Berlin. Bundesfinanzminister Christian Lindner will 60 Milliarden Euro in einen Klimafonds fließen lassen. Die Opposition reagiert empört.
Christian Lindner erträgt die Vorwürfe stoisch. „Taschenspielertrick“, wirft der CDU-Abgeordnete Christian Haase dem neuen Bundesfinanzminister vor. Ein „Ausverkauf des liberalen Tafelsilbers“, ätzt AfD-Politiker Peter Boehringer. Von einem „Angriff auf das Parlament und das Grundgesetz“ spricht die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch.
Es ist eine brisante erste Debatte, der sich der neue Finanzminister im Bundestag stellen muss. Etwas mehr als eine Woche ist Christian Lindner im Amt. Und hat nun einen Nachtragshaushalt eingebracht.
Darin enthalten: 60 Milliarden Euro an genehmigten, aber nicht aufgenommenen Krediten zur Bewältigung der Corona-Pandemie. Die neue Ampel-Koalition von SPD, Grüne und FDP will das Geld in den Energie- und Klimafonds (EKF) schleusen, anstatt weniger Schulden aufzunehmen.
Christian Lindner verteidigt milliardenschweren Nachtragshaushalt
Der Fonds soll die Wirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützen. Die Klimaziele schweben wie ein Damoklesschwert über der Legislaturperiode. Hinzu kommen weitere kostspielige Vorhaben, etwa die geplante Aufholjagd bei der Digitalisierung. Wo aber das Geld hernehmen? Neue Steuern hat Lindner ausgeschlossen. Und ab 2023 greift die Schuldenbremse wieder.
Das Finanzpolster von 60 Milliarden Euro könnte sich perspektivisch als wohltuender Puffer erweisen. Auch wenn Christian Lindner solche Überlegungen zurückweist. Seine Argumentation: Durch die Pandemie seien Ausgaben in die Transformation ausgefallen, die 60 Milliarden Euro hätten also durchaus einen Corona-Bezug. „Die Pandemie und die Transformation bedingen sich geradezu“, sagt der FDP-Politiker. „Wir bauen eine Brücke aus der Pandemie in eine klimaneutrale Zukunft.“
Union will vor das Bundesverfassungsgericht ziehen
Zum ärgsten Widersacher schwenkt sich die Union auf. Sie will vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Vorhaben klagen. „In einer wundersamen Wandlung werden Corona-Kredite zu Klima-Krediten“, sagte der CDU-Finanzexperte Christian Haase im Parlament. „Es ist doch offensichtlich, dass Sie die Schuldenregeln aushöhlen.“
Tatsächlich ist der Nachtragshaushalt juristisch umstritten. Der Bundesrechnungshof hatte den Vorstoß als „verfassungsrechtlich bedenklich“ bezeichnet. „Der nun mit dem Nachtragshaushalt gewählte Weg steht auf verfassungsrechtlich dünnem Eis“, sagte auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), unserer Redaktion.
Denn nicht von der Pandemie verursachte Strukturprobleme seien per se kein verfassungsrechtlicher Grund für eine Kreditaufnahme im Rahmen der Notstandsbekämpfung. Trotzdem könnte Lindners Argumentation funktionieren, glaubt Hüther. „Die argumentative Hürde ist hoch, aber überwindbar.“
Auch die große Koalition verabschiedete einen zweiten Nachtragshaushalt
Im Bundestag lieferten sich derweil die einstigen Wunschpartner Union und FDP einen Schlagabtausch. Noch im Sommer 2020, als die große Koalition von CDU/CSU und SPD ebenfalls mehr als 26 Milliarden Euro in einem Nachtragshaushalt in den EKF umlenkte.
Eine Situation, die sowohl die Union als auch die FDP in eine missliche Lage bringt. Denn die FDP nannte das Vorhaben damals verfassungswidrig. Die Union hingegen setzte es durch. Nun haben die Parteien die Rolle getauscht.
Christian Lindners Seitenhieb in Richtung Helge Braun
Christian Lindner erinnerte den bisherigen Kanzleramtschef und neuen haushaltpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Helge Braun, daran, dass er sich noch im Januar in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ offen für eine längere Aussetzung der Schuldenbremse gezeigt habe. Als „mittlerweile obsolet“ wies Braun, der auch für den CDU-Vorsitz kandidiert, den Vorwurf zurück.
„Ausschließlich die Corona-Pandemie war die Ursache für die Nachtragshaushalte in den vergangenen Jahren“, sagte der CDU-Politiker Carsten Körber an die FDP gerichtet und sprach von einem „haushaltspolitischen Sündenfall“. Der FDP-Finanzpolitiker Otto Fricke sah in den Angriffen der Union hingegen den Versuch, den „inneren Stress“ abzubauen.
Vergiftete Stimmung zwischen Union und FDP
Union und FDP – das stand lange Zeit und auch im Wahlkampf für ein ähnliches Verständnis im Umgang mit Geld. Davon war am Donnerstag nicht mehr viel übrig geblieben. Beide Parteien arbeiteten sich aneinander ab. Dass auch noch zwei andere Parteien in der Regierung sitzen, konnte man dabei fast vergessen. Kein Wunder. Die Grünen warben im Wahlkampf noch damit, die Schuldenbremse reformieren zu wollen, die SPD hielt sich zurück.
Als die Union nun aber vom Verfassungsspruch sprach, schaltete sich der ehemalige Koalitionspartner doch ein. „Wir haben mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2020 28 Milliarden Euro ebenfalls in den Energie- und Klimafonds überführt. Und wir haben das nicht nur mit den Stimmen der Union gemacht, sondern auch noch voll des Lobes aus der Union“, sagte Dennis Rohde, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.