Berlin. Die Regierung will weitere Entlastungen auf den Weg bringen. Im Gespräch ist eine Nachfolge für das 9-Euro-Ticket - und noch viel mehr.
- WissingAngesichts der hohen Preise für Energie spricht sich die Linke für einen Gaspreisdeckel aus
- Die Bundesregierung erwägt gezielte Hilfen für bestimmte Bevölkerungsgruppen
- Welche Entlastungen wem helfen, erfahren Sie hier im Überblick
Gaspreisdeckel, Steuersenkungen, Einmalzahlungen: Die Sorgen sind angesichts der massiven Preissteigerungen besonders für Energie und Nahrungsmittel groß, in der Diskussion sind zahlreiche Vorschläge zur Entlastung der Bevölkerung. Klar ist: Die Regierung ist wegen der dramatischen Entwicklung zu weiteren Schritten bereit. Über den besten Weg ist die Koalition allerdings noch uneins. Welche Vorschläge gibt es – und wem würden sie helfen?
Hilfe bei den Gaskosten
Die gute Nachricht: Trotz des russischen Lieferstopps aufgrund von Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1 gab es keinen erneuten Preissprung. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, zeigt sich daher vorsichtig optimistisch, dass „wir ein Gaspreis-Plateau erreicht haben“. Allerdings ist unklar, ob Russland die Lieferungen wieder aufnimmt. Sollte im Winter das Gas knapp werden, sind weitere Preissteigerungen und horrende Kosten fürs Heizen oder warmes Wasser zu befürchten. Dies würde Privathaushalte ebenso belasten wie Unternehmen.
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Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte unserer Redaktion: „Wie in anderen europäischen Ländern sollte es einen Gaspreisdeckel geben, sowie die Unterstützung von Stadtwerken und kommunalen Versorgern.“ Von einem gedeckelten Gaspreis würden alle Verbraucher profitieren. Eine Idee ist, jedem Haushalt ein bestimmtes Volumen zu einem verträglichen Preis zu garantieren. Bei einem höheren Verbrauch würde es teuer werden – das wäre ein Anreiz zum Energiesparen.
Gezielte Zahlungen
Die Regierung hat bereits in zwei Entlastungspaketen Hilfen im Umfang von rund 30 Milliarden Euro beschlossen und fragt sich, was an Kosten noch auf sie zukommt. „Wir werden nicht alle Preise runtersubventionieren können“, warnte Kanzler Olaf Scholz (SPD) bereits. Die Koalition diskutiert daher über direkte Zahlungen an bestimmte Bevölkerungsgruppen.
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SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte unserer Redaktion, seine Partei wolle „zielgenaue Entlastungen“ durchsetzen. „Gerade Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, über nur kleine Renten oder geringe Einkommen verfügen, brauchen Unterstützung am drängendsten“, sagte auch Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann dieser Redaktion. Gutverdiener müssen also damit rechnen, die Krisenkosten zu einem großen Anteil selbst schultern zu müssen.
In der Diskussion ist weiterhin, die Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro auch an Rentner zu überweisen. Diese bereits beschlossene Zahlung bekommen bisher nur Arbeitnehmer – zur Empörung vieler Ruheständler. Konkrete Pläne der Regierung für direkte Zahlungen liegen noch nicht vor. Die Diakonie fordert, Bedürftigen ein halbes Jahr lang einen monatlichen Krisenzuschlag auf ihre staatliche Leistung von mindestens 100 Euro zu zahlen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will zunächst die Regelsätze für Sozialhilfeempfänger ab 2023 „deutlich“ erhöhen.
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Steuersenkungen
Steigen die Preise für Sprit, Milch oder Fleisch, nimmt der Staat auch mehr Steuern ein – und profitiert von der Krise. Finanzminister Christian Linder (FDP) mahnt deswegen: „Der Staat darf sich an der Inflation nicht bereichern.“ Lindner will durch Anpassungen im Steuersystem dafür sorgen, dass Gehaltserhöhungen nicht durch die Inflation aufgefressen werden („kalte Progression“). Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) geht deutlich weiter: Er fordert neben flacheren Tarifen bei der Einkommensteuer nun auch eine massive Senkung der Mehrwertsteuer auf Strom, Benzin, Heizen und Nahrungsmittel.
Von einer niedrigeren Mehrwertsteuer würden alle Verbraucher profitieren. Das widerspräche aber der Forderung von SPD und Grünen , dass sich kommende Entlastungen auf die unteren Einkommensklassen konzentrieren sollen. Je nach Ausgestaltung würde ein solcher Schritt den Bund zudem Milliarden kosten. Bedenken werden außerdem mit den Erfahrungen aus der Mehrwertsteuer-Senkung in der zweiten Jahreshälfte 2020 begründet. Die als Konjunkturhilfe in der Corona-Krise gedachte Steuersenkung wurde laut Studien nur zum Teil an die Verbraucher weitergegeben.
Nahverkehrsticket
Einmal in Fahrt, preschte Söder auch beim Thema Mobilität vor. „Mein Vorschlag wäre ein 365-Euro-Jahresticket für den gesamten öffentlichen Personennahverkehr in ganz Deutschland“, sagte Söder der „Bild am Sonntag“. Das von der Koalition beschlossene 9-Euro-Ticket läuft Ende August aus. Der bundesweit gültige Schnäppchen-Fahrschein war ein Riesenerfolg, nun wird über Nachfolgemodelle diskutiert.
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Allerdings stellt sich dabei wiederum die Kosten-Frage: Für das 9-Euro-Ticket zahlt der Bund 2,5 Milliarden Euro an die Länder. „Wir werden all das genau prüfen und evaluieren, auch eigene Modelle durchrechnen und mit den Ländern beraten“, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) unserer Redaktion. „Wir müssen uns genau anschauen, zu welchem Preis man ein solches Ticket deutschlandweit anbieten könnte.“ Auch Haßelmann forderte: „Hier sind jetzt Bund und Länder gemeinsam gefragt, Ideen zu entwickeln, wie ein dauerhaftes attraktives Angebot aussehen kann.“
Die Landkreise warnen indes eindringlich vor einer Fortführung des 9-Euro-Tickets. "Von Vorschlägen zur Verlängerung des 9-Euro-Tickets und auch von Nachfolgemodellen wie einem 365-Euro-Jahresticket halte ich nichts", sagte Landkreistagspräsident Reinhard Sager dieser Redaktion. "Damit ist viel staatliches Geld verbrannt worden, das wirkungsvoller hätte in Taktung und Ausstattung investiert werden können."
Der Städte- und Gemeindebund unterstützt Pläne für ein bundesweit einheitliches und dauerhaft vergünstigtes Ticket im öffentlichen Personennahverkehr. „Die Bürgerinnen und Bürger haben ein hohes Interesse, ohne Tarifdschungel Busse und Bahnen in ganz Deutschland nutzen zu können. Das zeigen auch die Erfahrungen des Neun-Euro-Tickets“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dieser Redation.
„Auch das Beispiel Österreich zeigt, dass ein 365-Euro-Ticket auf hohe Akzeptanz stößt.“ Neben der Ticketgestaltung müsse der Bund allerdings auch seine Anstrengungen für einen besseren Ausbau von Bussen und Bahnlinien vorantreiben. „Die bisherigen Mittel reichen leider nicht“, so Landsberg. “Die Verstetigung muss langfristig ansetzen, da die meisten Projekte einen langen Vorlauf haben.“
Tankrabatt
Geht es nach Söder, soll der ebenfalls Ende August auslaufende Tankrabatt über den „kompletten Winter“ verlängert werden. Davon würden besonders Pendler und Betriebe profitieren. Für eine Verlängerung des Rabatts stehen die Chancen aber eher schlecht. Grüne und SPD kritisieren, dass der von der FDP durchgesetzte staatliche Verzicht bei der Energiesteuer auf Diesel und Benzin von den Mineralölkonzernen nicht komplett weitergegeben worden sei.
Eine im Gegenzug von SPD und Grünen ins Spiel gebrachte Steuer auf Krisengewinne, lehnte wiederum die FDP ab. Das Beispiel zeigt: Die Debatte um den Schutz der Bevölkerung vor den wirtschaftlichen Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine stellt die Koalition nicht nur finanziell, sondern auch politisch auf die Belastungsprobe.
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In der Ampel-Koalition löste Söder daher mit seinem umfangreichen Forderungskatalog Verärgerung aus. Haßelmann warf dem CSU-Chef „Populismus“ vor. „Ich fordere Herrn Söder dazu auf, die Leute nicht länger für dumm zu verkaufen“, sagte auch Kühnert. „Massive Steuersenkungen fordern, wild mit Entlastungsvorschlägen um sich werfen und zugleich an der schwarzen Null festhalten wollen, das passt vorne und hinten nicht zusammen.“ Söders „Gebaren“ sei „brandgefährlich“, da der bayerische Ministerpräsident das Unsicherheitsgefühl vieler Menschen missbrauche, um „sein Süppchen“ zu kochen.
Schutzschirm für Mieter
Die Grünen fordern neben einem Kündigungsmoratorium für Mieter auch ein Aussetzen von Strom- und Gassperren für säumige Kunden. Dagegen kommt allerdings Widerstand aus der FDP: „Ich bin im Zweifel, ob ein pauschales Moratorium für Strom- und Gassperren eine gute Idee ist“, sagte Justizminister Marco Buschmann unserer Redaktion. „Denn von einem solchen Moratorium profitieren dann ja auch Menschen, die die Kosten eigentlich tragen können.“
Zusammenarbeit mit Arbeitgebern und Gewerkschaften
Die Koalition arbeite „an einem klugen Mix aus staatlichen Maßnahmen und einem Umfeld, in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer gute Tarifabschlüsse erzielen können“, sagte SPD-Generalsekretär Kühnert. Zur Bewältigung der Krise sucht Kanzler Scholz eine Verständigung mit Arbeitgebern und Gewerkschaften dazu, wie das Land am besten durch die Krise gesteuert werden kann. Scholz will mithilfe der Tarifpartner Einkommensverluste durch die hohe Inflation abmildern und gleichzeitig verhindern, dass eine Lohn-Preis-Spirale die Inflation weiter anheizt.
Ein erstes Treffen dieser „konzertierten Aktion“ fand Anfang Juli statt, die nächste Runde soll im September tagen. Die Vereinbarungen werden in der Koalition als Grundlage gesehen, um weitere Entlastungen zu beschließen. Linken-Fraktionschef Bartsch fordert ein drittes Maßnahmenpaket, das die Mehrkosten der Bürger wirklich ausgleiche: „Die Ampelregierung muss ein solches nach der Sommerpause vorlegen.“
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