Der schwankende Russland-Kurs der SPD hat Deutschlands Ansehen geschadet. Die Partei muss sich klar positionieren, meint Jan Dörner.
Wenn Olaf Scholz am kommenden Montag bei Joe Biden im Weißen Haus zu Gast ist, wird der US-Präsident vom Bundeskanzler wissen wollen: Wie weit seid ihr bereit zu gehen, sollte aus der Drohgebärde der 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine ein Angriff Russlands auf die westlich orientierte Ex-Sowjetrepublik werden.
Olaf Scholz mag seine Haltung in der Frage für eindeutig halten, international sorgt die Vielstimmigkeit in der deutschen Debatte über harte Sanktionen gegen Russland jedoch für Aufmerksamkeit. Ganz zu schweigen von der Weigerung der Bundesregierung, Estland die Weitergabe neun alter DDR-Haubitzen an die Ukraine zu erlauben.
All dies wird als Schwanken des größten EU-Landes gegenüber Russland wahrgenommen. Schließlich bezieht Deutschland die Hälfte seines Gases von dort. Moskau beobachtet die Debatte hierzulande mit Genugtuung, da die russische Regierung auf Schwäche und Spaltung in Europa und der Nato setzt. Die Ukraine, die baltischen Nato-Länder und die Vereinigten Staaten hingegen schauen mit Sorge und Unverständnis nach Berlin. Sie sind sich nicht sicher, ob sie auf die Regierung in Berlin zählen können.
Würde die SPD Nord Stream 2 tatsächlich opfern?
Zu dem Zweifel an Deutschlands Verlässlichkeit hat die SPD ihren Teil beigetragen. Kleinlaut wird in der Partei eingeräumt, dass dafür nicht allein der frühere Parteichef und Ex-Kanzler Gerhard Schröder verantwortlich ist. Schröder ist als Energie-Lobbyist im Namen des Kremls und Vertrauter von Präsident Wladimir Putin bekannt, seine unkritischen Äußerungen gegenüber Russland werden weder als offizielle Linie der SPD noch der Bundesregierung angesehen.
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Über Wochen hinweg haben aber führende Sozialdemokraten vom Kanzler über Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Fraktionschef Rolf Mützenich bis hin zu SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert Zweifel daran aufkommen lassen, ob sie im Fall einer russischen Invasion in der Ukraine dazu bereit wären, die deutsch-russische Gasröhre Nord Stream 2 zu opfern.
Inzwischen bemüht sich die SPD-Spitze erkennbar, gegenüber Russland mit einer Stimme zu sprechen. Auch ein Aus der Gaspipeline wird als mögliche Sanktion explizit nicht ausgeschlossen. Und doch hält Parteichef Lars Klingbeil es für notwendig, Fachpolitiker, Ministerpräsidenten und Bundesminister in einer internen Runde noch einmal auf diese Linie einzuschwören.
Für klare Linien bleibt der SPD nur wenig Zeit
Denn geklärt hat die SPD damit nicht endgültig, wie sie bei allem Wunsch nach Frieden und Dialog mit einem Russland umgehen will, das immer wieder durch Cyberangriffe und Auftragsmorde im Herzen Europas oder die Missachtung von Grenzen und staatlicher Souveränität demonstriert, wie sehr es die Friedensordnung des Kontinents missachtet.
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Es ist normal, dass gerade in großen Parteien zu manchen Themen ein breiter Meinungskorridor besteht. Oft braucht es Jahre, viele Diskussionsrunden, Kompromisse und mehrere Parteitage, bis – manchmal unter Schmerzen – Positionen geboren werden, die Parteilinie und mitunter Regierungshandeln werden.
Dafür hat die SPD als Kanzlerpartei im Falle Russlands aber keine Zeit. Schon gar nicht inmitten der größten Krise im bilateralen Verhältnis, seit Putin 2014 die ukrainische Krim annektierte. Das ist acht Jahre her. Es ist ein Versäumnis der SPD, die in der Partei schwelenden Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Russland so lange nicht zur Sprache und zur Klärung gebracht zu haben.
Nun wird die Partei von der Realität eingeholt. Bleibt Olaf Scholz im Ernstfall hart gegenüber Putin, muss die SPD ihm folgen. Tut sie das nicht, schwächt sie den Kanzler und die gesamte Bundesregierung gefährlich.