Moskau. Die Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs sind in der Kraft. Sie treffen das Land. Ersten Banken droht bereits die Pleite.

Die Menschen an der Moskauer Metro-Station Jugo-Sapadnaja wollen nicht reden. „Bitte keine Politik“, lächelt eine Frau auf die Frage, ob sie etwas von den westlichen Sanktionen spüre. „Uns geht das nichts an“, versichern zwei Jura-Studenten, „wir verdienen ja noch kein Geld.“ Immerhin – ein junger Chemiker mit modischer Hinterkopflocke scheint die Krise bemerkt zu haben: „Natürlich, ich verfolge ja die Finanzen.“ Welche Folgen er erwartet? „Das Leben wird noch schlechter werden. Viel schlechter.“

Die Finanzsanktionen hinterlassen bereits Spuren. Die russische Notenbank hat am Montag ihren Leitzins auf 20 Prozent verdoppelt, der Rubel verliert massiv an Wert. Für einen Euro gab es am Morgen 122 Rubel, am Nachmittag wurde er mit 109 Rubel gehandelt – beides neue Rekordmarken. An der Metro-Station bietet die Bank Russki Standard für einen Euro 94,50 Rubel und verkauft ihn für 146,60 Rubel. Vor den Geldautomaten bilden sich längere Schlangen. Dennoch: Das Moskauer Publikum promenierte am Montag geradezu ungerührt unter der Frühlingssonne.

Russland: Viele staatstreue Experten verdrängen die Krise

Dabei sieht sich die Russische Föderation den schärfsten Wirtschaftssanktionen ihrer Geschichte gegenüber. Die USA verboten Finanzoperationen mit der russischen Zentralbank. Die EU hat die Reserven der russischen Zentralbank eingefroren. Schon zuvor hatte der Westen die Wneschtorgank, die Promswjasbank, die Bank Otkrytija, die Nowinkombank und die Sowkombank von dem für internationale Transaktionen unverzichtbaren Kommunikationssystem Swift ausgeschlossen. Politiker der USA und der EU kündigten weitere Sanktionen an, auch einen möglichen Swift-Cut für das gesamte russische Bankensystem.

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Schon zuvor hatten die USA den Export von Hightech-Gütern wie Chips und Halbleitern nach Russland auch für Drittländer unter Strafe gesetzt. Russische Experten befürchten, dass zahlreiche Branchen, von der Unterhaltungs- bis zur Rüstungsindustrie, betroffen sein könnten. BP kündigte an, sich komplett aus Russland zurückzuziehen und seine Anteile von 19,75 Prozent am Staatskonzern Rosneft zu verkaufen.

Die russische Zentralbank setzte den Handel an der Moskauer Aktienbörse am Montag aus. Ob und wann sie am Dienstag geöffnet wird, ist ungewiss. An der Londoner Börse stürzten die russischen Wertpapiere ab. Die Sberbank-Aktie etwa verlor über 75 Prozent, Nornikel über 58 Prozent, Rosneft fast 45 Prozent. Und die Rating-Agentur Standard & Poor’s senkte die Kreditwürdigkeit Russlands auf BB+ – also jene Kategorie, mit der der „Ramsch“ beginnt.

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Das offizielle Russland zeigt sich unbeeindruckt von den Sanktionen

Die ersten Wirtschaftsmagnaten wenden sich inzwischen öffentlich gegen die russische Militäraktion in der Ukraine. Der Bankier und dreifache Dollarmilliardär Oleg Tinkow veröffentlichte gestern auf Instagram ein Familienfoto: „Wir sind gegen diesen Krieg.“ Schon vorher hatten seine reichen Kollegen Oleg Deripaska und Michail Fridman sich öffentlich für ein Ende des Blutvergießens ausgesprochen. Der Exilökonom Sergej Gurijew sagte dem Kanal TV Doschd, jeder Unternehmer mit westlichen Aktiva würde sich jetzt nach Abwägung der Risiken eher gegen den Krieg aussprechen, als Putin zu unterstützen.

Das offizielle Russland zeigte sich dagegen unbeeindruckt, auch von den Sanktionen. „Bisher ist bei uns doch gar nichts passiert“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow vor Journalisten. Auch ein Großteil der russischen Experten redet die Sanktionen klein.

„Wenn der Swift wegfällt, gibt es noch immer die alten Mechanismen der Sowjetunion“, sagt Iwan Rodionow, Finanzprofessor der Moskauer Hochschule für Wirtschaft. „Das Abwickeln von Import und Export wird mühsamer, teurer, aber kardinal wird sich nichts ändern.“ Die westlichen Sanktionen dienten vor allem zur Beruhigung der eigenen Öffentlichkeit, so Rodionow. „Wenn der Westen wirklich Ernst machen wollte, würde er die Lieferung von Saatgut an die russische Landwirtschaft einstellen. Aber wer will 140 Millionen hungrige und erboste Russen?“

Russische Supermärkte: Bislang sind die Regale voll

In den Supermärkten und Einkaufszentren an der Jugo-Sapadnaja sind die Regale noch voll. „Preiserhöhungen? Wieso?“, staunt eine Verkäuferin im Ecco-Schuhsalon. Krise? „Bei uns läuft alles normal!“, brummt ein Kunde im Rentenalter. Noch verdrängen viele die Krise.

Nur ein Mittvierziger namens Ruslan sitzt mit betretenem Gesicht im Café Tschajchona. „Seit Beginn des Krieges sind die Preise in dem Lebensmittelgeschäft, in dem wir einkaufen, jeden Tag um sieben Prozent gestiegen“, sagt Ruslan. „Ich achte darauf.“ Ruslan kommt aus der Westukraine, ist Spediteur, lebt mit seiner Familie seit über zehn Jahren in Moskau und rätselt nun, ob er Betrieb und Wohnung verkaufen und wegziehen soll. „Aber wohin? Wenn ich nach Hause anrufe“, sagt Ruslan, „beschimpfen mich die Verwandten als Memme. Nur weil ich den 140 Millionen Russen nicht klarmachen kann, was sie gerade anrichten.“

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