Berlin. Die AfD verpasst in Schleswig-Holstein den Wiedereinzug in den Landtag - und wendet sich sofort ihrer häufigsten Beschäftigung zu.
Der Tag nach einer Wahl ist üblicherweise der, an dem die Parteien die Euphorie oder auch die Ernüchterung des Wahlabends abschütteln und sich an der Ergebnis-Analyse versuchen. In Pressekonferenzen wird da ausgewertet, wie das eigene Ergebnis zustande kam, mehr oder weniger selbstkritisch.
Doch bei der AfD fiel dieser Termin am Montag nach der Schleswig-Holstein-Wahl aus. Hintergrund angeblich: Termingründe, Spitzenkandidat Jörg Nobis hätte es laut einem Parteisprecher nicht pünktlich nach Berlin geschafft.
Dabei hätte es einiges zu besprechen gegeben an diesem Tag für die AfD. Denn bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein hat die Partei zum ersten Mal in ihrer Existenz den Wiedereinzug in einen Landtag verpasst. 4,4 Prozent waren es am Ende, „nur“ 1,5 Prozentpunkte weniger als noch für fünf Jahren, wie Parteichef Tino Chrupalla in einem Statement betonte – aber eben so viel weniger, dass die Partei unter der Fünf-Prozent-Hürde landete.
Die Probleme der AfD sind strukturell und gehen über Schleswig-Holstein hinaus
Man müsse „neidlos anerkennen“, dass die Wahl ein persönlicher Sieg des wiedergewählten Ministerpräsidenten Daniel Günther sei, sagte Chrupalla. Doch die Gründe für den Einbruch der AfD liegen nicht nur in der Beliebtheit des CDU-Mannes. Sie sind sind strukturell – und weisen über Schleswig-Holstein hinaus.
Da ist zum einen der ewige Lagerstreit in der Partei, der auch den Landesverband ganz im Norden durchzieht. Die Fraktion im Landtag, die einmal mit fünf Abgeordneten gestartet war, war längst zerbrochen. Die frühere AfD-Landeschefin wurde aus der Partei und der Fraktion ausgeschlossen, ihr Posten an der Spitze der Landespartei blieb vakant.
Und auch thematisch konnte die AfD in den letzten Monaten kaum Punkten, weder mit ihrem Corona-Kurs noch in der Debatte um den Ukraine-Krieg. Allzu nah stehen viele AfD-Politiker dem Kreml, haben sich in der Vergangenheit hofieren lassen. Auch Chrupalla selbst, finden einige in der Partei, schlägt einen zu verständnisvollen Ton gegenüber Russland an. Angesichts der Niederlage begann die AfD deshalb noch am Sonntag zu tun, was sie seit Jahren mit Leidenschaft tut: Machtkämpfe austragen zwischen den verfeindeten Lagern in der Partei.
Björn Höcke kokettiert mit einer Bewerbung für den Bundesvorstand - mal wieder
Stephan Brandner aus Thüringen, eine Art Statthalter des dortigen AfD-Chefs Björn Höcke im Bundestag, twitterte noch am Wahlabend, er finde es „prima“, dass die Partei bald einen Parteitag habe, auf dem man sich über den Kurs austauschen könne. Lesen Sie hier: Warum die AfD im Osten stark ist
Und weil er offenbar Sorgen hatte, dass das noch zu subtil sein könnte für Partei und Anhängerschaft, legte Brandner kurz darauf nach: Es gebe verschiedene Strömungen in der AfD und Vertreter, die für sie stünden. „Und es gibt Erfolge & Mißerfolge unserer AfD & Vertreter, die jeweils auch dafür stehen…“ Was übersetzt so viel heißen sollte wie: Der offiziell aufgelöste Flügel fährt im Osten Erfolge ein, seine Gegner – zu denen auch der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat Jörg Nobis gehört – verliere dagegen bei Wahlen.
Ganz so eindeutig ist das Bild allerdings nicht, auch die flügel-geprägten ostdeutschen Landesverbände hatten bei den jüngsten Landtagswahlen Prozentpunkte eingebüßt. Weil ihre Stimmanteile trotzdem deutlich über denen der westdeutschen Verbände liegen, erhebt die ost-deutsche AfD aber weiterhin den Anspruch, den weiteren Weg vorzugeben.
Flügel-Galionsfigur Björn Höcke, Landeschef der Partei in Thüringen, hatte vor dem Wochenende erneut damit kokettiert, dass er möglicherweise antreten könne bei der Wahl des neuen Parteivorstands in wenigen Wochen in Riesa. Spekuliert worden war über einen Wechsel Höckes in den Bundesvorstand in der Vergangenheit immer wieder. Beworben hatte sich der Thüringer allerdings nie.
Wird die AfD zur „Regionalpartei Ost“?
Als regelrechte Sabotage der Wahlkämpfer in Schleswig-Holstein hatten manche in der Partei Höckes Vorstoß empfunden. „Eine persona non grata sollte nicht aus der Gruft auferstehen, vor allem nicht direkt vor der Wahl“, kritisierte Norbert Kleinwächter, stellvertretender AfD-Fraktionschef im Bundestag, bei Twitter die Ankündigung. Mehr zum Thema: AfD - Meuthens Rücktritt ist Höckes Triumph
Denn Kurs und vor allem Stil der Ost-AfD, fürchten viele im Westen, sind kaum anschlussfähig im Rest des Landes, wo in absoluten Zahlen sehr viel mehr Wählerinnen und Wähler wohnen. Mit weiterhin hohen Stimmanteilen in den ostdeutschen und Verlusten im Westen könnte die AfD auf Dauer zur ostdeutschen Regionalpartei werden – so, wie es der ehemalige Parteichef Jörg Meuthen prophezeit hatte. Ein weiteres Indiz, ob es so weit kommt, wird die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag liefern.
Bei den Vorstandswahlen beim Parteitag in Riesa dürfte die Debatte um die Richtung der Partei deshalb erneut mit Macht aufbrechen – und sich auch auf das Wahlergebnis von Parteichef Tino Chrupalla auswirken.