Israel/Gaza. Bei einem Angriff im Mai wurde ihr Haus komplett zerstört. Lesen Sie hier, wie eine achtköpfige Familie im Gaza-Streifen seitdem lebt.

Es war am 19. Mai um halb drei Uhr morgens, als Sausans Familie durch einen Anruf aus dem Schlaf gerissen wurde. Es war ein Anruf von Unbekannt, und die Stimme sagte: „Verlasst euer Haus. Ihr habt 50 Minuten Zeit.“

Sausan war hochschwanger. In Panik packten sie und ihr Mann Nader, was sie packen konnten, allen voran die sechs Kinder, und rannten davon. Die fünfjährige Razan trug die Katze, die ihr kurz zuvor zugelaufen war. Auch die Katze war hochschwanger.

Sie liefern zum Krankenhaus, weil sie nicht wussten, wohin sonst. „Wir hofften, danach wieder nach Hause zurückkehren zu können“, sagt Sausan. Es war nicht das erste Mal, das ihr Haus in der Stadt Beit Hanun, fünf Kilometer von der israelischen Grenze entfernt, bei einem Bombenangriff beschädigt wurde. Es ist das Haus, in dem Nader vor 41 Jahren geboren wurde, das Haus, in dem er aufwuchs und das Haus, in dem seine Kinder zu Welt kommen.

Das letzte Mal, im Gazakrieg 2014, war das Gebäude noch zu retten gewesen, die Schäden waren reparabel. Diesmal, so bestätigte ein Zivilingenieur, sei „leider nichts mehr zu machen“. Als Nader nach dem Bombardement zum Haus kam, „war ich völlig schockiert“: Die ganze Frontseite des Hauses, die Kinderzimmer, sogar das Fundament waren zerstört.

Lesen Sie hier: So leidet eine israelische Familie im Gaza-Grenzgebiet

Gaza: Familie wohnt nun zu acht in einer Zwei-Zimmer-Wohnung

Was von dem Haus noch übrig ist, muss abgerissen, ein völlig neues Gebäude an seiner Stelle errichtet werden. „Woher wir das Geld nehmen sollen, wissen wir nicht“, sagt Nader. Bis jetzt sei nur ein Team des UN-Hilfswerks UNWRA aufgetaucht, um den Schaden zu ermitteln. Diese Bestandsaufnahme dient dazu, um zu berechnen, wie hilfsbedürftig Sausan, Nader und die sechs Kinder sind.

Bis diese Summe feststeht, vergeht Zeit. Bis das Geld eintrifft, noch mehr. Wie lange es dauert, bis die für den Wiederaufbau nötigen Baustoffe in Gaza verfügbar sind, weiß niemand. Die israelische Blockade sorgt dafür, dass nur beschränkte Kontingente ins Land kommen, und wenn sie im Land sind, verschwinden sie manchmal auf dunklen Wegen. „Alle Medien berichten über den Wiederaufbau in Gaza“, sagt Nader, „aber wir spüren davon noch nichts.“

Seit fast zwei Monaten lebt die Familie nun in einer Zwei-Zimmer-Mietwohnung, nur wenige Schritte entfernt von der Ruine, die zuvor ihr Zuhause war. Die Katze hat vier Junge zur Welt gebracht. Für die Kinder seien die Tiere der einzige Lichtblick. „Sich um die Kätzchen zu kümmern, gibt ihnen Kraft“, sagt Nader.

Sausan und die sechs Kinder. Ihr Haus wurde bei den Angriffen zerstört.
Sausan und die sechs Kinder. Ihr Haus wurde bei den Angriffen zerstört. © Maria Sterkl

Bombardement galt einem mutmaßlichen Hamas-Mitglied

Das Bombardement, das der Familie ihr Heim kostete, galt laut israelischen Angaben einem mutmaßlichen Hamas-Mitglied im selben Viertel. „Wir wissen nicht, wer das ist“, sagt Nader. „Wir wissen nur, dass alle Häuser im Viertel zerstört wurden und alle Bewohner überlebt haben.“

Die tagelangen Bombardements haben nicht nur Spuren an den Häusern hinterlassen, sondern auch in der Seele. „Jedes Mal, wenn ein Auto schnell vorbeifährt, zucken wir alle zusammen, weil es klingt wie eine Rakete“, sagt Sausan. Die Kinder schrecken aus Albträumen hoch, wachen weinend oder schreiend auf. „Sie wissen, dass es jederzeit wieder losgehen kann.“

Gaza: Weder Luftschutzräume noch therapeutische Hilfe

Anders als im wenige Kilometer entfernten Israel gibt es hier weder Luftschutzräume noch psychologische Hilfe. „Sausan und ich spielen Therapeuten für die Kinder“, sagt Nader. Seine eigene Angst versuche er soweit in Schach zu halten, dass die Kinder sie ihm nicht anmerken.

Lesen Sie auch: Israel: "Haaretz" zeigt Fotos von toten Kindern aus Gaza

Nader ist Profi-Marathonläufer und trainiert andere palästinensische Profi-Athleten für internationale Turniere. Damit gehört er zu der kleinen Minderheit in Gaza, die schon mehrere Länder bereist hat. Nach der letzten Eskalation fuhr er nach Tunesien, führte das palästinensische Team der Leichtathleten an. „So stolz ich auch war: In Gedanken war ich ständig bei der Familie. Ich hatte große Angst, dass ihnen etwas zustößt.“

Trotz Waffenstillstands ist die Lage weiter angespannt. Vergangene Woche bombardierte Israel wieder mehrere Ziele in Gaza. „Die Kinder fragten: Was ist los, wir dachten, der Krieg sei vorbei?“, erzählt Nader. Da ihm nichts Besseres einfiel, sagte er: „Mit der Gewalt ist es wie mit Essen und Trinken: Es gehört zum Leben dazu.“

Mehr zum Thema: Nahost-Konflikt und Demos: So reagiert die Politik