Berlin. Ein Krisengipfel spricht sich für schärfere Kontrollen der Corona-Testzentren aus. Kritik an Gesundheitsminister Spahn reißt nicht ab.
Nach Nordrhein-Westfalen und Bayern laufen auch in Schleswig-Holstein sowie Sachsen-Anhalt Ermittlungen wegen des Verdachts von Abrechnungsbetrug bei Corona-Schnelltests. Die Kritik an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reißt nicht ab und hat zwei Stoßrichtungen. Lässt Spahn die Tests zu gut bezahlen und obendrein die Kontrollen schleifen?
Weltärzte-Präsident Frank Ulrich Montgomery warf ihm eine „schlampige“ Verordnung zur Regelung der Corona-Testzentren vor. Diese „fordert zu Betrug auf“, sagte er im Podcast "19 – die Chefvisite".
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Corona-Tests: SPD will Zahlungen absenken
Die SPD, Spahns Koalitionspartner, geht mit dem Minister scharf ins Gericht. „Es gab klare Hinweise aus den Koalitionsfraktionen an Herrn Spahn und das Gesundheitsministerium. Diese klaren Warnungen und Hinweise hat der Gesundheitsminister in den Wind geschlagen“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider unserer Redaktion.
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„Die bisherigen Preise waren eine regelrechte Einladung zum Betrug. Weil es kein einheitliches Kontrollregimes gab, konnte sich an einigen Stellen kriminelle Energie voll entfalten“, so Schneider. „Die Preise müssen schnellstens gesenkt werden.“ Spahn trage die Verantwortung für den gewissenhaften Umgang mit dem Geld der Steuerzahler. Er müsse die Selbstbedienung „unverzüglich beenden“.
Spahn kündigte am Montag „stichprobenartig mehr Kontrollen“ an. Er relativierte aber zugleich seine Aussage: „Der Bund kann nicht die Teststellen vor Ort kontrollieren“, sagte er im Deutschlandfunk. Der Vorsitzende der Gesundheitsminister-Konferenz, Klaus Holetschek (CSU) aus Bayern, forderte den Bund nach einem Krisengipfel der Ressortchefs auf, nachzuschärfen, „wo das möglich ist“.
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18 Euro pro Corona-Test für Betreiber
Eine Möglichkeit: „Bei Verdacht auf betrügerisches Vorgehen dürfen die Vergütungen erst nach Prüfung ausgezahlt werden.“ Ein weiterer Ansatz ist der Abgleich von gelieferten Kits und tatsächlich durchgeführten, gemeldeten Tests. Die Betreiber erhalten 18 Euro pro Test: sechs Euro für das Material, zwölf Euro (bei Medizinern: 15 Euro) für die Personalkosten. Wenn jemand mehr Tests abrechnet, als er Kits eingekauft hat, wäre er überführt. Die Minister überlegen, Zoll und Finanzämter bei den Kontrollen einzubinden.
Die Methode hat ihre Grenzen: Wenn jemand Kits einkauft und sie inklusive Personalkosten abrechnet, aber sie nicht anwendet, kann er an den Personalkosten verdienen, obwohl er die Leistung nur auf dem Papier erbringt.
Für Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, ist das Ergebnis der Gesundheitsministerkonferenz aus einem ganz anderen Grund „enttäuschend“. Weder ein Finanzamt noch die Kassenärztlichen Vereinigungen können in späteren Abrechnungen überprüfen, ob die Qualität eines medizinischen Schnelltests stimmt. „Doch die Güte der Testung ist viel entscheidender als die Frage, ob Betrug im Spiel ist.“
Corona-Testzentren: Wer ist für die Abrechnung zuständig?
Die Gesundheitsämter kontrollieren die Testzentren. Sie machen unangemeldete Besuche und gehen Beschwerden nach. Im Vordergrund steht die Qualitätskontrolle. Für die Abrechnung sind sie nicht zuständig. Das machen die Kassenärztlichen Vereinigungen.
Mit ihnen rechnen die Betreiber der Teststationen die Zahl der Tests ab, also die Sach- und Personalkosten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen prüfen, ob die Zahlen plausibel sind. Wenn sie Verdacht schöpfen, können sie sich die Listen oder sonstigen Unterlagen zu den Schnelltests geben lassen: Name, Anschrift, Geburtsdatum der Kunden. Diese Angaben sind für mindestens ein Jahr aufzubewahren.
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach glaubt, dass die Arbeit der Teststationen „nur stichprobenweise überprüfbar“ sei. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) ist überzeugt, dass Abrechnungsbetrug spätestens bei Prüfungen durch die Finanzämter auffliegen wird: „Das wird nicht durchgehen.“
Die Gesundheitsminister sind hin- und hergerissen. Es sei gelungen, schnell eine funktionierende Testinfrastruktur mit vielen seriösen Anbietern aufzubauen. Das wollen sie nicht gefährden, auch nicht durch eine „überbordende Bürokratie“ (Holetschek). Die Qualität und Zuverlässigkeit der Teststellen habe ihren entscheidenden Beitrag geleistet zu der gegenwärtig immer besser werdenden Lage in der Pandemie.
Lauterbach verteidigt Testinfrastruktur
Ähnlich argumentierte Lauterbach. „Wir haben sehr schnell eine gute Infrastruktur flächendeckend aufgebaut“, erinnert er. Es solle nicht der Fehler gemacht werden zu glauben, „das Ganze hätte sich nicht gelohnt und Betrügereien hätten im Vordergrund gestanden.“ Die Diskussion ist eine politsche Abwägung: Auf der einen Seite das bessere Testregime, auf der anderen die bislang wenigen Verdachtsfälle.
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