Berlin. Frühere Aussagen Angela Merkels haben die Rechte der AfD verletzt. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch entschieden.
Die AfD gegen den Staat – der Kampf der Rechtsaußen-Partei gegen die Bundesregierung, Sicherheitsbehörden oder Gerichte hat ein neues Kapitel. Und man kann sagen: Die AfD verbucht einen Erfolg, ausgerechnet gegen eines ihrer größten Feindbilder – Ex-Kanzlerin Angela Merkel.
Mit ihren Äußerungen zur Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen im Jahr 2020 hat die damalige Kanzlerin und CDU-Politikerin die Rechte der AfD verletzt. Das stellte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem Urteil am Mittwoch fest.
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Rückblick: Februar 2020. Was war passiert? Der Thüringer Landtag soll einen neuen Ministerpräsidenten wählen. Der linke Amtsinhaber Bodo Ramelow hatte die Wahl gewonnen, allerdings sind die Mehrheitsverhältnisse im Parlament knapp. Ramelow erreicht in den ersten beiden Wahlgängen nicht die notwendige Mehrheit. Ein dritter Wahlgang findet statt.
Thüringen-Wahl 2020: FDP-Politiker Kemmerich wird mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt
Doch nicht Ramelow erhält die Mehrheit. Außenseiter und FDP-Politiker Thomas Kemmerich wird zum Ministerpräsidenten gewählt. Mit den Stimmen von CDU – und der extrem rechten AfD. Ein politischer Skandal. Im Landtag wirft die Linken-Politikern Susanne Hennig-Wellsow Kemmerich einen Blumenstrauß vor die Füße.
Die Wellen des Skandals schlagen bis nach Südafrika bebt. Dort ist die damalige Bundeskanzlerin Merkel gerade auf Dienstreise, als der umstrittene Wahlgang ablief. In einer Pressekonferenz am Horn von Afrika äußert Merkel sich. Sie sagt, dass die Wahl mit einer Grundüberzeugung für die CDU und für sie selbst gebrochen habe, nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD zu gewinnen. Die CDU solle sich nicht an einer Regierung Kemmerich beteiligen, fordert sie.
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Eine Wahl in Thüringen, eine Kanzlerin die sich einschaltet. Merkel spricht von einem „schlechten Tag für die Demokratie“. Ein Protokoll des Statements veröffentlicht das Kanzleramt anschließend auf der Internetseite. Ging die Kanzlerin zu weit? Muss sie nicht neutral sein in ihren parteipolitischen Äußerungen – gerade wenn sie als Kanzlerin auf Dienstreise ist? Lesen Sie hier: Angela Merkel stellt sich Fragen: „Was also ist mein Land?“
Bundesverfassungsgericht: Merkel verletzte mit Kommentar Neutralitätspflicht im Amt
Die AfD hat genau deshalb geklagt – und nun Recht bekommen. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe verletzte Merkel ihrer Kommentierung die Neutralitätspflicht ihres Amtes und so das Recht der Partei auf Chancengleichheit. So ist Merkel zwar einerseits CDU-Politikerin, zugleich aber als Kanzlerin zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet. Sie ist als Kanzlerin auch Staatsorgan. Nach dem Demokratieprinzip darf sie ihr Amt, gerade bei Dienstreisen auf internationaler Bühne im Ausland, nicht für parteipolitische Zwecke nutzen. Denn dann verlässt sie die Neutralität ihres Amtes.
Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu ihren Äußerungen zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen ihren Respekt vor dem höchsten deutschen Gericht geäußert. „Bundeskanzlerin a.D. Dr. Angela Merkel respektiert selbstverständlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts“, teilte eine Sprecherin Merkels am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin auf Anfrage mit. Inhaltlich äußerte sich Merkel nicht.
Ihre Haltung im Februar 2020 hatte Folgen: Kemmerich war nach drei Tagen zurückgetreten, die Amtsgeschäfte hatte er ohne Regierung noch bis März geführt. Ministerpräsident wurde dann doch wieder Bodo Ramelow (Linke), der im ersten Anlauf in den ersten beiden Wahlgängen nicht genug Stimmen bekommen hatte.
Merkels Äußerungen zur Thüringen-Wahl: So rechtfertigte sie das Kanzleramt
In der Karlsruher Verhandlung im Juli 2021 hatte Merkels Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) die Äußerungen damit verteidigt, dass die mitreisenden Journalisten und vor allem der Koalitionspartner eine Positionierung gewollt hätten. Es sei auch um das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gegangen.
Der AfD-Landesverband in Thüringen gilt als extrem rechts. An der Spitze der Fraktion und Landespartei steht Rechtsaußen Björn Höcke, der mit islamfeindlichen Reden und Verbreiten von Verschwörungsideologie auffällt. Mehrfach hatte die AfD gegen staatliche Akteure, Bundesregierung und Sicherheitsbehörden geklagt – manchmal mit Erfolg, manchmal mit einer Niederlage. Die AfD hatte vor dem Bundesverfassungsgericht auch schon erfolgreich gegen den damaligen Innenminister Horst Seehofer (CSU) geklagt, weil ein Interview mit AfD-kritischen Passagen auf seiner Ministeriumsseite stand. Lesen Sie hier: Ostbeauftragter warnt vor weiterer Radikalisierung der AfD
Und Johanna Wanka (CDU) wurde in ihrer Zeit als Bildungsministerin dafür gerügt, dass sie in einer Ministeriumsmitteilung die „Rote Karte“ für die AfD gefordert hatte. Nach diesen Urteilen dürfen Politiker zwar öffentlich Kritik an der AfD üben. Sie müssen aber das Gebot staatlicher Neutralität wahren, wenn sie sich in ihrer Rolle als Regierungsmitglied äußern. 2018 war die rechte Partei mit einer Klage gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gescheitert. Vor einigen Wochen verlor die AfD einen Gerichtsprozess gegen den Verfassungsschutz, der sie nun offiziell als rechtsextremen Verdachtsfall prüfen darf.
Dieser Artikel erschien zuerst bei waz.de.