Berlin. Kramp-Karrenbauer und Altmaier verzichten auf ihre Mandate, die CDU-Führung steht in der Kritik. Wie geht es mit der Partei weiter?
Das Beben beginnt mit einem Klick. Am späten Samstagnachmittag drückt Annegret Kramp-Karrenbauer auf ihrem Handy auf „Twittern“. Sie hat ihre Worte sorgfältig gewählt, sie weiß um die Wirkung, die ihre Nachricht entfachen wird. Kramp-Karrenbauer, von vielen nur AKK genannt, schreibt: „Die CDU muss sich für die Zukunft gut aufstellen.“ Peter Altmaier und sie würden dazu beitragen wollen – und verzichten auf ihr Mandat im Bundestag.
Binnen Stunden teilen und kommentierten Tausende ihren Beitrag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Und in der CDU löst der Tweet Schockwellen aus.
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AKK, einst Kurzzeit-Vorsitzende und zuletzt Verteidigungsministerin, und Altmaier, in vielen ranghohen Ämtern in der Partei und zuletzt Wirtschaftsminister, machen nach dem Debakel bei der Wahl den Weg frei. Im Saarland, dort, wo Kramp-Karrenbauer und Altmaier angetreten waren, holte die CDU kein Direktmandat, wurde abgestraft. Die Jüngeren sollen nun nachrücken: Nadine Schön und Markus Uhl.
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Von Stetten: Mittelstandskreis der CDU fordert Rücktritt der ganzen Parteispitze
Zwei Größen der Partei treten ab, per Twitter. Und die Turbulenzen nehmen in den Stunden danach an Fahrt auf. Christian von Stetten, als Chef des Mittelstandskreises der Union eine gewichtige Stimme in der Fraktion, legt nach: Nicht nur Parteichef Armin Laschet müsse zurücktreten – sondern gleich das „gesamte Parteipräsidium“, sagt der CDU-Politiker der „Bild am Sonntag“. Das Präsidium habe „über Jahre die Programmatik der CDU verwässert“, und Laschet in eine „chancenlose Kanzlerkandidatur getrieben“.
Die CDU taumelt auf der Suche nach einem Kompass und einem Kapitän. Schon die vergangenen Jahre waren von Machtkämpfen geprägt. Erst scheiterte AKK als Wunsch-Nachfolgerin von Kanzlerin Merkel, dann bracht ein Duell zwischen Laschet und Markus Söder um die Kanzlerkandidatur aus. Nun, nach der Wahlniederlage, bringen sich die Kontrahenten in Position.
Showdown im CDU-Parteipräsidium – Laschet unter Druck
Am heutigen Montag um 9 Uhr könnte es zum ersten Showdown um die Laschet-Nachfolge kommen. In der CDU-Parteizentrale trifft sich das Präsidium. Noch-Chef Armin Laschet will der Führung erklären, wie er die Wahl seiner Nachfolge vorstellt. Nur zweifeln viele daran, ob er überhaupt den Rückhalt noch hat, diesen Übergang zu moderieren.
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Schon auf der brisanten Sitzung heute könnten sich Kandidaten wie Außenexperte Norbert Röttgen oder Gesundheitsminister Jens Spahn offiziell ins Spiel bringen. Chancen rechnet sich auch der Wirtschaftsliberale Friedrich Merz aus, obwohl er schon zweimal mit einer Kandidatur scheiterte.
Unklar ist, wer das Rennen macht. Klar scheint nur: Das Machtvakuum nach dem Scheitern von Laschet wird nicht ohne erneute Debatten und einem harten Ringen gefüllt werden.
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Markus Söder schießt verbal aus Bayern gegen Laschet – Merz kritisiert CSU
Und da ist ja auch noch Markus Söder, der selbst am liebsten Kanzlerkandidat geworden wäre und nun aus Bayern scharfe Töne in Richtung Laschet schießt: „Es ist einfach so: Am Ende wollten die Deutschen einen anderen Kanzlerkandidaten als den, den CDU und CSU aufgestellt haben“, sagte der CSU-Chef bei einem Treffen der Jungen Union.
Für Ruhe in unruhigen Zeiten sorgen diese Kommentare aus Bayern nicht. Merz wirft Söder und der CSU schlechten Stil im Wahlkampf vor. „Das Jahr 2021 markiert einen Tiefpunkt unserer Zusammenarbeit und unseres Umgangs miteinander“, schreibt Merz in seinem digitalen Rundbrief. „Stillos, respektlos und streckenweise rüpelhaft“ sei der Umgang gewesen. Lesen Sie auch: Wer ist Armin Laschet? Politische und private Fakten über den CDU-Chef
Es ist ein scharfer Ton, es ist aber auch Unsicherheit und Sorge, die CDU und CSU nach der Wahlniederlage prägen. Wer mit Politikerinnen und Politikern in der CDU spricht, hört die Angst vor den Folgen einer „Entfremdung“, die es zwischen der Basis der Partei und der Spitze nun gebe. Die Sorge vor dem Ärger unter den Mitgliedern ist so groß, dass sogar das einst wenig beliebte Mitgliedervotum für einen Parteivorsitz ins Spiel gebracht wird.
Unionsfraktionsvize sieht Potenzial und Risiken bei Mitgliedervotum über Parteivorsitz
„Bei der Neuaufstellung der CDU-Führung müssen wir ernsthaft darüber diskutieren, wie die Mitglieder der Partei mehr Mitsprache erhalten“, sagt Thorsten Frei, CDU-Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Unionsfraktionsvorsitzender, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Konferenzen mit der Basis reichen nicht aus. Ein Mitgliedervotum über den Parteivorsitz hat Potenzial, birgt aber auch Risiken. Klar ist: Eine Hängepartei über eine Entscheidung an der Parteiführung darf es nicht geben.“
Fraktionsvize Frei hebt hervor, dass die Partei „nach der deutlichen Wahlniederlage“ nun „inhaltlich, personell und organisatorisch einen Neuanfang“ vollziehen müsse. „Dabei hilft uns weder ein Scherbengericht noch ein kompletter Austausch der Parteiführung von heute auf morgen.“ Klar sei, so Frei, dass die CDU „schnell handlungsfähig werden muss mit einem Team an der Spitze, das auch an der Parteibasis Rückhalt hat“.
Auch eine Gruppe junger CDU-Politiker um JU-Chef Tilman Kuban und den Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor fordert eine Mitmischen der Basis bei der Wahl einer neuen Führung. „Es ist nicht Aufgabe derjenigen, die die aktuelle Lage zu verantworten haben, einen neuen Vorsitzenden auszuwählen“, schreiben die Politiker in einem Beitrag für die „Welt am Sonntag“.
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Es sind vor allem die alten Namen, die ernsthaft gehandelt werden
Nur wer könnte diese verunsicherte CDU nun anführen? Es sind vor allem die alten Namen, Merz, Spahn, Röttgen, die ernsthaft gehandelt werden. Auch den jetzigen Fraktionschef Ralph Brinkhaus bringen immer wieder Unionsleute ins Gespräch. In Lauerstellung ist noch Carsten Linnemann, 44, Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion.
Friedrich Merz‘ Stärke ist seine Schwäche: Er ist ein Angebot an konservative Wähler, aber eben deswegen keine Integrationsfigur. Mit 65 Jahren ist er relativ alt und bestenfalls ein Übergangskandidat. Merz wäre alles andere als Signal der personellen Erneuerung.
Wie Merz hat auch Außenexperte Röttgen schon mal versucht, CDU-Chef zu werden. Vergeblich. Röttgen war schon im Frühsommer dabei, als sich erstmals junge Abgeordnete von Grünen und CDU in einem italienischen Restaurant Sassella trafen. Dieser „Pizza Connection“ blieb er treu. Wie bei Merz wäre auch seine Wahl eine Richtungsentscheidung. Allerdings eine, bei der die CDU eine Partei der Mitte bliebe.
Jens Spahn rechnet sich mit konservativem Kurs Chancen als Parteichef aus
Auch Jens Spahn hat Vorteile, zum Beispiel sein Alter: 41. Dabei ist man geneigt, ihn einen alten Hasen zu nennen. Im Bundestag sitzt der Münsterländer seit bald 20 Jahren. Spahn hat Laschet unterstützt. Aber in diesen Tagen zeigt sich: Ein Bündnis mit kurzem Haltbarkeitsdatum. Vielen in der CDU ist er zu konservativ. Doch mit einer neuen Erzählung – für die CDU als Partei der Mitte – ist Spahn nicht chancenlos. So wendig ist er allemal.
Viel Zeit für eine neue Aufstellung bleibt der CDU nicht: In einem halben Jahr stehen Landtagswahlen in mehreren Bundesländern an, darunter im wichtigen Nordrhein-Westfalen. Schon bringen manche eine Interimslösung an der Bundesspitze ins Spiel – um nach möglichen CDU-Wahlerfolgen aussichtsreiche neue Kandidaten für den Vorsitz der Bundespartei zu präsentieren.
CDU-Politiker Heveling: Wir brauchen keinen „Treuhänder“ für die Union
Einer von ihnen könnte dann sein: Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Er ist moderat und unaufgeregt, hinter ihm könnten sich wohl viele versammeln. Da eine Regierung von CDU, FDP und Grünen anführt, wäre er auch ein Signal: Jamaika ist möglich.
Doch gewählt wird im Norden erst im Mai. Und nicht alle sind Fan einer Übergangslösung an der Spitze, bis die Wahlen möglicherweise neue Köpfe nach vorne bringen. Der CDU-Abgeordnete und Fraktions-Justiziar der Union, Ansgar Heveling, sagt: „Wir brauchen bald eine neu aufgestellte Parteiführung. Dabei ist ein Übergangsvorsitz aber der falsche Weg. Wir brauchen keinen ‚Treuhänder‘ für die Union, wir brauchen eine Parteiführung, die rasch das inhaltliche Profil als christdemokratische Volkspartei gewährleistet“, sagt Heveling unserer Redaktion.
Heveling fordert „möglichst bald“ einen Bundesparteitag, um mit „neuer Spitze geschlossen und kraftvoll“ agieren zu können – wahrscheinlich in der Opposition.
Was auffällt: Keiner Frau werden ernsthaft Chancen ausgerechnet – und kein frisches Gesicht taucht bisher auf, das für einen Neustart stehen könnte. Manch einer in der Bundestagsfraktion hofft nun noch auf Überraschungen aus den Landesverbänden der CDU.
Dort nach guten, neuen Kandidaten für den Chefposten im Bund zu suchen, sei ein wichtiger Schritt, sagt einer. Und verweist in die Geschichte: Helmut Kohl habe mit starken Ergebnissen in Rheinland-Pfalz und als dortiger Landeschef Anfang der Siebziger den Sprung zum Bundesvorsitzenden geschafft. 1982 wurde er Kanzler, 16 Jahre blieb er es.