Berlin/Hamburg. Nach den Protesten am Wochenende fordern Politiker harte Strafen für antisemitische Attacken. Vizekanzler Scholz verurteilt Judenhass.
Erst zünden einige Böller, dann fliegen Flaschen in Richtung Polizisten. Es ist das Ende einer propalästinensischen Demonstration in Berlin. Mehrere Hundert von ihnen belassen es nicht bei Parolen: Vor allem junge Männer, viele noch Teenager, attackieren die Polizei. 100 Beamte wurden verletzt – etwa so viele wie bei den 1. Mai-Krawallen.
Die Stimmung unter Palästinensern in Deutschland ist angeheizt, sie protestieren gegen die Luftschläge der israelischen Armee im Gazastreifen in Berlin, Hamburg, Frankfurt und Köln. Einige Vorfälle auf den Anti-Israel-Demonstrationen zeigen, dass einige Anhänger der Palästinenser nicht vor Antisemitismus zurückschrecken.
Wie stark ist der Judenhass bei den Nahost-Demos?
Es sind Tausende, die in Deutschland für ein „freies Palästina“ demonstrieren. Viele tragen Flaggen Palästinas, sie rufen immer wieder „Free, free Palestine“. Unter ihnen auch zahlreiche Frauen und auch einige Kinder. Es sind junge Männer, die Protestmärsche dominieren und anführen. Viele Sprechchöre sind auf Arabisch.
Anders als in Berlin bleibt es in Städten wie Hamburg und Frankfurt laut Polizei friedlich. Und es bleibt nicht bei Parolen gegen die israelische Politik. Viele Fälle sind dokumentiert, in denen Israel als „Kindermörder“ beschimpft wird. Andere Plakate stellen den Holocaust mit der heutigen israelischen Politik gleich, andere werfen Israel „Völkermord“ vor. Hintergrund: Wer steckt hinter dem Hass gegen Juden in Deutschland?
Das Zentrum Demokratischer Widerspruch „democ“ hat arabische Parolen übersetzt, Demonstranten skandierten demnach: „Beschießt Tel Aviv!“ und „Oh, ihr Juden! Die Armee Mohammeds wird zurückkehren!“ Auch Aufrufe zu einer neuen Intifada und gewaltsamem Protest sind zu hören.
Droht eine neue antisemitische Welle in Deutschland?
Es sind deutliche Worte, die der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland findet: „Seit Tagen verbreiten Mobs in vielen deutschen Städten blanken Judenhass. Sie skandieren übelste Parolen gegen Juden, die an die dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte erinnern“, sagte Josef Schuster.
Die Sicherheitsbehörden teilen diese Sorge: Verschärft sich die Lage in Nahost, dann radikalisieren sich auch hierzulande die Islamisten. Mit Sorge sehen Verfassungsschützer schon jetzt, dass zu den Protesten ein Vielfaches der angemeldeten Teilnehmer kommt.
Ein zweiter Aspekt alarmiert sowohl jüdische Gemeinden als auch Polizei und Geheimdienst: die wachsende Radikalität in den sozialen Netzwerken. Massenhaft äußern sich Nutzer auf Facebook und Twitter judenfeindlich, verbreiten islamistische Propaganda. Wie auch in der Corona-Krise oder der Debatte über eine Asylpolitik heizen nun auch im Nahost-Konflikt Radikale gezielt die Stimmung an.
Eine Recherche des Bayerischen Rundfunks zeigt, dass eine proiranische Gruppe schon seit Wochen gegen Israel wettert. Eskaliert die Situation in Nahost, zeigen sich zudem antiisraelische Allianzen vor allem im Netz: So verbreiten Neonazi-Gruppen Propaganda gegen den „Terrorstaat Israel“. Auch interessant: Nahost-Konflikt: Irans Brigaden unterstützen Palästinenser
Nützen härtere Strafen?
Nach den antisemitischen Vorfällen rufen nun viele Politiker zu einem härteren Vorgehen gegen Judenhass auf. Mit Blick auf Anschläge gegen jüdische Einrichtungen und antisemitische Parolen forderte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz eine klare Haltung und deutliche Konsequenzen: „Für so etwas gibt es kein Pardon. Die Täter müssen die volle Härte des Gesetzes spüren“, sagte Scholz unserer Redaktion.
Der Nahost-Konflikt sei vielschichtig, räumte der SPD-Politiker ein, „doch für das, was sich in den vergangenen Tagen dort vollzieht, trägt die Hamas die Verantwortung“, erklärte Scholz. Die Unterstützer der Hamas müssten sich jetzt dafür einsetzen, den Raketenterror zu beenden. Lesen Sie hier: Nahost: Setzt die Hamas menschliche Schutzschilde ein?
Der Chef der Christdemokraten im Europaparlament, Manfred Weber, sprach sich dafür aus, Hetze gegen Religionen in der EU unter Strafe zu stellen. Die Glaubensfreiheit sei ein Kern des europäischen Modells. „Es wäre eine Überlegung wert, dass die EU-Staaten gemeinsam prüfen, ob Hetze gegen Religionen in geeigneter Form ein Straftatbestand in allen Ländern werden sollte.“
In der Vergangenheit ging der Gesetzgeber bereits härter gegen Antisemitismus vor. So beschloss die Regierung, dass sich ein antisemitisches Motiv für eine Tat auf eine höhere Strafe auswirkt. Auch das Verbrennen von Staatsflaggen steht unter Strafe.
„Wir erleben derzeit eine Mobilisierung propalästinensischer und antiisraelischer Gruppen, die Einsatzkräfte vor Ort vor eine enorme Belastung stellen“, sagt Sebastian Fiedler, Vorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter. Höhere Strafen seien nur sinnvoll, wenn Polizisten Täter auch fassen könnten, so Fiedler. Doch das gelinge „noch zu selten“.
Aus Sicht von Fiedler müssen Nachrichtendienste und polizeilicher Staatsschutz die radikale Szene „genauer ins Visier nehmen“. Das schließe die „Agitationen Erdogans und seiner verlängerten Arme in Deutschland ausdrücklich ein“, sagte Fiedler.
Kommentar zum Thema: Wer Juden bedroht, bedroht uns alle