Berlin. Was steckt hinter den Drohnenattacken auf Moskau und Kiew? Sicher ist: Dieser Krieg wird nicht nur auf dem Schlachtfeld ausgetragen.
Der Ukraine-Krieg geht in eine neue Dynamik. An den Frontlinien gibt es kaum Bewegung. Die monatelangen schweren Kämpfe rund um die ostukrainische Stadt Bachmut sind nach dem Abzug der Privatarmee Wagner abgeflaut. Neu sind hingegen die massiven Drohnenangriffe auf Kiew, die seit Mitte Mai trommelfeuerartig zugenommen haben. Am Dienstag gab es auch Drohnenattacken auf Moskau.
Es handelt sich offenbar um einen Drohnenkrieg, dessen Hintergründe zum Teil im Dunkeln liegen. Das russische Verteidigungsministerium präsentierte nach dem Angriff auf Moskau Teile einer Drohne, die ein Geschoss vom ukrainischen Typ UJ-22 zeigen sollen. Der Flugkörper hat eine Reichweite von rund 800 Kilometern, könnte also durchaus aus der Ukraine abgefeuert worden sein.
Experte: Ukrainer wollen Putin ans Bein pinkeln
Militärexperten in Deutschland schwanken in ihrer Einschätzung. Gustav Gressel von der Berliner Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“ hält es für „relativ eindeutig“, dass die Ukrainer hinter der Drohnenattacke stehen. Allerdings sei der militärische Nutzen gering. Es handele sich eher um einen Akt der psychologischen Kriegsführung, um Präsident Wladimir Putin – salopp gesagt – ans Bein zu pinkeln.
Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik tippt hingegen auf manipulierte Fotos und Videos der Russen, um die Ukraine als „Terrorstaat“ zu diskreditieren und von eigenen Luftangriffen auf Wohnhäuser in Kiew abzulenken. Motiv: Die Unterstützung für die Ukraine in westlichen Gesellschaften soll angesichts dieser „Rache-Aktionen“ löchrig werden.
Poker um Gegenoffensive: In der russischen Gesellschaft ist Anspannung zu spüren
Beide Theorien könnten zutreffen. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass ukrainische Kräfte dahinterstecken. Urheber muss nicht die Luftwaffe sein, es könnte zum Beispiel auch der Geheimdienst zugeschlagen haben. Dieser Krieg wird nicht nur auf dem Schlachtfeld ausgetragen.
Die Verbreitung von Verunsicherung gehört in den Instrumentenkasten der psychologischen Kriegsführung. Die Ukrainer haben ein Interesse daran, in der Bevölkerung und in der Elite Russlands Zweifel an Putin und am System Putin zu säen.
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Die russische Militärführung ist bereits durch vielfältige Kritik angeknackst, nicht zuletzt durch die verbalen Rundumschläge des Chefs der Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin. Hinzu kommt, dass in der russischen Gesellschaft durchaus Anspannung zu spüren ist. Man weiß nicht, wann die Gegenoffensive der Ukrainer kommt und an welchen Stellen sie ansetzt. Die Drohnenangriffe auf Moskau wären vor diesem Hintergrund eine Art Psychowaffe.
Das Kalkül des Kremlchefs: Irgendwann wird der Westen kriegsmüde
Klarer liegen die Motive bei den russischen Drohnenattacken auf die Ukraine, vor allem auf die Hauptstadt Kiew. Russland will die Ukrainer zermürben, ihren Widerstandswillen brechen, bevor die eigentliche Frühjahrsoffensive startet. Auffällig ist, dass sich die Luftangriffe nicht mehr in erster Linie auf Ziele der kritischen Infrastruktur wie Kraftwerke oder Fabriken richten, sondern auf Wohngebiete.
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Die Dohnen-Attacken haben aber noch eine weitere Stoßrichtung: Sie sind Teil der Vernichtungs-Strategie, die Putin mit langem Atem verfolgt. Im praktisch-militärischen Sinn soll die Luftabwehr der Ukrainer durch den Dauerbeschuss aufgebraucht werden. Das wiederum führt zu weiteren Forderungen nach Waffenlieferungen.
Irgendwann – so Putins Kalkül – werden die Gesellschaften zwischen Washington und Berlin kriegsmüde. Der Ruf nach Verhandlungen um jeden Preis dürfte dann immer lauter werden. Die Politiker im Westen müssen sich wappnen. Der Drohnenkrieg ist auch ein Psychokrieg.
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