Brüssel. Nach der erzwungenen Landung einer Ryanair-Maschine in Belarus muss die EU handeln und härter gegen den Machthaber Lukaschenko vorgehen.

Auch unter Staaten muss nicht jede Provokation sofort beantwortet werden, oft ist ruhiges Handeln nach kühler Analyse die bessere Lösung. Im Fall der martialisch erzwungenen Landung eines irischen Passagierflugzeugs in Belarus und der Entführung eines in Polen lebenden Regimekritikers aber kommt es für die EU jetzt sehr wohl auf Geschwindigkeit an. Und auf Entschlossenheit.

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Die Welt schaut zu, ob Europa sich wehren kann – und was es sich von autoritären Regimen gefallen lässt. Dass der Diktator Lukaschenko ein europäisches Flugzeug mit EU-Bürgern an Bord auf dem Weg zwischen zwei EU-Hauptstädten kapern lässt, um einen Oppositionellen zu entführen, grenzt in der Tat an staatlichen Terrorismus. Mit dem zynischen Theater eines angeblich drohenden Bombenattentats verhöhnt er auch noch die europäische Öffentlichkeit.

Lukaschenko will Gegnern zeigen, dass sie sich nirgends sicher fühlen können

Sein Motiv ist klar, er hat es von seinem russischen Förderer Putin abgeschaut: Lukaschenko will allen seinen Gegnern zeigen, dass sie sich nirgends sicher fühlen können, auch nicht im Exil. Und er will wohl auch den westlichen Demokratien demonstrieren, dass er sich vor ihnen nicht fürchtet. Es hat sich gut gefügt, dass die EU-Regierungschefs am Montagabend ohnehin zu einem Gipfeltreffen zusammenkamen. Sie konnten damit zügig die Trümmer ihrer bislang zahnlosen, inkonsequenten Belarus-Politik besichtigen. Lesen Sie auch: Belarus oder Weißrussland: Wie heißt das Land richtig?

Als Lukaschenko voriges Jahr die Proteste gegen seine Wahlfälschung brutal niederwalzen ließ, brauchten die EU-Staaten Monate, um sich auf Sanktionen zu einigen. Und noch einmal mehr als einen Monat, bis sie sich trauten, auch Lukaschenko auf die Sanktionsliste zu setzen. Ein Musterbeispiel wirkungsloser Symbolpolitik: Der Präsident und rund 80 seiner Schergen dürfen seitdem nicht mehr in die EU reisen. Und wäre Lukaschenko so dumm, noch Vermögen in einem EU-Staat zu bunkern, wäre es nun vorübergehend gesperrt. Wie wenig ihn das beeindruckt, demonstriert Lukaschenko jetzt auf die übelste Art.

Brüssel-Korrespondent Christian Kerl.
Brüssel-Korrespondent Christian Kerl. © Privat

Aber der Westen ist nicht wehrlos. Er muss allerdings auch handeln: Der Eingriff in die Flugsicherheit ist auf internationaler Ebene zu bestrafen, einschließlich des Entzugs von Landerechten für Belarus. Die EU muss zugleich die Beziehungen zu dem Land einfrieren. Dazu gehört nicht nur die Ausweisung von Diplomaten, sondern auch, dass das Land nicht mehr länger Teil der „östlichen Partnerschaft“ sein kann, mit der Europa ausgewählten Nachbarstaaten Unterstützung mit Geld und Kooperation gewährt.

Andere Autokraten könnten sich ein Beispiel an Lukaschenko nehmen

Auch in der so gnadenlos verfolgten belarussischen Opposition gibt es ja längst die Forderung nach konsequenter Isolierung des Landes – und der ersatzweisen Hilfe für Exilstrukturen im Westen. Zu fragen ist freilich auch, ob Lukaschenkos Patron Putin in das Manöver eingeweiht oder gar involviert war; wäre dem so, müsste die EU auch darauf reagieren.

Ohne entschlossene Antwort besteht die Gefahr, dass andere Autokraten sich ein Beispiel an Lukaschenko nehmen und ihrerseits die Sicherheit von EU-Bürgern bedrohen, bald nicht mehr nur im Flugverkehr. Es geht um das Ansehen Europas, das nicht mit Verteidigung zögern darf, wenn rote Linien überschritten sind. Mehr noch aber geht es um das Vertrauen der Bürger in Deutschland und der EU, dass ihr Staat und die Union zusammen sie vor derartigen Angriffen am Himmel schützen.

Nichts wäre gefährlicher als das verbreitete Gefühl, die staatliche Gewalt in Europa schaue hilflos zu, wenn feindliche Mächte ihre Bürger entführen. Die Zeit bequemer Brüsseler Symbolpolitik, bei der nur ab und zu ein paar neue Namen auf folgenlose Sanktionslisten gesetzt werden, ist vorbei. Es steht zu viel auf dem Spiel.