Hildburghausen. In Hildburghausen ist die Lage dramatisch. Der Ort hat eine der niedrigsten Impfquoten in Deutschland. Warum ist das so? Ein Ortsbesuch.
- In der vierten Corona-Welle sind die Inzidenzen in einigen Städten extrem hoch
- So auch in Hildburghausen in Thüringen - sie liegt über 2000
- Unser Reporter war Ende November vor Ort
Der Marktplatz im Zentrum von Hildburghausen liegt wie ausgestorben da. In der Dunkelheit verleiht der seichte Nebel der Kleinstadt in Südthüringen eine unheimliche Atmosphäre. Es ist Montagabend, kurz nach 19 Uhr. Da betritt eine Gruppe Männer und Frauen den Platz, es werden schnell mehr.
Wenige Minuten später stehen rund 150 Personen auf dem Marktplatz – Erwachsene, Jugendliche, Kinder. Sie umarmen sich zur Begrüßung, kaum einer trägt Maske. Viele halten Grabkerzen in den Händen. Einige sagen, sie seien nur hier, um sich den Weihnachtsbaum anzuschauen. Die meisten antworten jedoch nicht, wenn man sie anspricht. Sie möchten nicht mit Journalisten reden. „Halt dich von denen fern“, weist ein Mann seinen Kumpel an. Dann zieht die Menge los und die Stimmung, anfangs noch friedlich, wird aufgeheizter. Die Teilnehmer skandieren lauthals: „Friede, Freiheit, keine Diktatur!“ Es ist der Schlachtruf der Corona-Gegner in der Pandemie. Ihre Rufe hallen durch die Straßen und schmalen Gassen, die den Marktplatz umgeben.
Corona: Demonstranten gegen die Corona-Auflagen
Der Zorn der Demonstranten richtet sich gegen die Corona-Auflagen. Die Landesregierung in Erfurt hat die Einführung der 2G-Regelung verkündet. Zutritt in Restaurants, Fitnessstudios und Museen hat nur noch, wer geimpft oder genesen ist.
Im gleichnamigen Landkreis, in dem Hildburghausen liegt, kann die Mehrheit nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen. Denn bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von fast 900 beträgt die Impfquote nur 47 Prozent. Das ist selbst im impfmüden Freistaat Thüringen der schlechteste Wert und bundesweit eine der niedrigsten Quoten. Ändert sich nun wegen 2G etwas?
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Hildburghausen: Lassen sich die Ungeimpften noch bekehren?
Das Impfzentrum von Hildburghausen liegt unterhalb der ehemaligen Stadtmauer im alten Stadttheater. Für den Betrieb ist die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen (KVT) zuständig. Sie hat die Räumlichkeiten von der Stadt gemietet. Drinnen herrscht reger Betrieb.
Alexander Meyer, 40, leitet die Impfstelle. Er sagt, heute seien 240 Impfungen geplant, „damit sind wir komplett ausgebucht.“ Überhaupt war der Andrang noch nie so hoch wie in diesen Tagen. Ob das tatsächlich an den Einschränkungen für Ungeimpfte liegen könnte? Meyer winkt ab: „80 Prozent kommen zum Boostern.“ Ob sich die ungeimpften Hildburghausener noch bekehren lassen? Meyer will darauf nicht antworten, aber er macht nicht den Eindruck, dass er daran noch glaubt.
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Zurück im Stadtkern, neuer Versuch. Was sagen die Impfgegner von Hildburghausen? Eine Antwort zu erhalten, ist nicht so einfach. Viele Einwohner sind nicht bereit, ein paar Fragen zum Impfen zu beantworten. Vielleicht haben sie auch keine Lust, dass ihre Stadt wieder Schlagzeilen macht. Es wäre nicht das erste Mal. Vor gut einem Jahr hatte der Ort bundesweit die höchste Inzidenz, damals liefen schon wütende Einwohner durch den Ort, um gegen die Maßnahmen zu protestieren.
Impfung: Totimpfstoffe könnten Impf-Bereitschaft erhöhen
Tilo Kummer ist seit 2020 Bürgermeister von Hildburghausen. Der Politiker der Linken empfängt in seinem Büro, gleich um die Ecke der Impfstelle. Der 53-Jährige ist doppelt geimpft, verfolgt die neuen Auflagen der Landesregierung aber mit großer Sorge. Kummer sagt: „Wir erleben in der Stadt eine steigende Aggressivität in der Auseinandersetzung über die Corona-Maßnahmen.“ Die Einführung der 2G-Regel würde den Graben zwischen Geimpften und Ungeimpften nur vergrößern. „Wenn wir eine Zweiklassengesellschaft haben, bringt uns das beim Impfen nicht weiter.“
Die Gründe für die geringe Impfbereitschaft? Maximal komplex. Kummer legt los: „Es gibt nicht nur den allgemeinen Impfgegner. Wir haben es auch mit Personen zu tun, die gegenüber den Impfstoffen skeptisch sind.“ Der Bürgermeister vermutet, dass ein sogenannter Totimpfstoff die Bereitschaft im Ort erhöhen könnte. „Damit haben damals die Bürger in der DDR sehr gute Erfahrungen gemacht.“ Lesen Sie hier: Corona-Kinder-Impfung geplant - alle Infos zur Wirksamkeit
In der Stadt gebe es auch Vorbehalte unter Ärzten. Kummer kramt ein Schreiben hervor. Ein Bund aus Medizinern und Wissenschaftlern fordert darin die Bundesregierung auf, die Corona-Maßnahmen „sofort und vollständig“ zu beenden. Die Auflagen seien „weder sinnvoll“ noch „medizinisch begründbar“. „Das hängt hier in einer Praxis,“ sagt Kummer. Der Arzt sei eigentlich ein Impfbefürworter. „Aber natürlich wirkt sich das auf die Impfbereitschaft der Menschen aus.“
Kummer erinnert an die Diskussionen um den Astrazeneca-Impfstoff und das russische Vakzin Sputnik, das in der EU seit März auf eine Zulassung wartet. „Da fühlen sich manche Leute in den Kalten Krieg zurückversetzt und fragen sich, ob Entscheidungen wirklich auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen werden, was hier zugelassen wird und was nicht.“
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Corona-Gegner glauben nicht an Schutz durch Impfung
Sorgen bereitet Kummer auch die „Südthüringer Rundschau“. Die kostenlose Wochenzeitung liegt überall in der Stadt aus. Unter dem Motto „Der Leser hat das Wort“ veröffentlicht die Redaktion überwiegend maßnahmenskeptische Leserbriefe. So beklagt ein Leser, dass er als „Ungeimpfter und Testunwilliger (…) ein Parasit, ein Sozialschädling“ sei. Ein anderer attestiert Politik und Medien, die Bürger mit „Halbwahrheiten und Lügen manipulieren zu wollen“. Das Blatt ist das ideale Ventil, um Corona-kritische Meinungen gespickt mit Desinformationen gesellschaftsfähig zu machen. Der Bürgermeister seufzt: „Für viele in der Gegend ist das die einzige Zeitung.“ Mehr zum Thema: Lockdown für alle in Sachsen? Kretschmer will „Wellenbrecher“
„Ich werbe weiter für die Impfung“, so Kummer. Aber er wünsche sich mehr Informationen „zu der genauen Wirksamkeit der Impfstoffe“ oder wie sich die Wahrscheinlichkeit eines Impfdurchbruches bei den einzelnen Stoffen unterscheidet. Aber ließe sich so die Impfbereitschaft spürbar erhöhen? Auch „drastische“ Fotos aus der Intensivstation des hiesigen Krankenhauses, auf der ungeimpfte Corona-Patienten liegen, könnten laut Kummer ein Teil der Lösung sein. „Aber ich kann ja nicht einfach in die Klinik gehen, zehn krasse Fotos von den Sterbenden auf der Intensivstation machen und in die Zeitung stellen.“ Das stimmt natürlich.
Er hofft, dass das Impfzentrum offenbleibt. Ursprünglich habe sich die Stadt mit der KVT auf einen Mietvertrag bis zum 31. Dezember 2021 geeinigt. Die KVT würde gerne um weitere drei Monate verlängern. „Bei mir ist noch kein Antrag eingegangen“, sagt Kummer.
Hildburghausen: Die Mehrheit ist ungeimpft
Zurück auf dem Marktplatz. Die wenigen Restaurants und Cafés sind teilweise geschlossen. Etwas abseits steht eine Mutter mit ihrem Sohn. Ihr Vater ist auch dabei. Ihren Namen nennen sie nicht, um ihre Einstellung machen sie aber keinen Hehl. Die Frau sagt: „Ich bin eine Impfgegnerin gegen alles.“ Sie wolle sich auch nicht zum Schutz ihres Sohnes impfen lassen. „Niemals!“
Auch die 2G-Maßnahmen bewegen sie nicht zum Umdenken. „Dann bleibe ich eben zu Hause.“ Ihr Vater ist doppelt geimpft. „Dem konnte ich das nicht ausreden“, sagt sie lachend. Für ihn sei die Impfung aber nur die „Eintrittskarte“ zu einem halbwegs normalen Leben. An den Schutz glaubt auch er nicht. Dass auf den Intensivstationen hauptsächliche ungeimpfte Patienten um ihr Leben kämpfen, bestreiten sie. Die Frau sagt: „Alles Lügen.“
Am Dienstagabend ist in der Gaststätte „Wacholderschänke“ wenig los. „Für Samstag haben wir mit einer geschlossenen Gesellschaft mit 60 Gästen geplant“, sagt die Personalleiterin Silvia Schmidt durch ihre schwarze FFP2-Maske. Darunter wären auch Ungeimpfte gewesen. „Der Gruppe mussten wir absagen.“ Schmidt zuckt mit den Schultern: „Wir haben ja keine Wahl. Wir wollen einfach weiterhin geöffnet haben und halten uns an die Regeln.“ Ihr Problem: Einige Gäste hätten schon die 3G-Regelung nicht nachvollziehen können. „Wie soll das bloß nur mit 2G werden?“ Übrigens: Silvia Schmidt ist geimpft. Als einzige unter den Mitarbeitern im Service.
Die Mehrheit der Hildburghausener ist ungeimpft und wird es vorerst wohl auch bleiben.
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