Berlin. „Kann ja nicht Corona sein, du bist doch doppelt geimpft“, dachte unser Autor, als er mit Kopfschmerzen aufwachte. Doch er irrte sich.
- Auch Menschen, die vollständig gegen Corona geimpft sind, können sich mit dem Virus infizieren
- Das musste auch unserem Reporter feststellen: Er erkrankte an Covid-19
- Hier berichtet er über seine Corona-Infektion und seine Erfahrungen mit der Krankheit
Am Sonntag, dem 1. August, wache ich in meinem Schweiß auf. Die Nacht war ungefähr so erholsam wie der Marathon des Sables durch die Sahara. In meinem Kopf hämmert es, als hätte eine Herde Schweine meinen Schädel aufgesägt und würde nun darin herumtrampeln. Mein erster Gedanke: „Jetzt hast du Corona.“ Mein zweiter Gedanke: „Kann ja nicht, du bist doch doppelt geimpft.“ Mein dritter: „Raus aus dem Bett. Um 9.20 Uhr geht dein Flug nach Zürich.“
Es soll meine erste Reise werden nach anderthalb Jahren Pandemie, dreimal hatte ich sie verschieben müssen. Eine Freundin lebt dort. Die Schweiz erschien mir zwischenzeitlich so unerreichbar und gefährlich wie Papua-Neuguinea. Meinen vierten Gedanken habe ich, als mich aus dem Spiegel der gemeinsame Sohn von Iggy Pop und einem „Walking Dead“-Darsteller anstarrt: „So kommst du in kein Flugzeug“, ächzt Iggy-Zombie. Ich sage meiner Freundin ab und lege mich wieder hin.
Mit Corona infiziert – aber das erste Testergebnis ist falsch negativ
Erstmals habe ich mich im April mit Astrazeneca impfen lassen, das so beliebt war wie ein Mettigel in der Veganer-WG. Ich hätte auch einen Mettigel verspeist, wenn es mir die möglichst zügige Rückkehr in ein normales Leben erlaubt hätte. Ende Juni folgte die zweite Spritze. Ich dachte damals: „So ein bisschen Nebenwirkung wäre doch jetzt ganz gemütlich. Vielleicht melde ich mich dann krank und gucke Zoo-Dokus und ,Rote Rosen‘.“ Doch ich fühlte mich zum Bäume-Ausreißen.
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Und wenn die Impfung nun tatsächlich nicht angeschlagen hat? Sie wirkt zu 80 Prozent, hatte die Hausärztin mich damals aufgeklärt, bei Immungeschwächten vielleicht weniger, aber darunter falle ich ja nicht.
Ich wanke zum Schnelltest-Zelt, es steht auf einem Foodmarkt zwischen Bioburger- und Craftbier-Trucks. Eine fröhliche junge Frau macht mit mir einen frivolen Scherz über meine Testnummer 69 und stupst mit einem Wattestab mein Nasenloch an. Ich frage sie, was sie sonst so macht: „Gastro“, sagt sie. „Und ich habe ein Video-Blog.“ Testergebnis: negativ.
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Ein Impfdurchbruch – so wahrscheinlich wie ein Lotto-Gewinn
Am Montag schmerzen meine Glieder, als würde ich auf einer Streckbank gefoltert. Es herrscht Krieg in meinem Körper. Wer immer die Biester in mir sind, sie streben eine feindliche Übernahme an.
Am Dienstag gehe ich zum Arzt. Über ein Fenster nimmt mir eine Sprechstundenhilfe einen PCR-Test ab. Am Mittwoch das Ergebnis: positiv mit der Delta-Variante. Ich bin zunächst fast erleichtert: Feind identifiziert. Dann google ich: 7200 Menschen haben sich trotz doppelter Impfung mit dem Coronavirus angesteckt, 90 Prozent davon mit der Delta-Variante.
43,2 Millionen Deutsche sind vollständig geimpft. Covid-19 trotz Impfung ist also (noch) so wahrscheinlich wie ein Lottogewinn, die große Liebe zu finden oder mit dem ersten Manuskript einen Besteller zu landen. Der Durchbruch als Buchautor war mir nie geglückt. Nun also der Impfdurchbruch. „Warum gerade ich?“, schreie ich das Schicksal an. „Tja, warum gerade du nicht?“, antwortet es mir gelangweilt.
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Ich informiere alle, die ich seit Mittwoch getroffen habe. Ein Freund bangt um seinen Ibiza-Urlaub, ein anderer um seine Therapie, mein Nachbar sagt einen Besuch bei seinen Eltern ab. Alles ist miteinander verknüpft und abhängig von Zufällen. Binsen, deren Bedeutung mir jetzt wieder bewusst wird. Ich werde ein bisschen zur Attraktion, bekomme nette Anrufe, Freunde stellen Essen vor die Tür und sich selbst für einen Plausch unter meinen Balkon.
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Quarantäne: Lieferservice, Einsamkeit, Homeoffice
Am Donnerstag ruft eine freundliche Frau vom Gesundheitsamt auf dem Festnetz an (die Nummer haben nur meine Eltern) und ordnet die Quarantäne an. Sie stellt erleichtert fest, dass auch ich freundlich bin. Ich ahne, was sie sich so alles anhören muss.
Ich soll alle Menschen in eine Tabelle eintragen, mit denen ich zwei Tage vor dem Test zusammen war. Ob sie nicht die Kontakte zwei Tage vor dem ersten Symptom meine, ein Testdatum sei doch willkürlich, werfe ich ein. Sie hält Rücksprache. Eine Stunde später ruft sie wieder an: Ich hätte recht.
Am Freitag telefoniert sie meine Kontakte ab und bittet sie um Vorsicht und einen Test. In die Quarantäne schickt sie niemanden. Das erlaube das Gesetz bisher nur bei Verdachtsfällen mit den weniger aggressiven Varianten, nicht bei Delta.
Mir geht es derweil besser, aber ich schlafe 16 Stunden am Tag. Das Interesse der Welt da draußen an mir lässt nach, nur noch der Lieferservice stellt etwas vor die Tür und vergisst immer das Wichtigste. Wie ein räudiges Tier schnappe ich mir das Futter von der Fußmatte. Ausgerechnet jetzt sehe ich mir den Film „Ekel“ an, in dem Catherine Deneuve ihre Wohnung nicht mehr verlässt und durchdreht. Ich bin ein selbstreferenzieller Zellklumpen, bis ich mich ins Homeoffice rette.
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Das unsichtbare Unheil ist besiegt, die Perspektive eine andere
Heute endet die Quarantäne. Der erste Kaffee draußen schmeckt nach Davongekommen-Sein. Ich ziehe ein Fazit. Erstens: Der Kampf gegen Corona ist einerseits gut organisiert und lässt andererseits erstaunliche Angriffsflächen.
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Zweitens: Das unberechenbare Rabenaas von Virus findet die Schwachstellen, schlägt aber auch dort zu, wo man sich sicher wähnte, um dann wieder gute Gelegenheiten großmütig ungenutzt zu lassen. Sich zu früh freuen kann fatal sein. Drittens: Einen Balkon zu haben ist ein Privileg.
11.000 Impfdurchbrüche gibt es inzwischen in Deutschland. Meine Kontakte sind nicht darunter, der eine ist auf Ibiza, der andere bei seinen Eltern, der dritte in seiner Therapie. Die sichtbare Welt jedenfalls erscheint mir prächtig und zugleich fragil wie nie. Dieses Mal konnte das Unsichtbare zum Glück den Sieg noch nicht davontragen.
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