Berlin. Fünf Wochen vor der Bundestagswahl holt die SPD auf. Aber was sagt das aus? Ein Blick auf frühere Meinungsbilder und Wahlergebnisse.

Die SPD legt in den Umfragen zu. Sie hat die Grünen teils eingeholt, teils überholt. Sie könnte sogar stärkste Partei werden und CDU/CSU das Erstrecht auf die Regierungsbildung streitig machen. Diese Aufwärtsentwicklung messen viele Umfrageinstitute, an Freitag zum Beispiel der ARD-„Deutschlandtrend“ von Infratest Dimap.

Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die Union demnach auf 23 Prozent, die SPD wäre mit 21 Prozent zweitstärkste Kraft. Für die Grünen würden 17 Prozent der Wähler stimmen, für die Liberalen 13 Prozent. Die AfD käme auf elf Prozent und die Linke auf sieben. Lesen Sie auch: Umfragen vor der Bundestagswahl: So eng war es noch nie

Aber was sagt das aus, fünf Wochen vor der Wahl? Unsere Redaktion hat die Ergebnisse der Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 mit dem jeweiligen „Deutschlandtrend“ fünf Wochen vorher verglichen – und festgestellt: Bei den Genossen trafen die Leute von Infratest Dimap oft ins Schwarze.

Erlebt ebenso wie die Union einen Niedergang in den Meinungsumfragen: Armin Laschet, CDU-Chef und Kanzlerkandidat der Union.
Erlebt ebenso wie die Union einen Niedergang in den Meinungsumfragen: Armin Laschet, CDU-Chef und Kanzlerkandidat der Union. © AFP | Jens Schlueter

Umfragen und Wahlergebnisse: Punktlandungen bei der SPD

Am 20. August 2009 lag die SPD im „Deutschlandtrend“ bei 23 Prozent. Fünf Wochen später am 27. September betrug das Wahlergebnis der SPD 23 Prozent.

Vier Jahre später: gleiches Bild. Am 15. August 2013 landete die SPD in der Infratest-Umfrage bei 25 Prozent, bei der Wahl am 22. September errang sie 25,7 Prozent der Stimmen. Das war keine Punktlandung, aber ziemlich treffsicher.

2017 war die Abweichung etwas größer: 22 Prozent waren den Genossen am 25. August prognostiziert worden, 20,5 Prozent wurden es dann für ihren SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz am Wahlabend des 24. September.

Die Union und die Grünen wurden von den Demoskopen überbewertet

Richtig gut lag das Institut auch bei der FDP 2009 und 2013 und bei der Linken 2013 und 2017 (siehe Grafik). Auffallend überbewertet wurden Union und Grüne. So schnitt die Öko-Partei 2009 und 2013 schlechter ab als vorausgesagt.

2009 wurden der Union 36 Prozent prognostiziert. Tatsächlich bekam sie dann 33,8 Prozent – über zwei Prozentpunkte weniger. Vier Jahre später fiel die Abweichung minimal aus: 42 Prozent bei der Umfrage, ein halber Prozentpunkt weniger am Wahlabend. Vor vier Jahren lag die Union am 25. August bei 38 Prozent – fünf Wochen später erhielt sie tatsächlich jedoch nur 32,9 Prozent der Wählerstimmen.

Die Umfragewerte stammen aus dem ARD-„Deutschlandtrend“, fünf Wochen vor der jeweiligen Bundestagswahl.
Die Umfragewerte stammen aus dem ARD-„Deutschlandtrend“, fünf Wochen vor der jeweiligen Bundestagswahl. © funkegrafik nrw | Marc Büttner

Die Grünen kämpfen zum ersten Mal um das Kanzleramt

Die Abweichungen sind bei SPD und Union umso bemerkenswerter, weil es Volksparteien sind, die jedes Mal um das Kanzleramt kämpfen. Parteien wie die Grünen oder die FDP dienten sich zumeist als Mehrheitsbeschaffer an. 2021 ist es das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik so, das die Grünen mit Annalena Baerbock eine Kanzlerkandidatin stellen.

Die Grünen schnitten 2009 bei der Wahl 2,3 Prozentpunkte schlechter ab als fünf Wochen zuvor in der Umfrage, 2013 das gleiche Resümee: Trainingsweltmeister. Zwölf Prozent in der Umfrage, allerdings nur 8,4 Prozent, als es darauf ankam: am Wahlabend.

Mit ihrer Kandidatin, Parteichefin Annalena Baerbock, kämpfen die Grünen zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik um den Einzug in das Kanzleramt.
Mit ihrer Kandidatin, Parteichefin Annalena Baerbock, kämpfen die Grünen zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik um den Einzug in das Kanzleramt. © dpa | Mohssen Assanimoghaddam

SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz meint zu spüren, es gehe aufwärts

Wie jeder Wahlkämpfer tönt SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz, es gehe „aufwärts“. Er sehe das nicht nur an den Umfragen, er spüre es auf der Straße und den Marktplätzen: „Daumen hoch.“

Was ihn jenseits der Rhetorik von seinen Vorgängern 2009 (Frank-Walter Steinmeier), 2013 (Peer Steinbrück) und 2017 (Martin Schulz) unterscheidet, ist die politische Augenhöhe. Steinmeier, Steinbrück und Schulz waren Herausforderer. Sie nahmen es mit einer amtierenden Bundeskanzlerin (Angela Merkel) auf.

2021 tritt Merkel aber nicht an. Niemand hat einen Amtsbonus – weder Unions-Kandidat Armin Laschet noch Baerbock oder Scholz. Aber der Sozialdemokrat sitzt schon dort, wo die anderen gern wären: in der Bundesregierung. Der Finanzminister strebte vor vier Jahren ganz bewusst den Titel „Vizekanzler“ an.

“Das wird eine Kanzlerwahl”

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    Bei einer Direktwahl wäre Scholz den Mitbewerbern aktuell weit enteilt

    Es zahlt sich aus. Bei einer Direktwahl würden sich dem „Deutschlandtrend“ zufolge derzeit 41 Prozent der Deutschen für Scholz entscheiden. Das sind sechs Punkte mehr als Anfang August. 16 Prozent – vier Punkte weniger als zuvor – wollen Unionsmann Laschet von der CDU im Kanzleramt sehen. Baerbock von den Grünen unterstützen rund zwölf Prozent – ein Minus von vier Punkten.

    Kein Zweifel, Scholz ist der Mann der Stunde. Das dämmert auch seinen Konkurrenten. Baerbock und Laschet stimmten jetzt einem dritten „Triell“ auf ProSieben – nach RTL und ARD/ZDF – im Fernsehen zu. Sie suchen die direkte Konfrontation mit Scholz.

    Die meisten Bundesbürger wünschen sich – so sagen es die aktuellen Umfragen – Scholz als Nachfolger von Angela Merkel (CDU).
    Die meisten Bundesbürger wünschen sich – so sagen es die aktuellen Umfragen – Scholz als Nachfolger von Angela Merkel (CDU). © AFP | Ina Fassbender

    Zu Jahresbeginn lag die SPD noch auf Platz drei – weit abgeschlagen

    Um die Jahreswende hatte seine Partei, die SPD, eine ganz andere Sorge: dass sie nicht gebraucht wird. Und dass TV-Sender auf die Idee kommen könnten, das Duellformat allein mit Union und Grünen zu bestreiten. Monatelang landete die SPD in Umfragen abgeschlagen auf Platz drei.

    Der Urnengang am 26. September ist die erste Wahl seit 70 Jahren, bei der kein amtierender Kanzler zur Abstimmung steht. Ein altes Bonmot lautet: Kanzler werden nicht gewählt, sondern abgewählt, wie Gerhard Schröder 2005, Helmut Kohl 1998, Helmut Schmidt 1982 oder Kurt-Georg Kiesinger 1969.

    Eine Konstellation wie die aktuelle gab es bisher noch nie

    1949 hatte Konrad Adenauer in der Stunde null der Bundesrepublik naturgemäß keinen Amtsbonus, wohl aber Ludwig Erhard 1965, der ihn zwei Jahre zuvor beerbt hatte. 1963 und 1966 wechselte die Union mitten in der Legislaturperiode den Regierungschef, von Adenauer zu Erhard, von Erhard zu Kiesinger.

    Auch die Ablösung von Willy Brandt durch Helmut Schmidt wurde 1974 von der SPD mitten in der Wahlperiode vollzogen. Merkel ist die erste Kanzlerin, die bis zum letzten Tag regiert und sich keiner Wiederwahl stellt. Für diese Konstellation fehlen schlicht Erfahrungswerte.

    Schwer kalkulierbar ist auch, was wegen der Corona-Krise zu erwarten ist: ein sprunghafter Anstieg der Briefwähler. Bis zu 50 Prozent könnten Anfang September abgestimmt haben – lange vor der Wahl. Auch das spielt dem Kandidaten in die Karten, der gerade auf dem Weg nach oben ist.

    Noch bis zum Wahltag können sich große Veränderungen ergeben

    Wie belastbar ist der Aufwärtstrend der SPD? „Vorwahlumfragen sind keine Wahlprognosen. Sie bilden die jeweilige Stimmung zum Zeitpunkt der Erhebung ab“, wehrt Infratest-Geschäftsführer Nico A. Siegel ab. Es gebe „keinen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen dem zeitlichen Abstand einer Erhebung vor einer Wahl und der Nähe zum Ergebnis“, sagte er unserer Redaktion.

    Siegel verweist auf die Wahlbeteiligung – eine Unbekannte. Und darauf, dass sich bei manchen Wählerinnen und Wählern früher beobachtbare Einstellungen zu Parteien, Themen und Kandidaten verfestigten, andere sich jedoch erst kurz vor dem Urnengang damit beschäftigten.

    Und so lange seien sie auch beeinflussbar. Wenn der Wahlkampf auf Hochtouren laufe, könnten sich größere Veränderungen ergeben, erzählt er. „Swings und back swings.“ Auch interessant: Warum Potsdam Deutschlands spannendster Wahlkreis ist