Neu-Delhi. Der G20-Gipfel zeigt: Die Welt ordnet sich neu. Indien, Afrika und der globale Süden rücken auf. Und eine Allianz wird noch enger.
Andächtig und barfuß stehen sie da, die Köpfe gesenkt für eine Ikone des Friedens. Es sieht einmütig aus, wie sich die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten am Sonntag um das blumengeschmückte Mahnmal in der Gedenkstätte für Mahatma Gandhi sammeln: US-Präsident Joe Biden neben dem britischen Premier Rishi Sunak, Bundeskanzler Olaf Scholz, gut zu erkennen an der Augenklappe, der chinesische Ministerpräsident Li Qiang. Selbst der russische Außenminister Sergej Lawrow ist dabei. Doch auch Gandhi kann nicht darüber wegtäuschen, dass der G20-Gipfel, der am Sonntag zu Ende ging, voller Spannungen war. Es bleiben fünf Lehren, die man aus dem Gipfel ziehen kann:
Der Ukraine-Krieg dominiert noch immer alles
Auch im zweiten Jahr nach Russlands Überfall auf die Ukraine überschattet der Krieg das Treffen der 20 Industriestaaten und größten Schwellenländer. Kein anderes Thema war so umstritten in den Verhandlungen wie die Absätze zum Ukraine-Krieg.
Nachdem die Abschlusserklärung vor einem Jahr in Bali überraschend deutlich das "enorme menschliche Leiden" betont und den Krieg verurteilt hatte, hatten westliche Diplomaten dieses Jahr schon im Vorfeld eifrig Erwartungsmanagement betrieben: Damit sei in dieser Schärfe nicht noch einmal zu rechnen, lautete die Botschaft. Auch, weil die Erklärung 2022 klar gemacht hatte, dass das nur die Sichtweise der "meisten", keineswegs aber aller G20-Staaten war. Gastgeber Indien wollte aber dieses Jahr eine Formulierung finden, der alle Mitglieder zustimmen können.
Im Ergebnis reichte es dieses Mal nur für eine implizite Verurteilung des Krieges, unter Verweis auf entsprechende UN-Resolutionen, und einen Satz zur Unverletzlichkeit der territorialen Integrität von Staaten. Wiederholt wird außerdem, dass der Einsatz von Nuklearwaffen unzulässig sei. Von deutscher Seite wird das Ergebnis trotzdem als Erfolg gewertet.
Andere wichtige Themen traten angesichts des Ringens um die Ukraine-Passage in den Hintergrund. So fand etwa wenig Echo, dass die G20 eine Verdreifachung der globalen Kapazität erneuerbarer Energien bis 2030 anstreben. Ein klares Bekenntnis zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, auf das Klimaschützer vor der Weltklimakonferenz Ende des Jahres gehofft hatten, fehlt aber.
Indien stärkt seinen Einfluss auf der Weltbühne
Das Echo im Gastgeberland auf das Gipfel-Ergebnis ist euphorisch: Indien habe "Geschichte geschrieben und der globalen Bühne den Stempel seiner Autorität aufgedrückt", schreibt die "Times of India". Tatsächlich hat die indische G20-Präsidentschaft viel investiert, um eine gemeinsame Erklärung zu erreichen und am Ende dem Vernehmen nach mit Geschick und einem riskanten Manöver dafür gesorgt, dass es tatsächlich ein Abschlussdokument gibt.
Für Indiens Premierminister Narendra Modi geht damit seine Strategie auf, sich und sein Land als Schwergewicht auf der diplomatischen Bühne zu präsentieren – rechtzeitig vor den Parlamentswahlen im kommenden Jahr.
Russland und China rücken noch näher zusammen
Dass anders als im vergangenen Jahr deutlichere Worte zur Ukraine nicht möglich waren, lag auch daran, dass die Allianz zwischen China und Russland in diesem Jahr offenbar belastbarer war als noch im vergangenen. Peking hatte nach Angaben aus Teilnehmerkreisen keine Anstalten gemacht, Druck auf Russland auszuüben.
Der Gipfel illustriert auch, wie abhängig Russland inzwischen von der Unterstützung Pekings auf internationaler Bühne ist. Raum für Widerspruch im Konfliktfall bleibt da kaum. Das zeigte zuletzt die Nicht-Reaktion Moskaus, als auf einer von Peking veröffentlichten offiziellen Karte in der vergangenen Woche russische Gebiete plötzlich chinesisch schraffiert waren.
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Xi könnte sich mit seiner Abwesenheit geschadet haben
Warum der chinesische Staatschef Xi Jinping dem Treffen in diesem Jahr ferngeblieben war und stattdessen seinen Ministerpräsidenten geschickt hatte, ist noch immer nicht klar – eine Erklärung dafür hat Peking nicht geliefert. Ob Xi den Interessen seines Landes damit einen Gefallen getan hat, kann man aber bezweifeln.
Nicht nur gab sein Fernbleiben dem indischen Premier Modi allen Raum, sich als Stimme des globalen Südens zu präsentieren. Es ließ auch viel Platz auf der Bühne für die Präsentation eines Projekts, das als direkte Konkurrenz zur "Neuen Seidenstraße" Chinas verstanden werden kann: Am Sonnabend präsentierten die USA, Saudi-Arabien, die EU, die Vereinigten Arabischen Emirate und Indien eine Vereinbarung darüber, dass sie Indien, den Nahen Osten und Europa per Schiff, per Schiene und mit Daten- und Stromnetzen zu einem neuen Wirtschaftskorridor verbinden soll.
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Der globale Süden wird nicht mehr an den Seitenlinien stehen
Der Westen gegen Russland und China, und der Rest der Welt schaut zu? Ein Auslaufmodell, auch das macht dieser Gipfel klar. Die Länder des globalen Südens – angeführt von Indien – haben in Neu-Delhi gezeigt, dass sie selbst daran arbeiten, die Welt zu formen. Dabei haben die diesjährigen Vorsitzenden aus Indien auch eng zusammengearbeitet mit ihren Nachfolgern aus Brasilien (Präsidentschaft 2024) und Südafrika (2025).
Die Aufnahme der Afrikanischen Union in die G20 stellt sicher, dass Entwicklungs- und Schwellenländer und vor allem der afrikanische Kontinent in Zukunft noch deutlich mehr den Kurs der Gruppe prägen werden.
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