Sundern. Waldbesitzerin Elke Gerling ist sauer, weil ihr Eigentum nicht mehr zu retten ist. Schuld sei nicht allein der Käfer, sondern auch die Politik.

Elke Gerling hat viel über den Borkenkäfer gelesen in den vergangenen Jahren. Aber eines will die Waldbesitzerin aus Sundern nicht akzeptieren: dass allein ein Naturereignis für das Fichtensterben verantwortlich ist. Beim Krisenmanagement seien schlimme Fehler gemacht worden, sagt die 57-Jährige.

Der Wald im Sauerland stirbt. Wo bleibt der gesellschaftliche Aufschrei?

Elke Gerling: Das frage ich mich auch. Man sagt den Deutschen eine besondere Liebe zum Wald nach. Heimische Naturschutzverbände setzen sich weltweit vehement gegen die Rodung von Wäldern ein. Ein Kahlschlag gilt in ihren Augen grundsätzlich als Frevel. Da überrascht es mich schon, dass ich öffentlich seitens Nabu und Co. noch kein kritisches Wort zum Fichtensterben im Sauerland gelesen habe. Auch die grüne Landtagspartei hätte längst Alarm schlagen müssen. Die Kahlschläge richten ja nicht nur einen wirtschaftlichen, sondern auch einen ökologischen Schaden an. Bürgermeister, die ihren Kommunalwald verloren haben oder zu verlieren drohen, hätten kritisch nachfragen können: Es handelt sich um öffentliches Vermögen.

Elke Gerling, Waldbesitzerin aus Sundern im Sauerland, wirft der Politik vor, nach dem Sturm Friederike im Januar 2018 versagt zu haben.
Elke Gerling, Waldbesitzerin aus Sundern im Sauerland, wirft der Politik vor, nach dem Sturm Friederike im Januar 2018 versagt zu haben. © Privat | Handout

Wie groß ist denn der Schaden?

Die Schadholzmenge durch Borkenkäfer beläuft sich landesweit – Stand Mai 22 – auf etwa 39,6 Millionen Kubikmeter. Wenn ich davon ausgehe, dass die abgeholzten Bäume im Durchschnitt eine Masse von etwa einem Kubikmeter hatten, dann reden wir über fast 40 Millionen Bäume allein in NRW. Und das Sterben geht weiter.

Was hat das für Folgen?

Diese Bäume sind nicht nur als CO2-Speicher verloren. Sie erfüllen auch ihre Wasserspeicherfunktion nicht mehr. Ausreichende Grundwasserspiegel spielen eine immer wichtigere Rolle. Das erleben wir gerade besonders in Norditalien, aber auch in Gemeinden im Kreis Höxter. Es sind aber nicht nur sinkende Grundwasservorräte, die uns Sorgen bereiten. Die Fichten haben auch jede Menge Stickstoff aus der Luft aufgenommen. Wenn wir Pech haben, reichert dieser Stickstoff jetzt die Wasservorräte mit immer mehr Nitrat an, weil eben jene Filterfunktion fehlt. Dazu kommt der wirtschaftliche Schaden, denn die Bauholzvorräte im Sauerland schmelzen jeden Tag ein wenig mehr. Das wird Konsequenzen für die Sägeindustrie haben.

Aber hätten die Waldbesitzer das nicht früher anpacken können?

Hätten meine Vorfahren schon den Begriff Klimaerwärmung gekannt, wäre ihre Baumartenwahl vermutlich anders ausgefallen. Trotz allem haben eben jene 40 Millionen Bäume ihre Gemeinwohlleistungen, also Wasserspeicher, Schadstofffilter, CO2-Speicher, Bauholz, solide erfüllt. Wir werden absehbar keinen Wald haben, der das auch nur annähernd ersetzen kann. Vor allem auch, weil die Wiederaufforstung bedingt durch Trockenheit, Schadinsekten und Wildverbiss schwierig wird. Ein kluges, pragmatisches und übergeordnetes Krisenmanagement vom Tage des Sturms Friederike an (Januar 2018; Anmerkung der Redaktion) hätte die Sauerländer Fichtenwälder vor einem Massenbefall durch den Borkenkäfer schützen können. Sehen Sie es mal so: Sie sind Pendler und fahren ein altes Auto. Nur weil es demnächst vielleicht nicht mehr durch den Tüv kommt, verschrotten Sie es nicht, ehe Sie ein Neues haben. Sie sind ja darauf angewiesen.

Hätte das Waldsterben im Sauerland verhindert werden können?

Ja. Ich stelle fest, dass die Trockenheit die Vermehrung des Käfers sicherlich begünstigt hat, aber die etwa 40 Millionen Fichten sind letztendlich nicht an der Trockenheit gestorben, sondern an einem mieses Krisenmanagement. Das ist etwas anderes als beispielsweise das Buchensterben in Ostwestfalen-Lippe oder das Kiefernsterben in Brandenburg. Dort sind ganze Wälder tatsächlich vertrocknet. Es grenzt an Volksverdummung, wenn hier im Sauerland das Versagen der Verantwortlichen mit „Wetter“ entschuldigt wird.

Was lief denn schief?

Eigentlich alles, was schieflaufen konnte. Der Kampf gegen den Borkenkäfer ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Sie haben etwa sechs Wochen, um einen befallenen Baum zu fällen und aus dem Wald ins nächste Sägewerk zu schaffen. Das ist der Zeitraum vom Befall eines Baumes bis zum Ausflug der jungen Käfer. Und die Vermehrung erfolgt exponentiell. Borkenkäferbekämpfung ist wie ein Feuerwehreinsatz. Je schneller ein kleiner Brand unter Kontrolle gebracht wird, desto geringer ist der Gesamtschaden. Es mag überraschend klingen, aber Ausgangspunkt der Katastrophe war der Sturm Friederike, der in bestimmten Regionen für hohe Schadholzmengen sorgte. Durch den Sturm geworfene Bäume sind bezüglich des Borkenkäfers eine Art „tickende Zeitbombe“. Denn diese Bäume sind für Buchdrucker und Kupferstecher eine ideale Brutstätte. Trotzdem wurde das Sturmholz in einigen Regionen viel zu langsam aufgearbeitet und abtransportiert. Damit hatte man schon im Sommer 2018 regionale Borkenkäferepizentren geschaffen. Hinzu kommt ein erheblicher Mangel an ausgebildeten Förstern und Forstwirten. Ihre Arbeit ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Kalamitätsbewältigung. Außerdem reagierte das damalige Umweltministerium NRW zu spät, zu wenig entschlossen und zu bürokratisch. Dort wurde im Jahr 2019 ein Förderkatalog aufgelegt, mit dem die Waldbauern bei ihrem Kampf gegen den Borkenkäfer unterstützt werden sollten. Das einzig sinnvolle Instrument darin war die finanzielle Unterstützung der Waldbesitzer bei der Flächenräumung. Alle anderen förderfähigen Käferbekämpfungsmaßnahmen waren und sind in dieser Krisensituation allenfalls ein schlechter, grün-ideologischer Scherz, und es steht zu befürchten, dass auch unser neuer Umweltminister daran nichts ändern wird. Das Thema Forstschutz und Borkenkäferbekämpfung war für mich im schwarz-grünen Koalitionsvertrag nicht auffindbar, dabei könnte uns genau dieses Thema noch lange beschäftigen. Zur Wahrheit gehört aber leider auch, dass Waldbesitzer selbst diese Themen ignorieren.

Wie meinen Sie das?

Es gibt Waldbesitzer, die in der Krise die Augen zu gemacht und die Käferbekämpfung verweigert haben. Sie rechtlich zu belangen, wenn sich aus ihrem Wald der Befall in Nachbarwälder ausbreitet, ist nach derzeitiger Gesetzeslage nahezu unmöglich. Wir reden in diesem Zusammenhang nicht nur von ignoranten Privatwaldbesitzern, sondern bedauerlicherweise auch vom Wald in öffentlicher Hand. Für alle anderen, die sich engagieren, ist das frustrierend. Inzwischen gleicht die Borkenkäferbekämpfung dem Kampf gegen Windmühlen. Selbst wenn ein bestimmtes Gebiet vor dem Winter „käferfrei“ sein wird, geht der Befall im kommenden Frühjahr weiter.

Also ist der Kampf verloren?

In jedem Winter legt der Borkenkäfer eine Ruhephase ein. Zeit, seine Maßnahmen und Strategien zu hinterfragen und anzupassen. Wir befinden uns nun im fünften Krisensommer. Es hat sich aus meiner Sicht nichts geändert. Die Politik hat lange versucht, die Krise mit Bürokratie und Geld zu lösen. Der Borkenkäfer lässt sich aber nicht bestechen und „aus dem Wald kaufen“. Insofern können Fördergelder keine Organisationsdefizite ausgleichen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Sauerland in einigen Jahren komplett entfichtet ist.

Welches Resümee ziehen Sie persönlich?

Wir hatten hier so etwas wie ein grünes Vorzeigeprojekt im Hinblick auf regionale Vermarktungsstrukturen. Wald, Sägewerke und Kunden an einem Standort mit kurzen Transportwegen. Das hat sich wohl bald erledigt. Stattdessen werden ahnungslose Bürger als Waldretter mit Pflanzhacke und Spaten auf die Kahlflächen geschickt, um einen Wald wieder aufzuforsten, der gar nicht hätte sterben müssen. Wenn dieses Desaster noch irgendetwas Gutes hervorbringen kann, dann die Umsetzung eines nationalen forstlichen Risiko- und Krisenmanagements, das unabhängig von politischem oder ideologischem „Gehabe“ schnell und flexibel handeln kann. Das setzt jedoch eine ehrliche Aufarbeitung der vergangenen Jahre voraus. Der Wald wäre es wert!

Insektizideinsatz nicht mehr verpönt

Es wird Zeit, sich an einen neuen Namen zu gewöhnen. Nach dem Borkenkäfer macht nun der Große Braune Rüsselkäfern Waldbesitzenden und Förstern immer mehr Sorgen. Denn das 1,3 bis 20 Millimeter große Insekt fällt gerade über die von der Trockenheit geschwächten Bäume her. Und es mag alle Nadelbaumarten, auch die Exoten.

Altbekannt, aber so gefräßig wie eh und je: der Borkenkäfer, insbesondere der Kupferstecher. Auch in den höheren Lagen des Sauerlandes tauchten zuletzt immer mehr Tiere in den Fallen auf. „Es gibt keinen Grund zur Entwarnung“, mahnten die Experten deshalb in der jüngsten Sitzung der vom Landesumweltministerium eingesetzten Task Force Borkenkäfer.

Mittlerweile dürfte die geschädigte Fläche in Nordrhein-Westfalen demnach die Marke von 130.000 Hektar überschritten haben. Davon ist bisher nur ein Bruchteil wieder aufgeforstet. Die Forsteigentümer seien zunehmend frustriert, berichtet der Waldbauernverband NRW. Die Dürre macht auch den jungen Pflanzen zu schaffen. Viele gehen ein.

Immer häufiger weisen die Fachleute in der Task Force jetzt übrigens auf den möglichen Einsatz von Insektiziden hin; das war unter der ehemaligen NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) verpönt. „Bei einem erkannten Befall wird der Insektizideinsatz alternativlos sein“, heißt es im Protokoll der Task Force auf den Rüsselkäfer bezogen. Die Zulassung des gängigen Mittels „Karate Forst“ endet allerdings am 31. August. Die Experten raten zur Bevorratung...