Essen. Das Juli-Hochwasser hinterließ in NRW eine Spur der Verwüstung. Die Umwelt kam jedoch glimpflich davon. Trotzdem geben Experten keine Entwarnung.
Als das Hochwasser im Juli 2021 NRW und Rheinland-Pfalz traf, befürchteten nicht wenige eine Umweltkatastrophe. Kleine Bäche verwandelten sich in reißende Flüsse, die ganze Landstriche verwüsteten und dabei Schutt, Müll und Öltanks mitrissen. 49 Menschen verloren in NRW ihr Leben, Existenzen wurden zerstört, doch wie hat sich die Flut auf die Umwelt ausgewirkt?
„Eher glimpflich“ verlief das Hochwasser für die Natur, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) NRW. In der Tierwelt sei es zu „Individuenverlusten“ gekommen. Tiere seien verendet, zum Beispiel Vögel. Allerdings nur vereinzelt. Hochwasser sind natürliche Ereignisse und stellen für die Natur deshalb kein großes Problem dar, so Jansen. Sie regeneriere sich vergleichsweise schnell. Entwarnung gibt der Umweltexperte aber nicht: Unklar sei, wie stark die Gewässer verunreinigt worden sind. Dafür gibt es zwei Gründe.
Nicht alle überschwemmten Gebiete in NRW sind systematisch untersucht worden sind. Es wurden lediglich Stichproben entnommen, so Jansen. Einen vollständigen Überblick über die Verschmutzungen könne es daher nicht geben. Hinzu komme, dass sich Schadstoffe in den Wassermassen extrem verdünnt haben und wohl über größere Flüsse ins Meer gespült worden sind.
Hochwasser 2021: Wassermassen spülen die Schadstoffe weg
Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) hat während der Flut zwei Wasseranalysen durchgeführt. In Leverkusen sind 1000 Liter Altöl freigesetzt worden, im Rhein zwischen Bad Honnef bis Bimmen/Lobith wurde eine erhöhte Öl-Konzentration gemessen, die nach wenigen Stunden wieder abnahm. Das Problem: Bereits ein Liter Öl reicht aus, um eine Million Liter Trinkwasser unbrauchbar zu machen.
Die Trinkwasserversorgung war jedoch sichergestellt. Der Ruhrverband sei „mit einem blauen Auge“ aus dem Hochwasser davongekommen, sagt ein Sprecher. Die Talsperren, die der Wasserwirtschaftsverband betreibt, seien durch die Wassermengen normal beansprucht worden, die Stauseen „deutlich stärker“. Trotzdem hätten sie „einwandfrei funktioniert“.
Hier gibt es weitere Brennpunkte zum Hochwasser 2021:
- Fluthilfe: NRW beschleunigt Auszahlung für Betroffene.
- Erdrutsch: Durchsuchung auch in Dortmund.
- Das lange Warten und die Rückkehr nach der Flut.
Zwei der 65 Kläranlagen des Verbands sind überschwemmt worden – ohne gravierende Folgen für die Natur. In einer Kläranlage kommen meistens keine toxischen Materialien zum Einsatz. Geholfen habe hier der Verdünnungseffekt: Die schieren Massen an Wasser spülten mögliche Schadstoffe fort. Schnell seien beide Anlagen wieder einsatzbereit gewesen, sie hielten Ablaufwerte ein.
Was schwerer zu wiegen scheint: Durch übergetretene Flüsse wurden Böden zumindest zeitweise verseucht. Stichproben zeigten lokal unterschiedliche Ergebnisse, einige der Proben wiesen auffällige Werte von Kohlenwasserstoffen, einzelnen Schwermetallen und giftigen Bau-Chemikalien wie PCB auf, so das LANUV. Manche Untersuchungen laufen noch.
Herangetragene Schlämme setzen sich insbesondere in Mulden und Senken ab – und somit auch auf Ackerflächen. „Die Landwirtschaft war massiv betroffen“, sagt Bernhard Rüb, Sprecher der NRW-Landwirtschaftskammer. Das Ausmaß ist verheerend: Knapp 15.000 Hektar der Landwirtschaftsfläche in NRW wurden vor einem halben Jahr getroffen. „Ganze Höfe standen unter Wasser oder sind komplett verschwunden“, erzählt Rüb. Tiere seien dabei kaum verstorben, dafür verzeichneten die Betriebe zum Teil enorme Ernteausfälle.
Flutkatastrophe: Betroffene Äcker können wieder bestellt werden
Die Landwirtschaftskammer schätzt den wirtschaftlichen Schaden für den Sektor auf rund 52 Millionen Euro. Immerhin: Die Äcker können inzwischen wieder bestellt werden. Bleibende Umweltschäden habe die Kammer keine festgestellt. „Uns sind keine Flächen bekannt, die durch das Hochwasser dauerhaft nicht mehr bewirtschaftet werden können“, sagt Rüb.
Vollgelaufene Keller, demolierte Häuser, kaputte Infrastruktur: Johannes Remmel, ehemaliger NRW-
Schwammstadt soll in NRW entstehen
Wie soll sich NRW für Hochwasser wappnen? Eine Maßnahme, für die sich der BUND und der Ruhrverband aussprechen, ist die sogenannte Schwammstadt. Weniger versiegelte Flächen und mehr Grün in den Städten sollen Regenwasser vor Ort zwischenspeichern. Jüngst gab die NRW-Landespolitik grünes Licht für ein Modellprojekt. In NRW soll die erste Schwammstadt entstehen. Bald stehe fest, wo, so Fabian Schrumpf, baupolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. „Es gibt bereits zahlreiche Kommunen, die gern an dem Modellversuch teilnehmen würden.“ Laut SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty hatte die rot-grüne Vorgänger-Landesregierung schon 2016 in einem Starkregen-Konzept die Einrichtung einer Schwammstadt angedacht.
Umweltminister, hat sich das Ausmaß der Zerstörung vor Ort angeschaut. Der Grünen-Politiker ist Obmann im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Hochwasserkatastrophe“ und war unter anderem in Stolberg im Rheinland. „Jedes Hochwasser ist eines zu viel – auch für die Umwelt“, sagt Remmel.
Allein in NRW seien 170.000 Tonnen an Sperrmüll angefallen. Die Entsorgung belaste die Umwelt, hebt Remmel hervor. Bauschutt, Umweltbeeinträchtigungen durch Treibstoffe und Heizöl aus Leck geschlagenen Tanks kämen noch hinzu.
Die Lehren aus dem Hochwasser: Umweltexperte fordert präventive Maßnahmen
Um die Umweltfolgen weiter nachvollziehen oder sogar abmildern zu können, braucht es aus seiner Sicht „dringend“ eine Langzeitbeobachtung der von der Flut betroffenen Flüsse und Bäche. „In Anbetracht der Umweltfolgen, aber auch angesichts der 49 Todesopfer, sehen wir das Land in der Pflicht, die Hochwasserprognosen deutlich zu verbessern, schneller zu warnen und auch den technischen Hochwasserschutz zu optimieren“, meint Remmel.
Auch BUND-Geschäftsleiter Dirk Jansen fordert vom Land, mehr zu tun, um NRW auf weitere Fluten vorzubereiten. Er wünscht sich neben einer Ausweitung der Wasser-Messprogramme eine „neue Art des Bauens“ sowie „eine grundlegende Neuordnung der Raumordnungspolitik“. Bei Bauvorhaben müsse der Hochwasser- und Umweltschutz zwingend mitgedacht werden. Klar sei: Hochwasser lassen sich nicht verhindern – lediglich ihre Folgen können abgemildert werden.