Berlin. Die Art, wie die Ampel-Partner Politik machen wollen, wird hart geprüft werden, meint unsere Politik-Korrespondentin Theresa Martus.

Es war das erste gemeinsame Projekt der Ampel-Partner: Ein neuer Ton sollte Einzug halten in der politischen Auseinandersetzung. Miteinander reden statt öffentlich übereinander, Vertrauliches vertraulich behandeln, immer respektvoll bleiben.

Und tatsächlich haben die Sondierungsteams aller drei Parteien das durchgehalten. Keine einfache Aufgabe, wenn die Augen des ganzen Landes auf das gerichtet sind, was sich da gerade formiert.

Theresa Martus, Politik-Korrespondentin
Theresa Martus, Politik-Korrespondentin © Reto Klar | Reto Klar

Nach außen kommunizierte man vor allem Geschlossenheit, nicht allein mit Worten, sondern immer wieder auch einprägsam mit Bildern. An Tag 21 nach dem grün-gelben Vierer-Selfie, das den Beginn dieser neuen Ära markieren sollte, hat sich vor allem die Phalanx aus Habeck, Baerbock, Lindner und Wissing bereits tief ins Bildgedächtnis der Nation eingegraben.

Eine Zäsur in der politischen Kultur des Landes hat Christian Lindner das genannt, die Grünen sprachen am Wochenende ausgiebig vom neuen Stil, der in den Gesprächen schon jetzt geprägt worden sei und der Hoffnung stifte.

Und wer das ewige Hakeln der großen Koalition noch nicht aus Selbstschutzgründen verdrängt hat, der kann gar nicht anders, als zu hoffen, dass sie damit recht haben. Wer sich erinnern kann an die zermürbenden Choreografien, bei denen häufig ein Schritt vor, einer zurück und dann noch einige im Kreis gemacht wurden, bis man am Ausgangspunkt zurück war, der will diesen neuen Stil.

Christian Lindner verkündet im Fernsehen ein Klimaministerium

Doch aus der Beobachterperspektive drängt sich der Verdacht auf, dass das gegenseitige Schulterklopfen möglicherweise ein bisschen zu früh kommt. Drei Wochen nach dem grün-gelben Vierer-Selfie tauchen die ersten Kratzer auf in der neuen Harmonie.

„Keine Personaldiskussionen“ hatte man immer wieder betont. Und offenbar verpasst, Wolfgang Kubicki Bescheid zu sagen, der am Wochenende seinen Parteichef als Finanzminister nominierte. „Erst ganz am Ende Debatten über Ministeriumszuschnitte“ war vereinbart.

Die Finanzierungsfragen haben Annalena Baerbock (Grüne), Christian Lindner (FDP), Robert Habeck (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) noch nicht geklärt.
Die Finanzierungsfragen haben Annalena Baerbock (Grüne), Christian Lindner (FDP), Robert Habeck (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) noch nicht geklärt. © Getty Images | Jens Schlueter

Und dann stellte sich Christian Lindner in der ARD hin und verkündete en passant ein Klimaministerium. Hinterher sagte er zwar, das sei ein „Versehen“ gewesen. Aber man muss kein besonders misstrauischer Mensch sein, um da Zweifel anzumelden.

Denn die bisherige Harmonie wurde auch dadurch garantiert, dass man einiges, was sie hätte beschädigen können, schlicht nach hinten vertagt hat. In erster Linie die Frage, wie all die Projekte, die die „Fortschrittskoalition“ (O-Ton Baerbock) anstoßen will, bezahlt werden sollen.

Die umfassende Digitalisierung des Landes, eine Lösung für das demografische Problem der Rente und vor allem der Umbau einer gesamten Volkswirtschaft hin zu CO-freier Produktion – alles Projekte, die das Land über Jahrzehnte prägen werden, alles Vorhaben, für die der Staat viel Geld benötigt.

Die harten Auseinandersetzungen liegen noch vor den Ampel-Verhandlern

Und das sind nur die Felder, wo jetzt schon klar ist, dass es teuer wird. Gut möglich, dass da in den nächsten Jahren noch unerwartete Ausgaben im großen Stil dazukommen. Gerade Olaf „Bazooka“ Scholz weiß das sehr gut.

Die wirklich harten Auseinandersetzungen liegen deshalb noch vor den Ampel-Verhandlern. Und sie werden sie ausfechten müssen ohne den Schutz des Schweigeversprechens, das bisher den größten Druck von außen ferngehalten hat.

Wie weit der neue Stil tatsächlich trägt, wenn es darauf ankommt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen – und dann, so denn eine Koalition zustande kommt, immer aufs Neue in den Jahren danach. Es wäre den drei Parteien, vor allem aber auch dem Land, zu wünschen, dass ihnen dieses erste Projekt wirklich gelingt.