Berlin. Das Transsexuellengesetz gilt als herabwürdigend, das Selbstbestimmungsgesetz soll es künftig ersetzen. Das plant die Bundesregierung.
Für Tessa Ganserer war am Donnerstag ein Tag der Genugtuung. „Für trans- und intergeschlechtliche Menschen ist heute ein guter Tag. Betroffene müssen ihre Rechte nicht länger vor Gericht einfordern“, sagte die Grünen-Politikerin, die seit dem vergangenen Jahr als erste transgeschlechtliche Abgeordnete im Bundestag sitzt, mit erleichterter Stimme.
Rund eine Stunde zuvor hatten Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) die Eckpunkte des neuen Selbstbestimmungsgesetzes vorgestellt. Das geplante Gesetz sieht vor, dass jeder Mensch in Deutschland sein Geschlecht und seinen Vornamen künftig selbst festlegen und in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern kann.
Geschlecht und Identität: Kritik am Transsexuellengesetz
Ersetzen soll das neue Gesetz das seit 1980 und mittlerweile als überholt geltende Transsexuellengesetz. „Das Transsexuellengesetz atmet einen furchtbaren Geist einer schrecklichen Vergangenheit. Das Gesetz hat bei unheimlich vielen Menschen Leid verursacht und war von Anfang an Unrecht“, sagt Tessa Ganserer, die aufgrund des für sie „entwürdigenden“ Prozesses, den das Gesetz vorsieht, ihren Namen und ihr Geschlecht im Personenstand bisher nicht korrigieren wollte. Im offiziellen Personenstand heißt Tessa Ganserer deshalb immer noch Markus Ganserer – obwohl sie sich bereits Ende 2018 als trans outete.
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In einem ein langwierigen und demütigen Verfahren mussten bisher zwei Gutachter und ein Richter entscheiden, ob die Person „wirklich“ trans ist, bevor sie ihren Namen und ihr Geschlecht ändern lassen konnte. Bei einer transgeschlechtlichen Person stimmt ihr gelebtes Geschlecht (Geschlechtsidentität) nicht mit dem bei ihrer Geburt eingetragenen Geschlecht im Personenstand überein.
Intime Fragen waren bisher "entwürdigend"
Gegenüber den Gutachtern mussten bislang intime Fragen zu beispielsweise sexuellen Fantasien, der Unterwäsche, dem Masturbationsverhalten oder sonstigen sexuellen Praktiken beantwortet werden. „Über viele Jahrzehnte haben wir diese Menschen wie krank behandelt, als ob etwas mit ihnen nicht stimmt“, sagte Justizminister Buschmann. Auch die Kosten für den gesamten Prozess, durchschnittlich 1868 Euro, mussten die transgeschlechtlichen Personen selbst tragen.
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„Das Transsexuellengesetz hat es mir persönlich nicht möglich gemacht, mich früher zu outen. Der bisher nötige Prozess mit zwei Gutachtern und der richterlichen Entscheidung war für mich auch zu entwürdigend, um ihn durchzumachen“, sagte Ganserer. Künftig soll eine einfache Erklärung beim Standesamt ausreichen. Für Minderjährige bis 14 Jahre sollen die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung beim Standesamt einreichen. Jugendliche ab 14 Jahren sollen die Erklärung selbst abgeben können, allerdings mit Zustimmung der Sorgeberechtigten. Stimmen diese nicht zu, soll der Fall vor einem Familiengericht im Sinne des Kindeswohles entschieden werden.
Zustimmung der Sorgeberechtigten müsse noch diskutiert werden
Dass Menschen zwischen 14 und 18 die Zustimmung ihrer Eltern benötigen, müsse laut Ganserer noch diskutiert werden. Auch der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) übte an dieser Stelle Kritik. „Ich bin verwundert, dass bei Menschen zwischen 14 und 18 Jahren noch die Sorgeberechtigten oder im Zweifel das Familiengericht zustimmen müssen. Bei der Wahl der Religion oder des Berufs ist das auch nicht der Fall. Warum sollte es dann beim Geschlecht so sein?“, sagte LSVD-Bundesvorstandsmitglied Alfonso Pantisano, der das Eckpunktepapier ansonsten klar begrüßte.
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Buschmann und Paus wiesen ausdrücklich darauf hin, ihr geplantes Gesetz werde keine Festlegung zu der Frage etwaiger körperlicher geschlechtsangleichender Maßnahmen enthalten. Solche Maßnahmen würden weiterhin auf Grundlage fachmedizinischer Regelungen entschieden. Nach der Änderung von Namen und Geschlecht gelte eine einjährige Sperrfrist, um die Ernsthaftigkeit sicherzustellen. Der Gesetzentwurf solle noch in diesem Jahr das Kabinett erreichen, der Bundesrat muss nicht zustimmen.
Deutschland zieht mit dem Gesetz im internationalen Vergleich nach
Mit dem Schritt zum Selbstbestimmungsgesetz reiht sich Deutschland in eine Reihe von Ländern ein, die bereits auf diese liberale Gesellschaftspolitik setzen. Argentinien, Malta, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Island, Neuseeland, Norwegen, Uruguay und der Schweiz haben bereits entsprechende Gesetze zur Achtung der Grundrechte und Selbstbestimmung von trans Personen bei der Änderung des Geschlechtseintrags. Dieses „Hinterherhinken“ habe Deutschland zuletzt „nicht gut zu Gesicht“ gestanden, so Paus.
Die Kritik, dass das Gesetz nur eine kleine Gruppe von Menschen betreffe, wies Buschmann zurück. „Nicht nur große Gruppen haben ein Recht auf Freiheit und Würde“, sagte der Justizminister. Wie groß die Gruppe tatsächlich ist, ist unklar. Im Jahr 2020 wurden 2687 Fälle nach dem Transsexuellengesetz vor dem Amtsgericht behandelt.
Kritik am Eckpunktepapier aus der Union
Kritik kam auch vom Unions-Bundestagsabgeordneten Marc Henrichmann. "Die Selbsterklärung ist problematisch. Es braucht Instrumente, die sicherstellen, dass der Personenstands-Eintrag valide bleibt, da er vor Gericht Beweiskraft hat. Auch müssen wir dem besonderen Schutzbedürfnis von Frauen gerecht werden", sagte der CDU-Innenexperte. "Zudem ist die Zahl der jungen Mädchen, die einen Transitionswunsch haben, während der Corona-Pandemie gestiegen. Nicht in allen Fällen ist der Wunsch nach einer Änderung des Geschlechts gut durchdacht."
Auch Bettina Wiesmann, langjährige CDU-Berichterstatterin für Queer-Themen im Familienausschuss, kritisierte, dass es "keine Beratungspflicht und keine Qualitätsanforderungen" gebe. Auch die Sperrfrist von nur einem Jahr sei nicht durchdacht.
Lesben und Schwule in der Union gegen eigene Parteilinie
Die Lesben und Schwulen in der Union (LSU) haben sich bei der Bewertung derweil gegen Teile ihrer eigenen Partei gestellt. „Als LSU begrüßen wir die vorgesehene grundsätzliche Verbesserung der Lebenssituation vieler Menschen. Die bisherigen gesetzlichen Regelungen haben den betroffenen Menschen zum Teil viel abverlangt und sind deren Lebenswirklichkeit nicht hinreichend gerecht geworden“, sagte der stellvertretende LSU-Bundesvorsitzende Thomas W. Schmitt.
Auch Miriam Kempte, Vorsitzende des LSU-Bundesfachausschusses Trans* und Inter* sagte: „Die LSU begrüßt den weitestgehenden Wegfall der Gutachtenpflicht und die damit einhergehende Praxis sich auf intimste Fragen einlassen zu müssen, die von Betroffenen oft als entwürdigend empfunden wurden. Für die Betroffenen waren damit oft langwierige und kostenintensive Gerichtsverfahren verbunden." Eine „qualifizierte Beratung für Eltern und Kinder“ sei dennoch sinnvoll. „Die LSU fordert begleitend zu dem Gesetzesvorhaben eine intensivere gesellschaftliche Aufklärungsarbeit zu betreiben, um die gesellschaftliche Akzeptanz insgesamt zu stärken“, heißt es von der Parteigruppierung.
Über Missbrauch habe man "intensiv nachgedacht"
Über möglichen Missbrauch – Kritiker warnen beispielsweise davor, dass sich Männer mit einer vereinfachten Geschlechtsänderung beispielsweise leichter Zugang zu Frauenhäusern verschaffen könnten – habe man „intensiv nachgedacht“, so Buschmann. Hausleitungen der Frauenhäuser würden solche Gefahren jedoch automatisch unterbinden. „Auch Sportverbände sind selbstregulierend und werden zu guten Lösungen kommen.“
Für Tessa Ganserer, die im bayerischen Landtag lange gegen die konservative Mehrheit der CSU ankämpfte, ist das Selbstbestimmungsgesetz auch eine Bestätigung, den richtigen Schritt gegangen zu sein. „Für mich ist heute ein Tag echter Freude und Genugtuung. Auch wenn ich bei den Grünen an vielen Themen arbeite und die Umweltpolitik ein Hauptgrund war, mich in dieser Partei zu engagieren, war dieses Thema der fehlenden Selbstbestimmung ein Motor, um von Bayern nach Berlin zu gehen“, sagt sie. „Wenn das Gesetz so weit ist, werde ich die erste sein, die vor dem Standesamt steht.“