Berlin. Putin glaubte offenbar an einen raschen Siege in der Ukraine. Doch der Widerstand ist groß. Nun zielt die Offensive auf die Städte.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gibt sich siegesgewiss. „Legt eure Waffen nieder, verschwindet von hier, glaubt nicht euren Kommandanten, glaubt nicht euren Propagandisten“, wandte sich Selenskyj am Montag auf Russisch an die gegnerischen Soldaten. „Rettet einfach euer Leben.“ Seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine hätten bereits mehr als 4500 russische Soldaten ihr Leben verloren. Überprüfen lassen sich solche Angaben von ukrainischer Seite derzeit ebenso wenig wie die Verlautbarungen aus Moskau über den Verlauf des Angriffs.
Im Internet kursieren Aufnahmen von liegen gebliebenen russischen Panzern, denen der Sprit ausgegangen sein soll. Andere zeigen ukrainische Bauern, die unbewachtes Gerät der Angreifer mit Traktoren abschleppen. Auch die Authentizität dieser Videos ist nicht zu bestätigen. Doch bei westlichen Regierungen hat sich der Eindruck verfestigt, dass der russische Angriff aktuell ins Stocken geraten ist.
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Putins Vormarsch gerät ins Stocken
Die Invasion sei nicht so schnell vorangegangen, wie Russlands Präsident Wladimir Putin sich das vorgestellt habe, sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Montag dem Deutschlandfunk. „Das hat etwas zu tun mit dem erbitterten Widerstand, dem mutigen Widerstand der Ukrainer sowohl in der Armee als auch in der Zivilbevölkerung.“ Offenbar habe sich Putin aber auch „verkalkuliert“, fügte die Ministerin hinzu. „Er ist davon ausgegangen, dass sein Krieg schneller voranschreitet, und jetzt sieht er sich mit logistischen Problemen konfrontiert.“
In den frühen Morgenstunden des 24. Februars begannen die russischen Luftangriffe auf Dutzende militärische Ziele, darunter eine Reihe von Flugplätzen. Diese Angriffe dürften die ukrainische Luftwaffe weitgehend ausgeschaltet haben und sind die Grundlage dafür, dass ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums am Montag erklärte, Russland habe die Lufthoheit über die Ukraine erlangt.
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Russland meldete am Montag weitere Erfolge: Die Städte Berdjansk und Enerhodar im Südosten der Ukraine seien erobert worden und stünden unter russischer Kontrolle. Im Donbass im Osten des Landes stießen die von Russland unterstützten Separatisten demnach um weitere 19 Kilometer vor.
Militärexperten: Putin will die großen Städte umzingeln
Mit Beginn des Angriffs am vergangenen Donnerstag rückten russische Bodentruppen schnell von Osten, Norden und Süden auf ukrainisches Gebiet vor. Das Ziel der Zangenbewegung waren die großen Städte: die Metropole Charkiw im Osten, die Küstenstädte Mariupol und Odessa im Süden und natürlich die Hauptstadt Kiew im Norden.
Militärexperten vermuteten zu Beginn des Kriegs, dass Putin die großen Städte rasch umzingeln will. Mit einem Vordringen seiner Truppen bis zum Fluss Dnepr, der aus Belarus kommend von Norden bis zum Schwarzen Meer im Süden durch die Ukraine fließt, hätte Putin dann den Analysen zufolge alle Karten in der Hand, um die Ukraine zur Kapitulation zu zwingen.
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Nach Geländegewinnen im Süden, Osten und im Nordosten bis nach Kiew ist der Vormarsch am Boden – den russischen Propagandameldungen zum Trotz – zuletzt offenbar deutlich langsamer vorangekommen als geplant. Das stürzt die russische Armee nach Einschätzung des früheren Nato-Generals Hans-Lothar Domröse in Probleme: Es brauche eine große Anzahl von Kräften zur Absicherung der Panzertruppen, hinzu komme die Versorgung mit Benzin über Hunderte Kilometer sowie die Unterstützung mit Sanitätskräften. „Die Logistik ist enorm“, sagt Domröse unserer Redaktion. „Kurz gesagt: Einmarschieren kann jeder, aber Halten ist das Problem.“
Ex-General: „Das wird ein Blutbad“
Es sei aber unwahrscheinlich, dass Putin deswegen aufgebe. Mit Blick auf Kiew und die anderen großen Städte habe der russische Präsident nun zwei Möglichkeiten, so Domröse. „Alles mit Bombardements plattmachen ohne Rücksicht auf Verluste – und dann mit Bodentruppen nachrücken.“ So ein Vorgehen unter Mithilfe der russischen Armee sei in Syrien zu beobachten gewesen.
Option zwei: „Oder Putin geht direkt in die Städte – aber das bedeutet Häuserkampf und viele, viele Tote unter den eigenen Soldaten.“ In den Metropolen könnten die russischen Panzer aus jedem U-Bahn-Schacht, aus jedem Keller mit Panzerfäusten abgeschossen werden. Das stärke die Moral der Verteidiger. Aber: „Großstädte wie Kiew lassen sich nicht schnell einnehmen – das wird ein Blutbad“, befürchtet der frühere Bundeswehr-General.
Klitschko: „Unsere Frauen und Kinder gehen durch die Hölle“
In der Tat konzentrierte sich die russische Offensive am Montag offenbar auf die beiden Millionenstädte Kiew und Charkiw. In der Nacht seien mehrmals Angriffe auf die Außenbezirke Kiews abgewehrt worden, erklärte die ukrainische Armee. Die Menschen in der Hauptstadt hätten wegen der russischen Angriffe erneut eine schlimme Nacht hinter sich, sagte Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko in einem Video. „Unsere Frauen, Kinder, ältere Menschen gehen durch die Hölle. Wir brauchen jetzt Ihre Hilfe dringend“, rief Klitschko Deutschland und andere europäische Staaten zu Spenden auf.
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Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums kündigte am Montag an, Zivilisten könnten die umkämpfte ukrainische Hauptstadt über eine Autobahn Richtung Südwesten verlassen. Dies kann auch als Drohung verstanden werden, dass Russland in Kürze massive Angriffe auf Kiew plant.
Heftige russiche Angriffe auf Charkiw
Auch in Charkiw ist die Situation dramatisch. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, teilte auf Twitter Videos, die heftigen Raketenbeschuss eines Wohnviertels in Charkiw sowie im Zentrum der zweitgrößten Stadt des Landes zeigen sollen. Es gebe Dutzende Tote und Hunderte Verletzte, heißt es von ukrainischer Seite. Versucht Putin, die Ukrainer nun mit aller Gewalt in die Knie zu zwingen, bevor er den Krieg im Nachbarland nicht mehr aufrechterhalten kann?
Deutschland und seine Partner wollen die Ukraine zumindest angesichts der zugespitzten Lage so schnell wie möglich mit den versprochenen Waffenlieferungen unterstützen. „Die Waffen sind auf dem Weg – und da geht es nicht um Tage, da geht es um Stunden“, sagte Lambrecht am Montagmorgen. „Das ist auch wichtig, dass das jetzt schnell geht.“ Die Lieferung umfasst Panzerfäuste und Luftabwehrwaffen vom Typ Stinger, sie sollten bis an die polnisch-ukrainische Grenze gebracht werden.
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