feuerwerk über unseren Köpfen angeschaut und gesehen, wie die Trümmer herunterregneten.“ Als sie eine zweite Explosion hörten, rannten sie in den Schutzraum. Nach einer Viertelstunde drehten sie weiter.
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