Berlin. Die Nachfrage lässt nach, spätestens wenn Corona-Schnelltests kostenpflichtig werden. Experten warnen vor voreiligem Ende des Angebots.

Als das Geschäft mit den Schnelltests im Frühjahr losgeht, gehört Erol Yilmaz zu den Vorreitern. Seit dem 1. August bietet seine Apotheke im nordrhein-westfälischen Witten nur noch an vier Tagen in der Woche für je drei Stunden Corona-Antigentests an. Die Nachfrage lässt nach – ein Trend, den Bund und Länder forcieren. Das Bundesgesundheitsministerium schlägt in einem Papier vor, das Angebot kostenloser Bürgertests Mitte Oktober zu beenden, spätestens zum 18., womöglich auch früher.

Die für Dienstag erwartete Vorentscheidung der Ministerpräsidentenkonferenz verträgt keinen Aufschub. Die Anbieter sollen Zeit zur Umstellung haben. Viele werden aufgeben, zumindest aber das Angebot der neuen Lage anpassen.

Allein die Sachkosten schlagen mit einer Milliarde zu Buche

Im Frühjahr war der Boom Teil der Öffnungsstrategie. Kostenlose Bürgertests leisteten einen wichtigen Beitrag, „um die dritte Welle zu brechen“, würdigt das Gesundheitsministerium. An jeder Ecke entstanden Testzentren, in Containern, Kirmeswagen, Hinterhöfen, Clubs, Sonnen- und Fitnessstudios oder Sporthallen, in den besten Zeiten bundesweit schätzungsweise rund 15.000. Ein einträgliches Geschäft war es anfangs auch.

Sechs Euro bezahlte der Staat für die Sachkosten, zwölf Euro für den Aufwand. „Sie haben uns geholfen und waren lukrativ“, fasst Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery zusammen. Allein die Sachkosten für Schnelltests beziffert das Bundesamt für soziale Sicherung (Stand 15. Juli) mit über einer Milliarde Euro. Insgesamt schlug das Testmanagement mit über vier Milliarden Euro zu Buche. Da sind alle Testformen berücksichtigt, auch die aufwendigen PCR-Tests mit hohen Laborkosten.

Da Geimpfte von Testpflichten befreit sind – sie brauchen im Restaurant nur ihr Impfzertifikat zu zeigen –, war das Geschäft mit den Schnelltests perspektivisch rückläufig. Inzwischen liegt die Impfquote bei über 50 Prozent. Gut 40 Millionen Bürger haben keinen Grund mehr, sich ohne Symptome testen zu lassen.

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    Hinzu kommt, dass der Bund die Kostenerstattung inzwischen reduziert hat. Es werden nur noch 11,50 Euro gezahlt, davon 3,50 Euro für Testkits. Der Kostendruck steigt, denn Nachfrage und Gewinnmargen sinken. „In Testzentren lassen sich kaum noch Leute blicken. Die Zentren werden verkleinert oder geschlossen werden“, heißt es etwa beim Arbeiter-Samariter-Bund in Hannover.

    Habeck hält Kostenpflicht für „falsche Maßnahme“

    „Es ist nicht die Aufgabe der Politik, Testcenter als Geschäftsmodell zu erhalten“, meint Weltärzte-Präsident Montgomery. „Eine Überlebensgarantie kann es nicht geben“, sagte er unserer Redaktion. So sehen es parteiübergreifend auch die Ministerpräsidenten. Unter den großen politischen Kräften wirbt nur die FDP dafür, kostenlose Tests bis 2022 aufrechtzuerhalten. Die Liberalen halten es weiter für „gut angelegtes Geld“.

    Die Kostenpflicht ist Teil einer Druckkulisse gegenüber Ungeimpften, was Grünen-Chef Robert Habeck für die „falsche Maßnahme“ hält, die falsche Motivationshilfe. „Meinen die Politiker wirklich, dass sie überzeugte Impfgegner mit der Kostenpflicht für Tests dazu bringen werden, sich impfen zu lassen?“, fragt sich auch Andreas Bobrowski, Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Laborärzte. Etwas anderes werde passieren: „Sie werden sich das Testen sparen.“ Sein Fazit: „Das ist eine populistische Idee.“

    Sei es drum. CDU-Chef Armin Laschet will die Testpflichten dem Vernehmen nach ausweiten – und damit den Kostenfaktor für Ungeimpfte. Montgomery hält es „für sozial zumutbar, dass Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, die Tests selber bezahlen“. Er fragt: „Warum sollte die Allgemeinheit für die Tests von Leuten blechen, die sich nicht impfen lassen wollen?“

    VdK-Präsidentin fordert weiter kostenlose Tests in Pflegeheimen

    Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), selbst Laborarzt, hält Antigen-Schnelltests nicht für zuverlässig genug. Ungeimpfte sollten nur mit negativem PCR-Test Geimpften und Genesenen gleichgestellt werden. Ein PCR-Test aber kostet ein Vielfaches mehr als ein Schnelltest. Denkt man Tschentschers Initiative zu Ende durch, werden Impfmuffel entweder auf viel verzichten – oder viel zahlen müssen. Lesen Sie hier: Aus für kostenlose Tests trifft Hartz-IV-Empfänger

    Laborarzt Bobrowski teilt die Zweifel über Schnelltests. Trotzdem gibt er zu bedenken: „Eine Teststrategie sollte immer eine eigene Säule im Kampf gegen die Pandemie sein.“ Eine Verbindung mit der Impfstrategie sei nie zielführend.

    Ab Herbst bleiben Anbietern von Schnelltests als Kunden Kinder und Jugendliche sowie Menschen mit Symptomen oder bei denen es medizinisch angezeigt ist, sich nicht impfen zu lassen. Ausnahmeregeln für sie sind dem Sozialverband VdK wichtig, „ganz besonders auch für Pflegeheime“, sagte Verbands-Präsidentin Verena Bentele unserer Redaktion. Auch Geimpfte könnten Überträger des Coronavirus sein.

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    „Aus den hohen Corona-Todeszahlen in Pflegeeinrichtungen der Vergangenheit muss daher gelernt werden: Jeder, der eine solche Einrichtung betritt, geimpfte oder genesene Besucher, sowie interne und externe Mitarbeiter müssen weiterhin kostenlos vor Ort getestet werden“, so Bentele. „Es darf keine Experimente in der jetzigen Situation geben.“

    Geschäft? „Apotheker sind zuallererst Heilberufler“

    Für den Personenkreis müsse „gesichert sein, dass auch weiterhin kostenlose Schnelltests flächendeckend zur Verfügung stehen“, pflichtet Thomas Benkert bei, Präsident der Bundesapothekerkammer. Er lässt offen, wie viele Apotheken bei absehbar geringerem Umsatz das Testangebot aufrechterhalten werden.

    Wie es sich für sie auswirken wird, wenn Bürger Schnelltests selbst bezahlen müssen, „kann man nicht vorhersagen“, dürfe aber kein Entscheidungskriterium sein, sagte er unserer Redaktion. „Apotheker sind zuallererst Heilberufler.“