Berlin. Die Mineralölkonzerne verdienen am hohen Spritpreis, während viele Menschen sparen müssen. Das will SPD-Chef Klingbeil nicht akzeptieren.
Lars Klingbeil kommt direkt von einer namentlichen Abstimmung im Bundestag zum Interview mit unserer Redaktion. Durch die Räume der Parlamentsgebäude tönt noch das an ein Schiffssignal erinnernde Hupen, mit dem die die Abgeordneten zur Stimmabgabe gerufen werden. Im Gespräch macht der SPD-Vorsitzende deutlich, dass er auf die sozialen Projekte im Koalitionsvertrag nicht verzichten will - trotz der Milliardenkosten infolge des Kriegs in der Ukraine .
Herr Klingbeil, die Grünen sind obenauf, die SPD liegt in einer aktuellen Umfrage unter 20 Prozent. Eigentlich müssten Sie als Regierungspartei doch punkten.
Lars Klingbeil: Sie wissen, dass ich im gesamten Jahr 2021 vor der für uns erfolgreichen Bundestagswahl nicht viel auf Umfragen geschaut habe. Das ist jetzt auch nicht der Fall. Wir sind insgesamt als Land in einer sehr herausfordernden Situation, das spüren wir alle. Das Entscheidende ist, dass die Menschen auf der Strecke sagen: Olaf Scholz ist derjenige, der das Land als Kanzler gut durch diese Krisenzeiten geführt hat. Ich bin mir sicher, das wird so passieren.
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Aber gerade die Zustimmungswerte des Kanzlers sinken…
Klingbeil: Olaf Scholz hat besonders seit dem brutalen russischen Angriff auf die Ukraine schwierige Entscheidungen zu treffen. Das tut er durchdacht und abgestimmt. Es ist schon verwunderlich, wer sich derzeit alles zum Militärexperten aufschwingt und dem Kanzler vorwurfsvoll erklärt, wie schnell Gerät für die Ukraine ertüchtigt und geliefert werden kann. Mit dieser Kritik hat Scholz in dieser Woche mit einer bemerkenswerten Rede im Bundestag aufgeräumt.
Schwierige Entscheidungen muss die gesamte Regierung treffen – andere Kabinettsmitglieder sind sehr beliebt. Was hat Vizekanzler Robert Habeck, was Scholz nicht hat?
Klingbeil:Olaf Scholz ist der Kanzler, er trifft am Ende die Entscheidungen und steht als einziger im Kabinett für die gesamte Regierung. Natürlich sind Scholz und Habeck unterschiedliche Politikertypen. Olaf Scholz ist jemand, der finale Entscheidungen verkündet, der keine Wasserstandsmeldungen gibt. Robert Habeck hat einen anderen Kommunikationsstil. Aber das ist auch in Ordnung, wir bilden zusammen eine Regierung und übernehmen gemeinsam Verantwortung.
Seit 100 Tagen ist die Ukraine im Krieg. Muss die Ukraine diesen Krieg gewinnen, muss Russland diesen Krieg verlieren?
Klingbeil: Wir erleben gerade in dieser aufgewühlten Debatte den Wunsch, eine sehr komplexe Situation auf diese einfachen Sätze zu reduzieren. Aber was heißt das genau – gewinnen oder verlieren? Russland verletzt die territoriale Integrität der Ukraine. Das werden wir, der gesamte Westen, nicht akzeptieren. Ist das mit „die Ukraine soll gewinnen“ gemeint? Wir stehen seit dem ersten Tag fest an der Seite der Ukraine. Wir helfen, dass das Land sich verteidigen kann. Putin hat sich völlig isoliert. Wir werden aber nicht als Deutschland, als Europa oder als der Westen auf einer Landkarte definieren, was heißt Sieg oder Niederlage. Am Ende muss die Ukraine das in Verhandlungen mit Russland entscheiden. Dafür stärken wir der Ukraine solidarisch den Rücken.
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Der Krieg und seine Folgen kosten Milliarden. Die politische Lage hat sich komplett verändert. Muss der Koalitionsvertrag neu geschrieben werden?
Klingbeil: Der Koalitionsvertrag verfolgt die richtigen Ziele von der gesellschaftlichen Erneuerung des Landes bis zum klimafreundlichen Umbau unserer Wirtschaft. Wir halten an allen sozialen Projekten fest: Wir wollen das Rentenniveau absichern, das Bürgergeld und die Kindergrundsicherung werden sicher kommen. Aber natürlich mussten wir seit Regierungsbildung auch Gewissheiten über Bord werfen. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Modernisierung der Bundeswehr zum Beispiel war nicht vorgesehen. Und trotzdem ist es richtig, dass wir das jetzt machen.
Wo sehen Sie weiteren Handlungsbedarf?
Klingbeil: Bei der Inflation. Die gestiegenen Preise in vielen Bereichen sind eine große Herausforderung für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, für Alleinerziehende, für Pendler. Darauf haben wir bereits mit zwei Entlastungspaketen in einem Umfang von rund 30 Milliarden Euro reagiert, aber wir werden wegen der anhaltenden Preissteigerungen wahrscheinlich weitere Antworten geben müssen. Und es braucht über kurzfristige Maßnahmen hinaus auch strukturelle Veränderungen für mehr Gerechtigkeit in unserem Land. Wie den Mindestlohn von 12 Euro. Ab Oktober werden mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland damit eine deutliche Verbesserung auf ihrem Konto spüren. Ich bin sehr froh, dass wir 12 Euro Mindestlohn, eines unserer zentralen Wahlkampfversprechen, jetzt auch im Bundestag durchgesetzt haben.
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Wie könnten weitere Entlastungen finanziert werden?
Klingbeil: Ich beschäftige mich intensiv mit der Frage, wie wir mit den Krisen- und Kriegsgewinnern umgehen, die von der derzeitigen Lage massiv profitieren. Die müssen wir stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls heranziehen.
Wen meinen Sie?
Klingbeil: Die Mineralölkonzerne etwa haben ihre Profite in den vergangenen Monaten massiv gesteigert. Jetzt warten wir ab, ob der von der Regierung beschlossene und gerade in Kraft getretene Tankrabatt an der Zapfsäule bei den Verbrauchern ankommt – oder bei den Konzernen hängen bleibt. Eins ist aber klar: Wir haben gerade keine Knappheit an Benzin und Diesel. Es gibt aber Spekulation durch die Mineralölkonzerne. Das lassen wir ihnen nicht durchgehen. Da muss Robert Habeck als Wirtschaftsminister mit Hochdruck über das Kartellrecht eingreifen.
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Kann das Kartellamt so schnell Einfluss nehmen, dass das umgehend auf dem Markt wirkt?
Klingbeil: Ich erwarte, dass die Zeitenwende in allen Politikbereichen gilt. Es kann nicht sein, dass sich auf der einen Seite die Mineralölkonzerne in der Krise die Taschen noch voller machen. Und auf der anderen Seite hart arbeitende Menschen mit ihren Familien darüber diskutieren müssen, ob sie den Sommerurlaub streichen oder wie sie die nächste Tankfüllung finanzieren.
Befürworten Sie eine Übergewinnsteuer, um extreme Krisengewinne abzuschöpfen?
Klingbeil: Eine Steuer auf Kriegs- und Krisengewinne ist ein Instrument, das auf dem Tisch liegt und das ich sehr überlegenswert finde. Eine solche Steuer wird in Großbritannien und Italien bereits eingesetzt, die Europäische Kommission ist ebenfalls dafür. Damit müssen wir uns in Deutschland natürlich auseinandersetzen. Es gibt Unternehmen, die als Kriegs- und Krisengewinner noch einmal ordentlich dazu verdient haben.
Arbeitsminister Hubertus Heil hat ein soziales Klimageld angekündigt, FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner ist dagegen. Werden Sie die Idee ihres Parteikollegen durchsetzen?
Klingbeil: Das Klimageld ist im Koalitionsvertrag verabredet. Im letzten Koalitionsausschuss ist festgehalten worden, dass Finanzminister Christian Lindner bis Ende des Jahres ein Modell für die Auszahlung des Klimagelds ausarbeitet. Wir diskutieren noch über den besten Weg. Aber eins ist klar: Das Klimageld wird helfen, um Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen bei den Kosten für den klimaneutralen Umbau unserer Gesellschaft zu unterstützen.
Wie stellen Sie sicher, dass die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sinnvoll ausgegeben werden?
Klingbeil: Wir brauchen Mut zur Entscheidung. Das Beschaffungsamt der Bundeswehr muss schnell Entscheidungen treffen können – und nicht jahrelang etwa nach dem ultimativen Rucksack für die Truppe suchen. Außerdem ist die Ansage an die Rüstungsindustrie eindeutig: Die Firmen haben jahrelang versucht, uns für die Bundeswehr „Goldrandlösungen“ mit vielen Extras aufzudrücken. Das geht nicht mehr, notfalls kaufen wir im Ausland. Dann hat die deutsche Rüstungsindustrie Pech gehabt. Außerdem müssen die Vergabeprozesse einfacher werden: An den Standorten der Bundeswehr müssen die Verantwortlichen vor Ort bei der Anschaffung von Material viel mehr allein entscheiden können. Christine Lambrecht geht das jetzt als Verteidigungsministerin konsequent an.
Aktuell wird über die Arbeitszeit diskutiert. Der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, spricht sich für eine höhere Wochenarbeitszeit von 42 Stunden aus. Wie stehen Sie dazu?
Klingbeil: Ich rate all diesen klugen Professoren, die solche Vorschläge machen, dass sie einmal hinausfahren ins Land und sich mit hart arbeitenden Menschen unterhalten. Dann kommen sie vielleicht wieder auf vernünftige Ideen. Denn in solchen Gesprächen geht es nicht um Rechenmodelle, sondern um ganz praktische Fragen. Es gibt Menschen, die haben jetzt schon Mühe bis 67 zu arbeiten. Andere haben in ihrem Job während der Pandemie alles gegeben und sind am Ende ihrer Kräfte. Diese klugen Vorschläge aus warmen Büros in Berlin über längere Wochenarbeitszeiten oder einen späteren Renteneintritt sind einfach nur wirklichkeitsfern. Solche Debatten führe ich gar nicht.
Dieser Text erschien zuerst auf www.waz.de
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