Berlin. Die CDU muss sich dringend erneuern. Doch Armin Laschet bietet keine Gewähr dafür – meint unser Politik-Korrespondent Miguel Sanches.

Die CDU ist eine taube Nuss, im Kern ausgetrocknet. Kann passieren nach 16 Jahren an der Macht. Seit Langem wissen Konservative nicht, woran sie bei der Partei sind. Deswegen konnten sich die AfD und in Bayern die Freien Wähler etablieren. Es ist eingetreten, was die CSU jahrzehntelang vermeiden wollte: eine Kraft rechts von der Union. Wären in der AfD nicht so viele politisch Unappetitliche unterwegs, wäre der Zulauf für sie größer. Die Erneuerung ist die wichtigste Hausaufgabe der CDU.

Die hohe Steuer- und Abgabenlast, die unaufhörliche Überregulierung, das verstörende Flüchtlingsjahr 2015, dazu die vielen Wendungen: Angela Merkel war mal gegen den Mindestlohn und die Maut, für die Kernkraft und gegen einen Ansatz der Vergemeinschaftung der Schulden in Europa. Jede Volte ist isoliert erklärbar, in der Summe waren sie 16 Jahre lang mehrheitsfähig. Aber sie haben zu viele Stammwähler befremdet.

CDU: Partei muss sich eigenständig erneuern

Politik-Korrespondent Miguel Sanches kommentiert die Situation der CDU.
Politik-Korrespondent Miguel Sanches kommentiert die Situation der CDU. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die programmatische Auszehrung ist vermutlich unvermeidlich. Koalitionen führen zu Kompromissen, manche Entscheidung trifft eine Kanzlerin in der Gewissheit, dass sie sinnvoll ist, egal, wie sie ausgeht. So erging es Helmut Kohl mit der Aufgabe der D-Mark, Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 und Merkel 2015.

Es ist die Aufgabe der jeweiligen Kanzlerpartei, eigenständig die Erneuerung voranzutreiben. Aber das ist leichter gesagt als getan. Die Merkel-CDU glich zuletzt der Partei in der Endphase Kohls: uniform, konform, chloroform.

Bei der Bundestagswahl haben nur 8,7 Millionen Menschen für sie gestimmt – 18,9 Prozent. Wenn man danebenlegt, wie viele aber die jeweiligen CDU-Kandidaten direkt gewählt haben und also ansprechbar waren – über zehn Millionen Erststimmen oder 22,5 Prozent –, wird deutlich, wie sehr die Partei mit Armin Laschet als Spitzenkandidat unter ihren Möglichkeiten geblieben ist. Das schlechte Ergebnis der Unionsparteien hat in erster Linie die CDU verschuldet – die CSU betrieb halbwegs erfolgreich Schadensbegrenzung. Indes hätte die Union wohl mit jedem Kandidaten ein historisch schlechtes Ergebnis erzielt.

Statt halbherzige Loyalität gegenüber Laschet: stützen oder stürzen

Nun besteht die Aufgabe darin, die Union wieder mit den bürgerlich-konservativen Wählern zu versöhnen, ohne in Extreme zu verfallen. Die Mitte ist der Bereich, wo sich Wahlen entscheiden, aber sie ist auch eine Wanderdüne. Wenn man ihr wie Merkel immer folgt, entfernt man sich von den eigenen Wählern. Als sie ankündigte, nicht wieder anzutreten, war klar, dass ein Teil ihrer sozialdemokratischen Wähler sich wieder dem Original zuwenden könnte. Die Möglichkeit musste man einkalkulieren.

Es ist zweifelhaft, ob sich Laschet je viele Gedanken darüber gemacht hat, was er mit dem Land anfangen würde. Die einfachste Vermutung wird von Tag zu Tag plausibler: Als sich die Chance zur Kandidatur ergab, ergriff er sie. Aber da endet ein Führungsanspruch nicht, da beginnt er erst. Laschet handelte situativ, obwohl die Wähler nach Substanz lechzten. Als er das begriff und spät Farbe bekannte, glich er einem Chamäleon, das sich anpasst. Nun will er die Realität nicht wahrhaben. Die Fallhöhe ist ja auch groß: entweder Kanzler oder eine Fußnote der CDU. Ein Rücktritt am Wahlabend hätte ihm Respekt eingebracht. So aber läuft er Gefahr, wie ein Hund vom Hof gejagt zu werden. Wenn ein Ampel­bündnis kommt, wird er es als Rendezvous mit der Wirklichkeit erleben.

Die CDU muss nicht in die Opposition gehen, um sich zu erneuern, aber sie braucht Führung. Sie lässt Laschet gewähren, zugleich setzt sie sich in Teilen von ihm ab. Diese Feigheit vor dem Freund ist furchtbar. Anstatt mit halbherziger Loyalität sollte sie es mit Eindeutigkeit versuchen: stützen oder stürzen.