Berlin. Putin ist gedemütigt worden. Was wird er jetzt tun? Militärexperte Gressel hält Erschießungen für möglich – doch es gibt ein Problem.

Für Kreml-Chef Wladimir Putin ist der Aufstand der Wagner-Söldner, auch wenn er abrupt beendet wurde, ein großes Problem. Er steht nun mehr denn je unter Druck. Was nach Einschätzung des Militärexperten Gustav Gressel nun passieren müsste, damit das Putin-Regime nicht zerfällt, und wie sich der Aufstand auf die Moral der russischen Soldaten an der Front in der Ukraine auswirken könnte.

Herr Gressel, wie erklären Sie sich, dass Jewgeni Prigoschin den bewaffneten Aufstand seiner Wagner-Söldner so abrupt beendet und sich nach Belarus abgesetzt hat?

Gustav Gressel: Es ist mir völlig rätselhaft. Ich habe keine Erklärung dafür. Vielleicht hat er sich auf jemanden in Moskau verlassen, der ihm die Türen zur Stadt hätte öffnen sollen, aber im letzten Moment einen Rückzieher gemacht hat. Ich weiß aber wirklich nicht, was Prigoschin geritten hat, diesen Deal anzunehmen. Er ist ein wandelnder toter Mann. Putin lässt Verräter in London umbringen, in Belarus dürfte es wesentlich einfacher sein.

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Zumal die Operation bis zum Samstagabend problemlos verlief…

Gressel: Richtig. Es gab keinen nennenswerten Widerstand des Militärs, die Nationalgarde hat die Waffen niedergelegt. Der Marsch auf Moskau war erfolgreich.

Was bedeutet das, was da passiert ist, für das Regime Putin?

Gressel: Das Regime ist der Kugel gerade noch ausgewichen. Aber es ist natürlich trotzdem eine Riesenblamage. Der Aufstand zeigt, wie groß die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und im Militär ist. In Rostow am Don haben Menschen den Aufständischen zugejubelt, das Militär hat kaum etwas unternommen, um Prigoschin und seine Leute zu stoppen.

In Rostow am Don wurden die Wagner-Kämpfer von der Bevölkerung herzlich empfangen. Manche gaben ihnen auch Essen und Wasser.
In Rostow am Don wurden die Wagner-Kämpfer von der Bevölkerung herzlich empfangen. Manche gaben ihnen auch Essen und Wasser. © AFP | ROMAN ROMOKHOV

Putin kann sich also nicht mehr auf das Militär verlassen?

Gressel: Im Grunde genommen müsste er jetzt zu Säuberungen ansetzen und Offiziere erschießen oder verhaften lassen. Die Frage ist nur, ob er sich das in einem Krieg leisten kann. Vorbei ist das alles aber mit Sicherheit noch nicht.

Haben wir gestern einen historischen Tag erlebt, der das Ende Putins einläutet?

Gressel: Vielleicht werden wir in der Zukunft von einem historischen Tag sprechen. Ich sehe das Regime in einer Abwärtskurve, aber bis es zerfällt, können noch Jahre vergehen. Prigoschin war die Galionsfigur der Unzufriedenen. Einen anderen Mann mit seiner Reichweite und seinen Möglichkeiten gibt es derzeit nicht. Putin ist aber geschwächt und lächerlich gemacht worden.

NameWladimir Wladimirowitsch Putin
Geburtsdatum7. Oktober 1952
GeburtsortSankt Petersburg
AmtPräsident der Russischen Föderation
Im Amt seit2000 (Unterbrechung von 2008 bis 2012)
FamilienstandGeschieden, mindestens zwei Kinder
Größeca. 1,70 Meter

Was bedeutet der Aufstand für den Krieg in der Ukraine, insbesondere für die Motivation der russischen Soldaten an der Front?

Gressel: Sie könnten sich sicherlich fragen, warum sie überhaupt noch kämpfen. Allerdings ist die Informationswelt der Soldaten an der Front noch deutlich eingeschränkter als die der normalen russischen Bürger. Während des Aufstands haben die Russen versucht, Nachrichten zu unterdrücken, vielerorts wurden die Mobiltelefone von Soldaten eingesammelt. Die Ukrainer haben versucht, Nachrichten einzuspeisen, aber da sie der Feind sind, stößt so etwas eher auf Misstrauen.

Können die Ukrainer das Chaos für ihre Gegenoffensive nutzen?

Gressel: Es gibt tatsächlich einige kleinere ukrainische Fortschritte. So haben sie bei Bachmut Boden gut gemacht, außerdem haben sie ein Gebiet bei Donezk befreit, das seit 2014 unter der Kontrolle prorussischer Separatisten war.