Cherson. Die Ukraine hat die Wasserversorgung der Halbinsel gestoppt. Russland verstärkt seine Truppen. Die Menschen fürchten eine Eskalation.

Ali Baba sitzt auf einem Plastikstuhl am Rande des Kanals. Er hat die Kapuze seines olivgrünen Parkas tief über das Gesicht gezogen, neben ihm liegt eine Angelrute. Er zeigt Richtung Süden. „Dahinten kannst du den Damm sehen, danach beginnt das besetzte Gebiet.“

Das „besetzte Gebiet“ ist die Krim, von der der ukrainische Armeeveteran stammt. Das Gewässer, an dem er angelt, ist der Nord-Krim-Kanal, über den die Halbinsel bis vor sieben Jahren üppig mit Wasser versorgt wurde. Er floss über eine Landenge vom ukrainisch kontrollierten Gebiet auf die Krim.

Ali Baba ist nicht der richtige Name des 53-Jährigen. So haben sie ihn früher beim Militär genannt. Er ist ein Krimtatar. Angehörige der ethnischen Minderheit wurden zu Sowjetzeiten von der Halbinsel deportiert, siedelten sich jedoch seit Ende der 80er-Jahre wieder dort an. Seit Moskau die Krim 2014 annektiert hat, stehen die Krimtataren wieder unter enormem Druck.

85 Prozent des verbrauchten Wassers kamen aus dem Kanal

Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland dreht sich nicht nur um den Osten des Landes. Er wird durch den Wasserkrieg verschärft. Nach der Krim-Annexion begann die Regierung in Kiew damit, der Halbinsel das Wasser abzudrehen. Die Versorgung mit dem kostbaren Nass ist lebenswichtig für die Krim, 85 Prozent des dort verbrauchten Wassers stammten aus dem Kanal.

Über den Anfang der 70er-Jahre gebauten Nord-Krim-Kanal wurde vor 2014 jährlich eine Milliarde Kubikmeter Wasser aus dem Fluss Dnepr auf die Krim geleitet. Doch nach der Annexion drosselte Kiew den Wasserfluss durch einen Staudamm hinter der Kleinstadt Nowa Kachowka. 2017 kam eine zweite Staudamm-Sperre: Kurz vor der Grenze zum russisch kontrollierten Territorium auf der Krim baute Kiew einen weiteren Staudamm.

Ukrainische Armee weiter in Alarmbereitschaft

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    Jetzt kommt nichts mehr über den Kanal an, und das hat enorme Auswirkungen. Die Behörden auf der Krim berichten von jährlichen Einbußen allein in der Landwirtschaft in Höhe von umgerechnet 200 Millionen Euro. Um das Wasserproblem in den Griff zu bekommen, muss Moskau Brunnen bohren oder Wasser vom russischen Festland heranschaffen.

    Sicherheitsexperten befürchten Wasserkonflikt

    Das Problem wird dadurch verschärft, dass in den vergangenen Jahren etwa eine halbe Million russischer Staatsbürger auf der Krim angesiedelt worden sind, jetzt leben dort etwa drei Millionen Menschen. Westliche Sicherheitsexperten führen den gewaltigen russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine und auf der Krim im April auch auf den Wasserkonflikt zurück.

    Hier liegt die Schwarzmeer-Halbinsel Krim
    Hier liegt die Schwarzmeer-Halbinsel Krim © Funkegrafik NRW

    Das russische Außenministerium kritisiert die Blockade als inhumanen Akt der ukrainischen Regierung: Sie solle „offensichtlich eine Bestrafung der Menschen“ dafür sein, dass sie 2014 in einer Volksabstimmung mit großer Mehrheit für die Angliederung an Russland votiert hätten. Das Referendum wurde von den UN als illegitim bezeichnet.

    Die Menschen leiden unter der Wasserblockade. „Es gibt Tage, an denen die Leute nur zwei Stunden fließend Wasser haben“, erzählt Albina. Die 42-Jährige steht mit ihrer Tochter auf der von der Ukraine kontrollierten Seite des Checkpoints Kalanchak. Sie wartet darauf, auf die Krim hinübergelassen zu werden.

    Albina, die ihren richtigen Namen aus Angst vor dem russischen Geheimdienst FSB nicht sagen will, besitzt auf der Halbinsel ein inzwischen geschlossenes Hotel. Einmal im Jahr schaut sie nach dem Rechten. „Jedes Mal, wenn ich da bin, wird es schlimmer, die Krim ist wie Nordkorea“, sagt sie.

    42.000 russische Soldaten sollen sich noch auf der Krim aufhalten

    „Russland hat die Krim in eine Militärbasis verwandelt“, sagt Viktor Sokolow vom Gorshenin-Institut, einer ukrainischen Denkfabrik. Im Hafen von Sewastopol seien russische Kriegsschiffe und U-Boote stationiert, in den Bunkern aus der Sowjetzeit lagerten Kurzstreckenraketen und Marschflugkörper. Im April sind die russischen Truppen auf der Krim deutlich aufgestockt worden. Mindestens 42.000 russische Soldaten sollen sich dort noch aufhalten.

    Moskau berichtet zwar von einer deutlichen Reduzierung der Verbände, doch in Kiew bleibt man skeptisch. „Wir haben alle Angst vor einer Eskalation“, betont Albina. Zugleich verschärft Moskau die Tonlage: Alexander Lukashevich, der russische Vertreter bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), warf Kiew „versuchten Völkermord“ vor.

    Russische Panzer rollen nach Bohrungen auf der Krim zu ihren Landungsschiffen zurück.
    Russische Panzer rollen nach Bohrungen auf der Krim zu ihren Landungsschiffen zurück. © dpa | Uncredited

    Das weckt in der Ukraine böse Erinnerungen. 2014 hatte Moskau die Intervention auf der Krim mit dem Schutzbedürfnis der dort lebenden Russen begründet.

    An dem Tag, an dem Ali Baba am Nord-Krim-Kanal angelt, fliegt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit dem Hubschrauber in die Region Cherson und besucht die Stellungen der Armee. Polizisten sichern die Wege, Soldaten liegen mit der Waffe im Anschlag in einem Feld. Ihre Sturmgewehre zielen Richtung Krim.

    Viele der Bunker und Schützengräben der ukrainischen Armee sind neu ausgebaut. „Unsere Führung, unsere Streitkräfte und unsere Gesellschaft wollen keine Fortsetzung des Krieges“, sagt der ukrainische Vize-Außenminister Vasyl Bodnar. „Aber wir sind bereit, uns selbst zu verteidigen.“