Berlin. Grünen-Chefin Ricarda Lang erklärt, wie Deutschland der Ukraine jetzt helfen soll und verteidigt die Erhöhung der Pendlerpauschale.
Sie ist die Nachfolgerin von Annalena Baerbock an der Spitze der Grünen: Ricarda Lang sagt im Interview mit unserer Redaktion, was Deutschland jetzt für die Ukraine tun sollte.
Sie sind 1994 geboren, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Welchen Blick haben Sie auf den Krieg, den Russland mitten in Europa entfesselt hat?
Ricarda Lang: Ich habe Angst um die Menschen in der Ukraine, die vollkommen unverschuldet in diese Situation gekommen sind. Die Aggression geht allein von Russland aus. Putin hat sich entschieden, diesen Angriffskrieg zu starten. Ich hatte das große Glück, Teil einer Generation zu sein, die in einem friedlichen, vereinten Europa aufgewachsen ist. Vieles war für uns eine Selbstverständlichkeit. Diese Gewissheit gibt es nicht mehr. Seit dem Tag des Überfalls auf die Ukraine leben wir in einer anderen Welt.
Wie kann der Westen Putin stoppen?
Lang: Die Bundesregierung hat zusammen mit unseren Partnern in der EU und den USA versucht, diplomatische Lösungen zu finden. Putin hat die Tür der Diplomatie zugeschlagen. Die Antwort darauf sind spürbare, wirtschaftliche Sanktionen. Es ist gut, dass das Wirtschaftsministerium als ersten Schritt Nord Stream 2 so schnell gestoppt hat. Diese Gaspipeline ist seit jeher ein geopolitischer Spaltpilz.
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Welche Opfer kommen auf uns in Deutschland zu?
Lang: Frieden kennt kein Preisschild. Wir müssen jetzt alles tun, um die Ukraine zu unterstützen. Dazu ergreifen wir eine Reihe von Sanktionen gegen Russland - und wir sind bereit, selbst Nachteile in Kauf zu nehmen. Denn natürlich gibt es viele wirtschaftliche Beziehungen, gerade auch im Energiesektor. Umso wichtiger ist es, dass wir unabhängiger von Gasimporten aus Russland werden.
Wie viele Kriegsflüchtlinge kann Deutschland aufnehmen?
Lang: Es wäre unseriös, jetzt Zahlen zu nennen. Wir bereiten uns darauf vor, humanitäre Hilfe zu leisten und Menschen aufzunehmen. Wir schauen gemeinsam mit unseren Partnern, wie wir die Menschen unterstützen können, die aus der Ukraine fliehen. Solidarität mit der Ukraine heißt natürlich auch Solidarität mit den Menschen, die jetzt fliehen müssen.
Kiew hat um Verteidigungswaffen gebeten - und Deutschland liefert Helme. Können Sie verstehen, dass die Ukrainer sich im Stich gelassen fühlen?
Lang: Deutschland hat die Ukraine stets unterstützt, bei Schutzausrüstung und der Versorgung von Verwundeten, finanziell und politisch. Das Ziel war es, mit Dialog und Härte einen Krieg in Europa zu verhindern. Putin hat mit seinem Handeln die europäische Friedensordnung angegriffen und der Diplomatie eine Absage erteilt, als er mit seiner militärischen Übermacht der Ukraine den Krieg erklärt hat. Wir setzen jetzt auf eindeutige und schmerzhafte Sanktionen, alles liegt auf dem Tisch.
Werden Sie die Entscheidung, keine Waffen an die Ukraine zu liefern, überdenken?
Lang: Natürlich ist die Lage seit dem Angriff eine völlig andere, die wir neu bewerten müssen. Sanktionen müssen von der Realität her gedacht werden. Aber wer jetzt so tut, als hätten Waffenlieferungen diese Situation verhindert, schätzt die russische Armee falsch ein.
Sie schließen Waffenlieferungen aber nicht mehr aus.
Lang: Nichts ist ausgeschlossen. Wir sind in jedem Fall mit unseren Partnern in Europa und den USA in ständiger Abstimmung darüber, wie wir die Ukrainer unterstützen können. Aber deutsche Waffenlieferungen würden Putin nicht stoppen.
Der deutsche Heeresinspekteur zweifelt an der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Die Truppe stehe zu Beginn des Ukraine-Krieges „mehr oder weniger blank da“, schrieb Alfons Mais in einem sozialen Netzwerk. Muss Deutschland sehr viel stärker in Verteidigung investieren?
Lang: Wir haben im Koalitionsvertrag verankert, dass wir unsere Armee gut aufstellen wollen. Und es ist kein Geheimnis, dass sie das im Moment nicht ist. Deswegen müssen wir in den nächsten Wochen genau schauen, wie wir hier weiter vorgehen. Dabei geht es vor allem um eine gute Ausstattung unserer Soldatinnen und Soldaten.
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Ist an eine Wiedereinführung der Wehrpflicht zu denken?
Lang: Nein. Ich halte wenig davon, den Konflikt zu nutzen, um abgeschlossene Debatten wie die zur Wehrpflicht wieder aufzumachen. Es geht jetzt um Hilfe für die Ukraine.
Wo bleibt die deutsche Friedensbewegung? Die Demonstrationen gegen die USA im Irak-Krieg waren viel stärker, als sie im Ukraine-Krieg gegen Russland sind.
Lang: In Teilen der Friedensbewegung gibt es ein gespaltenes Verhältnis zu Russland. Aber ganz große Teile unserer Gesellschaft zeigen, dass sie für Frieden in Europa stehen. In vielen Städten wurde in den letzten Tagen demonstriert, am Wochenende sind weitere Demonstrationen geplant.
Demonstrieren Sie selbst gegen Russland?
Lang: Ich demonstriere gegen die Politik des Kremls. Ich war bereits Donnerstag am Brandenburger Tor und werde auch am Sonntag bei der Großdemo in Berlin dabei sein. Übrigens gibt es auch in Moskau und anderen russischen Städten Proteste gegen den Krieg. Unsere Solidarität muss auch denen gelten, die sich in Russland für Demokratie, Menschenrechte und Frieden stark machen.
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Sind die Grünen noch eine pazifistische Partei?
Lang: Die Grünen sind eine Friedenspartei.
Wo liegt für Sie der Unterschied?
Lang: Friedenspolitik bedeutet nicht die Ablehnung jedes militärischen Mittels. Es muss immer unser Ziel sein, Frieden zu schaffen und die Friedensordnung zu erhalten. Wo immer möglich, müssen wir den diplomatischen Weg gehen.
Sie haben auf die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen verwiesen. Wozu raten Sie?
Lang: Eine Lehre aus dem Ukraine-Krieg muss sein, Versorgungssicherheit und Souveränität bei der Energieversorgung zu erlangen, uns insgesamt unabhängiger von russischen Importen zu machen. Die Abhängigkeit von russischem Gas macht uns in Europa verwundbar. Mehr Unabhängigkeit ist auch Teil unserer Antwort an Putin. Wir sind bei der Versorgungssicherheit gut aufgestellt für den Frühling und den Sommer. Aber wir müssen Vorkehrungen treffen für den Herbst und den nächsten Winter. Energiepolitik ist Sicherheitspolitik.
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Ist Flüssiggas aus den USA eine Lösung?
Lang: Mittelfristig werden erneuerbare Energien die Lösung sein, sie machen uns unabhängiger und sorgen für Preisstabilität. Deswegen bauen wir diese jetzt massiv aus. Bis dahin brauchen wir Gas als Brückentechnologie, es geht um Diversifizierung. Dazu kann auch Flüssiggas einen Beitrag leisten und deswegen geht es nun darum, auch eigene Anlandepunkte zu schaffen.
Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir die Energieeffizienz steigern und eine Wasserstoffinfrastruktur aufbauen. Und dass wir einen Plan für den Gasausstieg vorlegen, zum Beispiel mit einem Einbaustopp von Gasheizungen beim Neubau.
Sollte das Flüssiggas aus den USA kommen? Oder eher aus Katar?
Lang: Flüssiggas kann aus mehreren Ländern bezogen werden, es stehen einige Produzenten auf dem Weltmarkt zur Verfügung. Es ist auch nicht automatisch gleichbedeutend mit Fracking-Gas.
Halten Sie an dem Ziel fest, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen?
Lang:Selbstverständlich. Kohle ist keine Brückentechnologie, sondern ein Irrweg. Wenn wir den Kohleausstieg 2030 aufgeben, geben wir das Pariser Klimaabkommen auf. Auch die Klimakrise ist langfristig ein Sicherheitsrisiko. Es geht jetzt darum, das Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich zu erhöhen.
Die Energiepreise sind bereits auf Rekordniveau. Was sagen Sie den Menschen, die sich vor ihrer Strom- und Gasrechnung fürchten?
Lang: Dass sie sich auf uns verlassen können. Wir haben in der Ampel-Regierung ein Entlastungspaket auf den Weg gebracht, mit dem wir alle Teile der Gesellschaft in den Blick nehmen: Menschen mit geringerem Einkommen, ärmere Familien - aber auch die breite arbeitende Bevölkerung, die es deutlich merkt, wenn die Heizkostenrechnung explodiert.
Sie haben eine Erhöhung der Pendlerpauschale beschlossen. Wollten die Grünen umweltschädliche Subventionen nicht abschaffen?
Lang: Es geht um eine Erhöhung für Fernpendler, die bereits beschlossene Sache war, und die wir nun um zwei Jahre vorziehen. Aber entscheidend ist, dass wir im gleichen Zug eine Neuordnung der Pendlerpauschale noch in dieser Legislatur vereinbart haben, um sie sozial und ökologisch umzugestalten. Damit kommen wir besagtem Ziel also ein ganzes Stückchen näher.
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Sie ärgern sich gar nicht über diesen Beschluss?
Lang: Nein. Wir haben ein starkes Paket vereinbart, das für viele Menschen tatsächlich einen Unterschied machen wird. Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein, dass die Verkehrswende an vielen anderen Stellen zum Tragen kommt und Mobilität für alle bezahlbar bleibt. ÖPNV ist Daseinsvorsorge, Bus und Bahn dürfen daher nicht teurer werden. Dazu müssen die Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr noch in diesem Jahr deutlich angehoben werden.
Konkret?
Lang: Es gibt die abgestimmte Forderung aus den Ländern, den ÖPNV jetzt mit zusätzlichen 750 Millionen Euro auszustatten. Das unterstütze ich. Wir wollen eine gute Lebensqualität in den Städten - und eine gute Anbindung im ländlichen Raum. Es ist auch eine Frage der Freiheit, ob man auf das Auto angewiesen ist oder nicht. Ich hoffe, dass wir dieses freiheitliche Versprechen, das ÖPNV-Angebot schrittweise deutlich auszuweiten, gemeinsam mit unseren Koalitionspartnern einlösen werden.
Auf der anderen Seite verteuert die Politik den Energieverbrauch künstlich - Stichwort CO2-Preis. Wie sollen die Bürger das verstehen?
Lang: Die steigenden Energiekosten haben wenig bis gar nichts mit dem CO2-Preis zu tun, sondern sind auf die explodierenden Gaspreise zurückzuführen. Wir erleben eine fossile Inflation, weil die letzte Regierung den Ausbau der Erneuerbaren verschlafen hat. Gerade zu wenig Klimaschutz führt also zu höheren Preisen, die ja gerade Menschen mit geringem Einkommen hart treffen. Die Energiewende ist nicht nur ein klimapolitisches, sondern auch ein soziales Vorhaben.
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Die Ampel will den CO2-Preis in den nächsten drei Jahren auf 55 Euro erhöhen. Damit bringen Sie die Bürger gegen sich auf.
Lang: Nicht, wenn die Menschen das Geld zurückbekommen. Dafür haben wir uns auf ein Klimageld geeinigt, das dafür sorgen wird, dass die Menschen mehr auf dem Konto haben als zuvor.
Wann kommt dieses Klimageld?
Lang: In den nächsten Jahren. Erst einmal schaffen wir zum 1. Juli die EEG-Umlage ab. Das Klimageld wird der nächste Schritt sein.
Was sagen Sie den Aktivisten, die Straßen blockieren, weil Ihnen der Klimaschutz nicht weit genug geht?
Lang: Dass sie damit aufhören sollen, Menschen zu gefährden. Dass so viele Lebensmittel weggeworfen werden, ist gerade angesichts der Klimakrise natürlich ein großes Problem. Unser Agrarminister arbeitet unter Hochdruck daran, Lebensmittelverschwendung in der gesamten Wertschöpfungskette zu reduzieren. Aber diese Gruppe verspielt die Chance auf Mehrheiten für diese Anliegen, wenn sie dafür sorgt, dass Rettungswagen blockiert werden, Lehrerinnen zu spät zur Arbeit oder Pflegekräfte von der Nachtschicht nicht nach Hause kommen.
Vor einigen Tagen haben Sie noch Sympathie für ‚zivilen Ungehorsam’ gezeigt. Woher kommt der Sinneswandel?
Lang: Meine Sympathie für friedlichen und wirkungsvollen Protest als Teil der Demokratie ist ungetrübt. Aber ich habe von Anfang an gesagt, dass das nur geht, wenn niemand dabei gefährdet wird. Das bleibt meine Linie.