Berlin. Wegen des Ukraine-Konflikts drohen vermutlich keine Versorgungsengpässe, aber höhere Preise – auch in Deutschland. Ein Überblick.
- Russland ist für Deutschland einer der wichtigsten Öl- und Gaslieferanten
- Nun könnten die Preise für Gas und Benzin enorm steigen
- Als Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine hat die Bundesregierung das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 vorerst gestoppt.
- Was bedeutet eine Eskalation des Ukraine-Konflikts für die Gasversorgung?
Die Börse reagierte sofort auf den russischen Einmarsch in die Ukraine. In Singapur kletterte der Preis für ein Barrel Erdöl (159 Liter) der Nordseesorte Brent am Dienstag früh auf 97,63 US-Dollar, 2,24 Dollar mehr als am Vortag. Es ist der höchste Stand seit 2014.
Auch der Gaspreis wird steigen. Denn: Als Reaktion auf das russische Vorgehen stoppte die Bundesregierung am Dienstag das Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Ohne Zertifizierung kann Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen. „Das wird sich sicher hinziehen“, sagte Bundeskanzler Olaf Olaf Scholz, (SPD). Zuvor hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einem Brief die ihm unterstellte Bundesnetzagentur angewiesen, eine ursprünglich positive Bescheinigung zurückzuziehen.
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Öl und Gas: Kurzfristiger Preisschock sehr wahrscheinlich
Für die Autofahrer bedeutet der Preisanstieg, dass die Zwei-Euro-Marke – auf Autobahnen und für Premiumbenzin längst Realität – näher rückt. Mit der Angst vor Lieferengpässen steigt generell die Gefahr von Spekulation und mit höheren Energiepreisen auf breiter Front zugleich die Inflation.
Russland ist eines der größten Ölförderländer und für Deutschland einer der wichtigsten Öl- und Gaslieferanten. Was droht den Verbrauchern, wenn Russlands Präsident Wladimir Putin den Gashahn zudreht oder der Westen ihn bei der weiteren Eskalation des Ukraine-Konflikts mit einem Boykott für den Krieg bestrafen will? Schließt der Westen Russland von SWIFT aus, dem größten Zahlungsnetzwerk der Welt, käme der Handel mit Russland praktisch zum Erliegen.
Kurz nachdem die Bundesregierung das Zertifizierungsverfahren für die Gaspipeline Nord Stream 2 auf Eis gelegt hatte, drohte Dmitri Medwedew, Vizechef des Nationalen Sicherheitsrates in Russland, auf Twitter: „Willkommen in der schönen neuen Welt, in der die Europäer sehr bald 2000 Euro für 1000 Kubikmeter Erdgas bezahlen werden!“ Damit würde sich der Gaspreis gegenüber dem aktuellen bereits sehr hohen Niveau ungefähr um den Faktor 2,5 erhöhen.
Wie teuer wird das Gas nach dem Stopp von Nord-Stream 2 wirklich?
Wie hoch der Preisschock beim Gas ausfallen wird, beurteilen Experten unterschiedlich. Der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, sagte schon vor Tagen unserer Redaktion, "die Preise für Gas und Strom würden auf jeden Fall noch einmal deutlich steigen". Allerdings gibt es beim Erdöl eine nationale Notreserve, die den Bedarf für 90 Tage deckt. Und überdies genug Alternativen zu Russland.
Ulrich Leuchtmann, Rohstoff-Analyst bei der Commerzbank sprach gegenüber unserer Redaktion hingegen von einem mittelfristigen Problem. „Sollte Russland den Gashahn zudrehen, wäre Deutschland ab dem kommenden Herbst darauf angewiesen, die Gasimporte aus Norwegen und den nordafrikanischen Staaten zu erhöhen und gleichzeitig Flüssiggas zu beziehen.“ Viele Lieferanten von Flüssiggas hätten aber langfristige Verträge. "Wer liefert, wird das mit einem deutlichen Preisaufschlag tun."
In den Jahren 2018 und 2019 habe der Gaspreis pro Megawattstunde an den Terminmärkten zwischen 15 und 25 Dollar (13,2 bis 22 Euro) gelegen. Zuletzt schoss er zwischenzeitlich auf mehr als 150 Dollar hoch, derzeit werden zirka 80 Dollar fällig. "Sollte sich die Situation entspannen, könnte der Preis wieder unter 50 Dollar fallen. Wird Deutschland langfristig vom russischen Gasmarkt abgeschnitten sein, wird der Gaspreis wohl nicht mehr unter 80 Dollar betragen", schätzt Leuchtmann. Auch kurzfristige Ausschläge über 150 oder 180 Dollar seien dann möglich. Auch DIW-Forscherin Kemfert mahnt: „Es ist mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen, aber nicht, weil Nord Stream 2 gestoppt wird, sondern weil es sich generell um eine sehr ernste geopolitische Krise handelt.“
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Die EU wird jedenfalls unruhig. 40 Prozent der europäischen Gasimporte kommen aus Russland, das sind rund zehn Prozent der Energieversorgung. Das Gefühl der Abhängigkeit ist von der Leyen eine Lehre. "Was wir jetzt in diesem Winter erlebt haben, das darf sich nicht mehr fortsetzen", sagte sie. "Natürlich müssen wir uns anderes aufstellen für die nächsten Jahre", fügte sie hinzu.
Der Notfallplan: Flüssiggas aus Katar und den USA
Russland schadet sich kurz- und mittelfristig selbst, weil eine Haupteinnahmequelle jedenfalls in Europa versiegt. Aber Chinas Energiehunger ist sehr groß. Gut möglich, dass China einspringen würde.
Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) glaubt, dass man in Europa eine bestimmte Zeit mit Flüssiggas einspringen könnte. Auch darauf ist Deutschland indes nicht wirklich gut vorbereitet, weil es auf Verladeterminals im benachbarten Ausland angewiesen ist. Zu den Krisengewinnern würden Katar und die USA gehören; an einem entsprechenden Notfallplan wird längst gearbeitet. Allein im Januar hätten mehr als 120 Schiffe etwa zehn Milliarden Kubikmeter Flüssiggas geliefert.
Katar und die USA nehmen eine Schlüsselrolle ein. Starökonom Fuest empfiehlt eine Diversifizierung der Bezugsquellen. Die Risikostreuung hält er für wichtiger als den Aufbau einer nationalen Gasreserve. Außerdem empfiehlt er einen Ausbau der erneuerbaren Energien und der Atomstromimporte. Flüssiggas ist allerdings teurer als Erdgas.
Lieferstopp Russlands oder Boykott des Westens?
Eine ganz entscheidende Frage ist für Fuest wie für Kemfert, wie lange eine Invasion, ein Krieg andauern würde. "Wir reden über Wochen, nicht über Monate", stellte Kemfert im Gespräch mit unserer Redaktion klar. Ein Preisanstieg würde die Flugreisen verteuern und Spekulation und Inflation antreiben. Wobei die Experten davon ausgehen, dass Russland auch künftig Gas verkaufen möchte. Aber was ist, wenn Deutschland unter Druck gerät, zusammen mit anderen westlichen Staaten russische Energielieferungen zu boykottieren?
Ukraine-Konflikt: Wird auch Strom teurer?
Europa ist bei der Energie abhängig von Russland. "45 Prozent der EU-Importe von Kohle stammen aus Russland, 20 Prozent des russischen Gases wird hier verstromt", sagt Analyst Leuchtmann. Russland ist zudem Uranexporteur, auf längere Sicht könnte es also auch bei Ländern wie Frankreich, die auf Atomkraft setzen, ruckeln, sollte sich der Konflikt nicht entspannen. "Strom würde deutlich teurer werden."
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Ukraine-Konflikt: Welche Preise steigen noch?
Fast in Vergessenheit geriet derweil, dass die Ukraine nicht zufällig die "Kornkammer Europas" genannt wird. Das Land ist einer der größten Weizenexporteure der Welt. Ein Einmarsch Russlands würde die Agrarexporte beeinträchtigen und könnte im schlimmsten Fall zu steigenden Lebensmittelpreisen auch in deutschen Supermärkten führen.
Russland ist auch reich an Rohstoffen wie Nickel, Aluminium oder Holz. Empfindlich treffen könnte es die Autobauer, wenn Russland kein Palladium mehr liefern würde. Das silberne Metall wird beispielsweise in Katalysatoren verbaut.
Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de
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