Berlin. Nach der kontroversen Forderung von Co-Parteichef Robert Habeck, Waffen in die Ukraine zu liefern, geraten die Grünen in Erklärungsnot.
Es ist ein Tabubruch für die Grünen, jetzt wird eine Krise mitten im Vorwahlkampf daraus: Parteichef Robert Habeck sorgt mit der Forderung nach Waffenlieferungen an die Ukraine für Aufregung. Die Co-Vorsitzende und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock versucht, die Diskussion mit Erklärungen zu stoppen, die offensichtlich nicht korrekt sind – das macht die Sache noch brisanter. Und Habeck legt nach.
CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte unserer Redaktion: "Die Grünen torpedieren den wichtigsten Grundsatz der deutschen Außenpolitik – die Verlässlichkeit." Den Stein ins Rollen gebracht hatte Habeck bei einem viertägigen Ukraine-Besuch, der ihn auch ins Konfliktgebiet im Donbass führte. Zweimal meldete er sich während der Reise im Deutschlandfunk zu Wort und forderte klar Waffenlieferungen: „Waffen zur Verteidigung, zur Selbstverteidigung, kann man meiner Ansicht nach, Defensivwaffen, der Ukraine schwer verwehren“, sagte Habeck zunächst. Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Grüne rudern zurück: Keine Politik mit Mut zur klaren Kante
Habeck bekräftigte auch nach Kritik seine Position
Nach ersten kritischen Reaktionen in Berlin interviewte ihn der Deutschlandfunk erneut, Habeck bekräftigte seine Position: "Ich habe ja bewusst von Defensivwaffen gesprochen", sagte Habeck nun. Er nannte einerseits Nachtsichtgeräte oder medizinische Transportflugzeuge, die keine Waffen sind – und fügte dann die Forderung nach "gepanzerten Fahrzeugen" hinzu, „zum Verletztentransport von der Front“, und brachte die Lieferung von Drohnen-Abfangwaffen ins Gespräch. Lesen Sie auch: Bundestagwahl: Die Spitzenkandidaten der kleinen Parteien
"Auf gepanzerten Fahrzeugen kann natürlich ein Maschinengewehr aufgebaut werden. Deswegen ist es eine Waffe", räumte Habeck ein. Die Forderung steht im Widerspruch zum Parteiprogramm, das Exporte von Waffen und Rüstungsgütern in Kriegsgebiete strikt ablehnt. Mehr noch: Habeck überholte auch die Bundesregierung, die umgehend klarstellte, dass im Rahmen einer "restriktiven und verantwortungsvollen Rüstungsexportpolitik" keine Waffen an die Ukraine geliefert würden.
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Waffenlieferung in die Ukraine? Baerbock widerspricht Habeck nicht
Doch Kanzlerkandidatin Baerbock widersprach dem Co-Vorsitzenden nicht. Stattdessen versuchte sie, die Debatte mit einem offensichtlich falschen Dementi zu beenden. Mit Verweis auf das zweite Interview behauptete Baerbock in der ARD-Sendung "Maischberger": "Robert Habeck hat ja heute morgen klargestellt, dass es nicht um Defensivwaffen geht" – obwohl Habeck genau diesen Begriff in beiden Interviews verwendete. "Waffenlieferungen" habe er "so nicht gesagt".
Zugleich versicherte die Spitzengrüne, sowohl sie als auch Habeck stünden hinter dem Parteiprogramm – dabei heißt es im Entwurf des Bundestagswahlprogramms ausdrücklich, die Grünen wollten mit einer "restriktiven Ausfuhrkontrolle europäische Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete beenden". Baerbock lenkte die Diskussion dann auf die Forderung, eine bislang unbewaffnete Beobachtermission der OSZE in der Ukraine auszurüsten "mit Unterstützung bei der Luftabwehr" und bei der Minenräumung.
Habeck: "Die Ukraine fühlt sich sicherheitspolitisch alleingelassen"
Baerbocks Versuch, eine brisante Debatte durch Leugnen einfach wegzureden, durchkreuzte Habeck allerdings selbst am Donnerstag nach der Rückkehr in Berlin. Er erklärte, wiederum im Deutschlandfunk, er habe eine Debatte anstoßen wollen, die für die Grünen "anstrengend und fordernd" sei. Wieder sprach der Parteichef von Defensivwaffen für die Ukraine – worunter er alles versteht, "was zur Abwehr getan werden kann".
Die Unterscheidung zwischen Defensiv- und Offensivwaffen ist problematisch, in der deutschen Rüstungskontrolle spielt sie keine Rolle. Habeck ist das bewusst: "Natürlich kann man in gepanzerten Fahrzeugen auch Angriffe fahren", sagte er, "natürlich kann man mit Drohnen-Abfanggeräten auch nach vorne schießen." Doch er warnt, ohne dass Baerbock widersprach: "Die Ukraine fühlt sich sicherheitspolitisch alleingelassen, und sie ist alleingelassen." Habeck beschreibt mit dem Plädoyer für Waffenhilfe, "zur Selbsthilfe, zur Verteidigung", einen drastischen Kurswechsel.
Ablehnung von Rüstungsexporten gehört eigentlich zum Standardrepertoire der Grünen
Die Ablehnung von Rüstungsexporten in Krisengebiete gehörte bislang zum Standardrepertoire der Partei und ist auch Leitlinie für regelmäßige Empörung über die Regierung. "Waffenexporte in die Ukraine würden den grünen Grundsätzen widersprechen", stellte der Grünen-Außenexperte Jürgen Trittin klar.
Bei der politischen Konkurrenz ist die Verwunderung groß. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sprach von "irritierenden Signalen" der Grünen. Er sagte unserer Redaktion: "Was wir bei den Grünen erleben, ist Selbstfindung auf der internationalen Bühne." Baerbock versuche, "mit fadenscheinigen Argumenten die außenpolitische Geisterfahrt von Robert Habeck zu rechtfertigen". CSU-General Blume sagte: "Es ist einfach peinlich, wie die Grünen nun versuchen, Robert Habecks eindeutige Aussagen für Waffenlieferungen in die Ukraine umzudeuten." Er sprach von einer launenhaften "Hü-und-hott-Außenpolitik". "Waffenlieferung an Israel nein, an die Ukraine ja – das passt vorne und hinten nicht."