Berlin . Im Stahlwerk von Mariupol harren weiter Verteidiger aus. Die Situation wird immer schlimmer – und Hilfe scheint weiter keine zu kommen.
Zuletzt hatte Yaroslava Ivatsova am vergangenen Montag Kontakt mit ihrem Mann. Er hat ihr geschrieben, dass es ihm gut gehe. „Mein Mann ist ein sehr starker Mann, er würde mich nie traurig machen mit schlechten Nachrichten“, sagt die 48-Jährige. Jedoch ist Mykolaiv in einer schier ausweglosen Situation. Er ist einer der ukrainischen Soldaten, die seit Wochen in den Bunkeranlagen des eingekesselten Asow-Stahlwerks in Mariupol ausharren.
Wie schwierig die Lage dort ist, zeigte die verzweifelte Videobotschaft des stellvertretenden Kommandeurs des Asow-Regiments, die am Donnerstag auf Telegram veröffentlicht wurde. Swjatoslaw Palamar berichtet, dass verwundete Soldaten unter Qualen sterben müssten, weil sie nicht behandelt werden könnten, und er fordert Druck auf Russland, um eine Evakuierung zu ermöglichen. Am Freitag sollten zumindest einige der noch verbliebenen rund 200 Zivilisten aus dem weitläufigen Gebäudekomplex herausgebracht werden.
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Ukraine: Verteidigern von Mariupol drohen Haft und Tod
220 Kilometer nordwestlich von Mariupol verfolgt Yaroslava Ivatsova in der Region Saporischschja mit Bangen die Entwicklungen in der Stadt, die sie bei Kriegsanbruch am 24. Februar verlassen hat. „An diesem Tag wurde ein Nachbarhaus getroffen. Autos brannten. Es war vom ersten Tag an klar, dass Krieg ist“, erzählt sie am Telefon. „Mein Mann hat mich aufgefordert zu fliehen.“ Zusammen mit ihrer 18-jährigen Tochter brachte sie sich in Sicherheit. In der Nacht davor waren bereits ihre beiden älteren Töchter mit ihren Kindern geflohen. Deren beiden Ehemänner sind ebenfalls im Stahlwerk.
Wie viele andere der eingeschlossenen Soldaten in den Bunkeranlagen sind Mykolaiv, Dmytro und Oleksey Angehörige des Asow-Regiments, einer Truppe, die als ultranationalistisch gilt und die zumindest in den Anfangsjahren von Rechtsextremen durchsetzt war. Für die Russen sind diese Kämpfer Terroristen, ebenso wie die zahlreichen ausländischen Freiwilligen, die sich noch im Asow-Stahlwerk aufhalten sollen. Bei Gefangennahme drohen diesen Männern lange Haftstrafen oder der Tod.
Wie viele der ukrainischen Soldaten noch kampffähig sind, ist unklar. Es ist die Rede von mindestens 600 verwundeten Kämpfern. „Ich weiß, dass ihre Lage sehr schlecht ist. Sie haben keine Medikamente oder Verbände. Verletzte müssen mit Klebeband verbunden werden“, erzählt Ivatsova.
Am 21. April hatte der russische Präsident Wladimir Putin den Befehl erteilt, dass Werk zu belagern, so, dass „keine Fliege mehr herauskann“. Es sah so aus, als sollten die verbliebenen Verteidiger ausgehungert werden. In den vergangenen Tagen hat die russische Armee nach ukrainischen Angaben jedoch heftige Angriffe auf den Gebäudekomplex gestartet, es sollen auch Bodentruppen zum Einsatz gekommen sein. Lesen Sie auch: Mariupol – "Die Zähne der Kinder fangen an zu verrotten"
Mariupol: "Unser Zustand ist schwer zu beschreiben"
„Es ist schwer zu beschreiben, in welchem Zustand wir sind“, sagt Ivatsova. Sie wirkt am Telefon erstaunlich gefasst. „Wir haben als Ziel definiert, unseren Verteidigern mit allem zu helfen, was wir können. Wir können nicht einfach aufgeben und in die Kissen weinen.“ Sie fordert die internationale Gemeinschaft zur Hilfe und zu einer Verständigung mit Putin auf. Natürlich nicht, was den Krieg generell betreffe. „Putin will sich in die Geschichtsbücher eintragen. Er wird diesen Krieg deshalb nicht beenden“, glaubt sie. Aber „man kann die Verteidiger von Mariupol über das Meer evakuieren. Nach internationalem Seerecht wäre das möglich“, ist sie überzeugt.
In den vergangenen Wochen gab es mehrmals Botschaften sowohl von Asow-Kämpfern als auch von der 36. Marinebrigade, die darauf schließen ließen, dass sich die Belagerten von der ukrainischen Regierung im Stich gelassen fühlten. Versprochener Nachschub sei nicht angekommen. Ob Kiew genug für die eingeschlossenen Soldaten tue?
Ivatsova räuspert sich und sagt nach kurzem Zögern: „Ich glaube, es ist nicht genug. Aber ich möchte das nicht weiter kommentieren.“
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