Berlin. Nach der Wahlniederlage rechnet der CDU-Politiker Friedrich Merz mit seiner Partei ab – und äußert sich zu seiner politischen Zukunft.

24,1 Prozent, ein Minus von 8,8 Punkten – bei der Union sitzt der Schock über den Ausgang der Bundestagswahl immer noch tief. Die erste schonungslose Analyse liefert Friedrich Merz, der im Kampf um den CDU-Vorsitz zweimal knapp unterlegen war, im Interview mit unserer Redaktion.

Herr Merz, wie lange kann sich Armin Laschet noch als CDU-Chef halten?

Friedrich Merz: Die entscheidende Frage wird sein: Kommen wir überhaupt in die Nähe von Koalitionsverhandlungen? Oder bleibt es bei den Vorsondierungen mit FDP und Grünen? Wenn ich es richtig beurteile, geht es derzeit eher Richtung Ampel. Zwischen SPD, Grünen und FDP scheint es schon sehr intensive Gespräche zu geben. Als Zweitplatzierter müssen wir im Augenblick unsere Ansprüche zurückstellen.

Der CDU-Politiker Friedrich Merz am 29. September 2021 zu Gast in der Funke Zentralredaktion in Berlin. Foto: Reto Klar / Funke Foto Services
Der CDU-Politiker Friedrich Merz am 29. September 2021 zu Gast in der Funke Zentralredaktion in Berlin. Foto: Reto Klar / Funke Foto Services © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Worauf führen Sie die historische Niederlage der Union zurück?

Merz: Dafür gibt es eine ganze Serie von Gründen. Der größte strategische Fehler der Union in den letzten drei Jahren ist am 29. Oktober 2018 gemacht worden. An diesem Tag hat die Partei akzeptiert, dass das Amt der Parteivorsitzenden und der Bundeskanzlerin nicht mehr in einer Hand liegen. Damit war klar, dass wir ohne einen Amtsbonus aus dem Kanzleramt heraus in die Bundestagswahl gehen. Es wäre besser gewesen, wir hätten die ordnungsgemäße Übergabe von Partei und Kanzleramt frühzeitig vollzogen. So, wie man dies im normalen Leben in jeder Firma doch machen würde.

Sie geben eher Angela Merkel die Schuld als Laschet?

Merz: Man kann diese wirklich historische Wahlniederlage nicht einer Person allein zuordnen, Parteiführung und Fraktion haben die Entscheidungen der letzten Jahre ja alle mitgetragen. Der Wahlkampf ist auch viel zu spät vorbereitet worden, es fehlten die Überschriften, die Themen und die Medienstrategie. Wir hatten einen Kandidaten mit sehr niedrigen Zustimmungswerten in der Bevölkerung. Da wäre ein Wahlsieg schon ein kleines Wunder gewesen. Im Übrigen: Wichtige Wählergruppen haben wir schon 2017 verloren, die SPD- und Grün-geneigten Wähler sind uns dann am letzten Sonntag ebenfalls verloren gegangen.

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Hat Laschet noch Ihre Unterstützung?

Merz: Ich bin da sehr altmodisch: Wenn wir einen Vorsitzenden gewählt haben, dann unterstütze ich ihn, solange er eine Chance hat, seine Aufgaben auch zu erfüllen. Und diese Chance hat er immer noch.

Wie lange gilt das?

Merz: Das müssen wir abwarten. Wir sind jetzt in einer extrem empfindlichen und unsicheren Phase der deutschen Politik.

Kann sich die Union besser in der Opposition erneuern als in der Regierung?

Merz: Ich bin der kühnen These, dass sich Parteien nur in der Opposition erneuern können, nie gefolgt. Richtig ist trotzdem, dass vor allem die CDU in den langen Jahren der Regierungsverantwortung ziemlich viel an Profil und Inhalt aufgegeben hat. Ich habe mich zweimal als Parteivorsitzender beworben, um die Partei inhaltlich-strategisch wieder stärker auszurichten. Aber das ist vergossene Milch. Es ist, wie es ist. Wir sind da, wo wir sind. Jetzt müssen wir nach vorne schauen.

Worauf kommt es bei der Erneuerung der CDU an?

Merz: Die Partei muss etwas tun, was sie sich in den letzten Jahren abgewöhnt hat: Sie muss wieder lernen, politisch-inhaltlich zu arbeiten.

Ist die CDU faul geworden?

Merz: Die CDU ist denkfaul geworden. Sie hat sich viele Jahre lang auf den Apparat der Regierung gestützt – bis in die Bundestagsfraktion hinein. Die Union hat das thematische Arbeiten verlernt. Das gilt für ihre inhaltliche Ausrichtung wie auch für ihre Präsenz bei den Themen und den Menschen. Wir haben einfach in den letzten Jahren den Kontakt zur Lebenswirklichkeit der Menschen nicht mehr überall halten können. Das muss jetzt wieder erarbeitet werden – egal, ob in der Regierung oder in der Opposition.

Ralph Brinkhaus ist nur für sechs Monate zum Fraktionsvorsitzenden gewählt worden. Wer folgt?

Merz: Wir werden vermutlich irgendwann Ende des Jahres eine neue Regierung sehen. Davon wird sehr stark die Aufstellung der Union abhängig sein.

Sie kennen den Job an der Spitze der Fraktion. Wollen Sie ihn wiederhaben?

Merz: Ich kenne den Job aus der Perspektive des Oppositionsführers. Franz Müntefering hat mal gesagt: Opposition ist Mist. Aber so schrecklich war das damals nicht. Ich würde uns aber dringend empfehlen, falls es denn so weit kommen sollte, die Opposition nicht mit einer Doppelspitze zu führen, sondern mit Partei- und Fraktionsvorsitz in einer Hand.

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Wenn die CDU bald wieder einen Parteivorsitzenden sucht: Nehmen Sie einen dritten Anlauf, oder ist dieses Kapitel für Sie abgeschlossen?

Merz: Ich habe mich zweimal um den Parteivorsitz beworben, jeweils mit Unterstützung einer überwältigenden Mehrheit der CDU-Mitglieder, die auch weiterhin ungebrochen ist. Trotzdem hat der Parteitag zweimal anders entschieden. Mein Bedarf an streitigen Abstimmungen gegen "das Establishment" ist gedeckt.

Welche Rolle streben Sie an?

Merz: Ich richte mich jetzt darauf ein, ein normaler und hoffentlich guter Abgeordneter zu sein. Ich werde mich sehr intensiv um meinen Wahlkreis kümmern und in Berlin solide Parlamentsarbeit machen.