Berlin. Der Krieg in der Ukraine trifft auch die deutsche Wirtschaft hart. DIHK-Präsident Peter Adrian erwartet „erhebliche“ Auswirkungen.
Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland treffen auch die deutsche Wirtschaft. Waren im Wert von fast 60 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr zwischen Deutschland und Russland gehandelt, mit der Ukraine betrug der Außenhandelsumsatz rund 8,5 Milliarden Euro. Peter Adrian steht als Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) einem der wichtigsten Wirtschaftsverbände Deutschlands vor.
Im Interview spricht der 65-Jährige über die Folgen des Krieges für die deutsche Wirtschaft, die Auswirkungen auf den Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität und die hohen Verbraucherpreise.
Herr Adrian, Russland hat einen Krieg mitten in Europa begonnen. Was bedeutet der Konflikt für die deutsche Wirtschaft?
Peter Adrian: Es ist ein Ereignis, mit dem wir nicht gerechnet haben. Die Situation stellt uns vor eine große Unsicherheit. Es geht ja hier um existenzielle Fragen des Zusammenlebens. Da sind auch die wirtschaftlichen Auswirkungen schwer absehbar. Klar ist nur, dass sie erheblich sein werden. Die Ursache dafür ist der von Russland begonnene Krieg. Darauf muss die Politik reagieren. Deshalb gibt es auch in der deutschen Wirtschaft ein großes Verständnis für harte Sanktionen.
Was bedeutet ein Abkoppeln von Swift für die deutsche Wirtschaft?
Adrian: Es dürfte in Russland selbst eine sehr starke und schnelle Wirkung entfalten, wenn das russische Finanzsystem einschließlich der Notenbank jetzt isoliert wird. Das wird natürlich auch spürbare Rückwirkungen auf uns hier in Deutschland haben. Auch die Folgen für unsere Energieversorgung müssen wir genau im Blick behalten.
Wie gefährdet ist schon jetzt der Handel deutscher und russischer Unternehmen?
Adrian: Wir erfahren eine sehr weitgehende Blockade in den Wirtschaftsbeziehungen. Ich gehe davon aus, dass erst mal nur noch sehr wenig bis nichts mehr funktioniert.
Deutschland liefert wichtige Industriegüter wie Maschinen, Autos und chemische Produkte nach Russland. Wie hart ist die Industrie getroffen?
Adrian: Auf der Embargoliste stehen vor allem Hightech-Produkte. Nicht nur der Maschinenbau und die Fahrzeugindustrie, sondern auch Dienstleister und das verarbeitende Gewerbe sind direkt betroffen. Die mittelbaren Auswirkungen dürften sich durch alle Bereiche ziehen.
Was heißt das für die betroffenen Firmen?
Adrian: Das ist sehr unterschiedlich. Dabei geht es nicht nur um Exporte, sondern auch um Kapital deutscher Unternehmen in Russland. Eine Reihe von existierenden Verträgen und Investitionen sind möglicherweise über die Instrumente wie etwa die Hermesdeckung abgesichert. Das trifft für einen Teil der Exportverträge sowie für etwa ein Drittel der deutschen Investitionen in Russland zu, also rund acht Milliarden von insgesamt 25 Milliarden Euro. Aber wir haben schon etliche Härtefälle, in denen hier ansässige Unternehmen wegen des Krieges und seiner Folgen in ihrer Existenz bedroht sein werden. Das gilt ja nicht nur für Russland-Sanktionen. Noch stärker betroffen sind ja deutsche Unternehmen mit engen Geschäftsbeziehungen in die Ukraine. Für Kriegsgebiete gibt es in der Regel keinen Versicherungsschutz.
Russland macht nur 2,3 Prozent des deutschen Außenhandels aus – wäre ein Embargo verkraftbar?
Adrian: Volkswirtschaftlich ist Russland für Deutschlands Handel – außerhalb der Energieversorgung – keine extrem kritische Größenordnung. Wichtig wird aber die Frage, welche Auswirkungen eine erneute umfangreiche Störung der Lieferketten hat. Nur ein Beispiel dafür: In Russland gibt es Ingenieurbüros, die für den europäischen Luftraum Software für die Steuerung und Überwachung der Radarsysteme der europäischen Flugsicherungsorganisationen entwickelt haben. Wenn diese Software nicht mehr genutzt werden kann, hat das natürlich gravierende Auswirkungen.
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Wie abhängig ist die deutsche Wirtschaft von russischen Rohstoffen?
Adrian: Bei Erzen und Edelmetallen kann man auf andere Lieferanten zurückgreifen. Schwieriger wird es bei der Energieversorgung, bei der Deutschland mit 55 Prozent beim Gas, 35 Prozent beim Erdöl und 50 Prozent bei der Kohle enorm abhängig von Russland ist. Norwegen ist mit seinen Gaslieferungen an uns bereits am Limit und könnte einen Ausfall nicht kompensieren. Die Amerikaner wollen mit Flüssiggas zwar unterstützen. Aber auch darüber könnten wir die fehlenden Mengen nicht ausgleichen.
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War es richtig, Nord Stream 2 auf Eis zu legen?
Adrian: Ich habe dafür volles Verständnis, dass man das in dieser Situation so gemacht hat.
Russland ist auch für Rohstoffe wie Palladium, das für den Bau von Autokatalysatoren gebraucht wird, ein wichtiger Handelspartner.
Adrian: Ja, beim Palladium ist Russland hinter Südafrika die Nr. 2 auf dem Weltmarkt. Wenn das nicht mehr aus Russland geliefert werden kann, drohen in einzelnen Wirtschaftssektoren massive Störungen. Dann entsteht tatsächlich die Gefahr, dass es zu Lieferverzögerungen bei Autos kommen kann.
Was bedeutet der Konflikt für den Handel mit der Ukraine?
Adrian: Deutschland hat seit dem Wegfall des Eisernen Vorhangs sehr gute und intensive Beziehungen zur Ukraine aufgebaut – nicht nur auf wirtschaftlicher Seite. Die deutsche Justiz hat beispielsweise daran mitgewirkt, in der Ukraine ein Rechtssystem mitaufzubauen. Für die Wirtschaft ist die Ukraine insbesondere mit Blick auf die Agrarproduktion und die Bodenschätze wichtig. Wir hatten 2021 sowohl bei den Importen als auch bei den Exporten ein kräftiges zweistelliges Plus. In der Ukraine gibt es 2000 aktive Unternehmen mit deutscher Beteiligung und etwa 50.000 Mitarbeitern. Eigentlich auch eine gute wirtschaftliche Perspektive, aber jetzt ist vor allem wichtig, dass die Menschen vor Ort nicht um ihr Leben bangen müssen und dieser Krieg schnell endet.
Wirkt sich der Krieg auf die Beziehungen zu Deutschlands wichtigstem Handelspartner China aus?
Adrian: Russland wird versuchen, durch seine Beziehung zu China zu kompensieren, was aus dem amerikanischen und europäischen Raum ab jetzt wegfällt – etwa technologische Lieferungen aus dem Bereich der Industrie und des Maschinenbaus. Das kann wiederum Folgen auch auf unsere Handelsbeziehungen zu China haben. Welche das sind, lässt sich auch heute noch nicht beziffern.
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Erwarten Sie Auswirkungen auf den hiesigen Arbeitsmarkt?
Adrian: Wir haben ja noch mit den Folgen der Corona-Pandemie zu tun. In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung Firmen unterstützt und es so geschafft, viele Insolvenzen zu vermeiden. Ich erwarte, dass es eine ähnliche Politik geben wird, wenn im Zuge des Krieges und seiner Folgen deutsche Unternehmen in ihrer Existenz gefährdet sind. Einen nennenswerten Anstieg der Arbeitslosigkeit befürchte ich nicht. Wir verzeichnen vielmehr fast flächendeckend Fachkräftemangel.
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Gerät der Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität durch den Krieg ins Hintertreffen?
Adrian: Das Thema Transformation ist für uns ein langfristiges Thema, das durch den Krieg nicht in Frage gestellt wird. Aber möglicherweise wird es zu kurzfristigen Korrekturmaßnahmen kommen, um die Energieversorgung zu sichern.
Die steigenden Preise belasten viele Verbraucherinnen und Verbraucher. Müssen wir uns auf eine dauerhafte Inflation einstellen?
Adrian: Wir hatten im vergangenen Jahr Sondereffekte bei der Inflation, nun kommen extreme Auswirkungen bei den Energiekosten hinzu. Ich hoffe, dass sich dieser Prozess nicht verselbstständigen wird, etwa indem es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt. Ob wir angesichts der derzeitigen Unsicherheiten schnell wieder zum angestrebten Ziel von 2 Prozent Inflation pro Jahr zurückkommen, halte ich für eine Herausforderung.
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Was heißt das für den steigenden CO2-Preis?
Adrian: Ich halte das Instrument der CO2-Bepreisung für richtig. Ja, es verursacht Kosten, zeigt aber einen Weg auf zur Klimaneutralität. Das Problem liegt aus unserer Sicht nicht pauschal in den höheren CO2-Kosten als viel mehr in den zu geringen Kompensationsregelungen für die Industrieunternehmen. Da in Deutschland auch kleinere Anlagen im Emissionshandel sind, entsteht ein Wettbewerbsnachteil. Die Transformation kann aber nur gelingen, wenn die deutsche Wirtschaft europa- und weltweit wettbewerbsfähig bleibt und so auch unseren Wohlstand zuhause sichern kann.
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