Ukraine-Krieg: Was riskiert der Westen mit Militär-Hilfen?
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Berlin/Brüssel/Washington. Flugverbot, Kampfjets: Weil Russland den Ukraine-Krieg mit Härte fortsetzt, diskutiert der Westen neue Maßnahmen. Rutschen wir so in den Krieg?
Russische Truppen gehen in der Ukraine immer brutaler vor. In Europa und Amerika wird jetzt fieberhaft überlegt, wie der Westen über die bisherigen Waffenlieferungen hinaus noch zusätzliche Unterstützung für die Ukraine leisten könnte. Im Gespräch sind härtere Sanktionen wie ein Ölembargo – die US-Regierung drängt aber auch auf die Lieferung von Kampfjets, die ukrainische Regierung verlangt noch weitere Verteidigungshilfe.
Doch Militärs warnen: Russland könnte die zunehmende Unterstützung als militärische Einmischung verstehen – und den Krieg ausweiten. Wie weit kann der Westen gehen, ohne eine dramatische Eskalation zu riskieren, vielleicht sogar einen Weltkrieg? Die Optionen und ihre Nebenwirkungen:
Option eins: Nato-Truppen in die Ukraine
Nichts würde sich die ukrainische Regierung mehr wünschen als direkte militärische Unterstützung durch die USA und die europäischen Nato-Partner – mit ihren Soldaten und modernen Waffen. Doch das gilt in der Nato als völlig ausgeschlossen.
Die Ukraine ist kein Nato-Mitglied. Eine solche Einmischung, eine direkte Konfrontation des Westens mit Russland, würde wohl den dritten Weltkrieg auslösen, könnte sogar zum Atomkrieg führen. Die Haltung von US-Präsident Joe Biden bis zu Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist absolut klar: Die Nato hält sich heraus, sie wird sich nicht mit eigenen Truppen in den Krieg einmischen.
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Option zwei: Kampfjets für die Ukraine
Vorbereitet wird im Westen bereits weitere Waffenhilfe für die Ukraine, die EU hat dafür eine halbe Milliarde Euro mobilisiert. Vor einer Woche hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärt, dazu sollten auch Kampfjets gehören. Voreilig? Es handelt sich zunächst um einen Wunsch der ukrainischen Regierung, die nicht nur wie bisher bodengestützte Abwehrwaffen gegen Panzer und Flugzeuge bekommen möchte, sondern auch 70 Kampfjets aus dem Westen: „Das wäre ein Zeichen, dass wir Freunde haben, die uns zur Seite stehen“, sagt der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba.
Die US-Regierung unterstützt die Forderung und drängt nun Polen, die gewünschten Flugzeuge zu liefern. Denn in Frage kommen nach bisherigen Überlegungen nur Jets, für die ukrainische Piloten ausgebildet sind – das heißt in der Sowjetunion entwickelte MiG-29-Kampfjets und Su-25-Erdkampfflugzeuge, wie sie neben Polen noch Bulgarien und die Slowakei im Bestand haben. Mit diesen Maschinen könnte das russische Ziel, vor einer umfassenden Bodenoffensive zunächst komplette Lufthoheit über der Ukraine zu erlangen, ausgebremst oder gar vereitelt werden.
Bulgarien und die Slowakei hatten die Lieferung sofort unter Hinweis auf Eigenbedarf abgelehnt, inzwischen sagt aber auch Polen Nein. „Wir beteiligen uns nicht an diesem Konflikt“, sagt Präsident Andrzej Duda. „Polen wird keine Kampfjets in den ukrainischen Luftraum entsenden.“ Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußert sich ablehnend.
Denn es gibt im Bündnis die Befürchtung, dass Russland den Einsatz dieser Kampfjets als Vorwand für eine weitere Eskalation nutzen würde – vielleicht sogar als Kriegsgrund gegen den Westen. Dies könnte auch für den Fall gelten, dass die Maschinen von ukrainischen Piloten auf Nato-Gebiet abgeholt und dann, mit ukrainischen Hoheitszeichen, ins Kriegsgebiet überführt würden.
Das russische Verteidigungsministerium warnt den Westen bereits vor einer Verwicklung in den bewaffneten Konflikt durch die Luftwaffen-Hilfe. Die gab es nach Moskauer Lesart schon einmal zu Beginn des Krieges: Dabei war ein ukrainischer Kampfpilot in Rumänien gelandet, ließ dort seine Maschine auftanken und kehrte dann in die Ukraine zurück – eine riskante Grauzone der westlichen Unterstützung.
Polen stellt vorsorglich schon klar, dass es der Ukraine nicht erlauben werde, seine Flughäfen zu nutzen. Dennoch geht die Debatte weiter. Die USA bieten Polen angeblich an, als Ersatz für die MiG-Kampfjets amerikanische F-16-Maschinen zu erhalten. US-Außenminister Antony Blinken erklärt, die Flugzeugfrage werde noch geprüft – wozu auch praktische Probleme zählen, etwa wie die Maschinen in die Ukraine transportiert werden könnten.
Vorsichtige Unterstützung für die US-Bemühungen kam zuletzt von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Unumstritten ist im Westen, dass sehr zügig noch mehr Militärgüter über die polnische und rumänische Grenze in die Ukraine geschafft werden sollen. Nato-Länder, voran die USA, lieferten nach inoffiziellen Angaben aus dem Pentagon binnen einer Woche 17.000 Panzerabwehr-Waffen, darunter Stinger- und Javelin-Raketen.
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Die Regierung in Kiew fordert von der Nato auch die Durchsetzung einer Flugverbotszone über der Ukraine. Für den Westen gefährlich und deshalb ausgeschlossen. „Um das durchzusetzen, müssten Kampfjets der Nato über der Ukraine russische Flugzeuge abschießen“, sagt Nato-Generalsekretär Stoltenberg. „Dann wären wir am Ende in einem umfassenden Krieg in Europa, in den viel mehr Länder verwickelt wären und der viel mehr Opfer fordern würde.“ Auch Baerbock sagt Nein: „Das wäre eine direkte Konfrontation, die die Menschheit an den Rand eines Dritten Weltkriegs bringen würde.“ Russlands Präsident Wladimir Putin hat bereits gewarnt, er betrachte jede Bewegung in diese Richtung „als Teilnahme des jeweiligen Landes an einem bewaffneten Konflikt.“
Option vier: Noch härtere Sanktionen gegen Russland
Dass der Westen weiter an der Sanktionsschraube dreht, steht schon fest. Zunächst sollen Schlupflöcher bei den Finanzsanktionen geschlossen werden, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ankündigte. Weitere Maßnahmen hingen von der Entwicklung in der Ukraine ab, sagt sie.
Die US-Regierung bringt ein komplettes Embargo russischer Öllieferungen ins Gespräch, um Putin von milliardenschweren Einnahmen abzuschneiden; im Kongress zeichnet sich eine Mehrheit dafür ab. Die Ukraine fordert sogar eine westliche Blockade aller Energieimporte aus Russland. Die Bundesregierung reagiert einstweilen zurückhaltend. Ein Öl- und Gasembargo sei nicht ausgeschlossen, hätte aber weitreichende Folgen und müsste auf EU-Ebene beschlossen werden, erklärt Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat frühere Embargopläne klar abgelehnt.
In Washingtoner Regierungskreisen wird bei allen Bemühungen zur Druckerhöhung eingeräumt, weitere Sanktionen könnten Putin so weit in die Ecke treiben, dass er den Konflikt über die Ukraine hinaus ausweitet. Denkbar sei, dass Russland dann ukrainische Städte „unter Flächenbombardements nimmt, was hohe zivile Opferzahlen zur Folge hätte“, sagen Regierungsberater in Washington. Auch „russische Cyber-Attacken gegen das US-Finanzsystem“ seien dann nicht mehr realitätsfern - und nicht einmal erneute Drohungen Putins, das Atomwaffen-Arsenal einzusetzen.
Dieser Artikel ist zunächst auf www.waz.de erschienen
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