Berlin. Der FDP-Chef profitiert von der Unzufriedenheit vieler Bürger über die Corona-Politik der Regierung – und von der Schwäche der Union.

Es gibt Parteien, die machen aus der Frage des richtigen Spitzenkandidaten einen Krimi, ein Drama, eine schwere Geburt. Und es gibt die FDP. Sie hat Christian Lindner. Unangefochten, seit acht Jahren auf Platz eins.

Und auch diesmal wieder: Die Liberalen bestätigten bei ihrem digitalen Bundesparteitag am Freitag den Parteichef mit 93 Prozent für weitere zwei Jahre im Amt. Es ist sein bislang bestes Ergebnis: Lindner führt seine Partei mit maximalem Rückenwind in den Bundestagswahlkampf.

Lesen Sie hier den Kommentar: FDP-Chef Lindner auf dem Sprung: Hat er Kanzler-Potenzial?

Mehr noch: Während die FDP vor wenigen Monaten noch in Richtung Fünfprozenthürde taumelte, liegt sie aktuell bei zwölf Prozent. Warum, wird Lindner jetzt öfter mal gefragt, stelle die FDP eigentlich keinen Kanzlerkandidaten auf? Immerhin sei doch der Unterschied zwischen Liberalen und SPD (15 Prozent) kein Argument mehr.

Lindner teilt gegen Laschet und Baerbock aus

Lindner, der im Moment alles tut, um nicht allzu auftrumpfend oder selbstgerecht zu wirken, winkt ab. Der ganze Tanz um die Kanzlerkandidaten sei doch überholt, sagt Lindner, dessen Rede aus dem Kreuzberger Parteitagsstudio an diesem Mittag digital zu den mehr als 600 Delegierten übertragen wird.

Die Farbkombination des nächsten Regierungsbündnisses, meint er, sei doch am Ende entscheidender als die Persönlichkeit des Spitzenmannes oder der Spitzenfrau. Trotzdem wurmt es ihn natürlich, dass ARD und ZDF kurz vor der Wahl zum Triell einladen – mit Armin Laschet, Annalena Baerbock und Olaf Scholz. Aber ohne Lindner.

Die nötige Betriebstemperatur für den Wahlkampf hat der 42-Jährige jedoch schon erreicht – und teilt auch gleich aus: CDU-Kanzlerkandidat Laschet sei ein derart starker Integrator, dass es nicht klug sei, ihn mit den Grünen allein regieren zu lassen: „Am Ende fusionieren die noch.“

Und Annalena ­Baerbock? Es sei bemerkenswert, wenn eine „Angehörige meiner Generation“ einen Führungsanspruch erkläre. Aber wie halte sie es denn nun mit dem Schutz des privaten Eigentums und der Linkspartei? „Wer ernsthaft Anspruch auf das Kanzleramt hat, muss taktische Wolkigkeit durch Klarheit ersetzen“, befindet Lindner. Olaf Scholz gönnt er gerade mal zwei Sätze: "Eine respektable Persönlichkeit mit Erfahrung. Schade nur, dass es nicht sein Programm ist, dass zur Wahl steht, sondern das Programm von Saskia Esken und Kevin Kühnert."

Koalitionen: Schwarz-Grün oder eine Ampel wären ein Albtraum für die FDP

Lindners größter Horror: dass es am Ende locker für Schwarz-Grün reicht und die FDP weitere vier Jahre in der Opposition sitzt. Aber auch die Vorstellung, dass Baerbock ein Linksbündnis mit SPD und Linken schmieden könnte, wäre für ihn ein Albtraum.

Sein Ziel: Die Liberalen zweistellig und so stark zu machen, „dass liberale Ideen den weiteren Weg prägen werden“. Heißt: Lindner will mitregieren. So gut wie im Moment sah es dafür schon lange nicht mehr aus.

Christian Lindner (FDP) gibt ein Pressestatement.
Christian Lindner (FDP) gibt ein Pressestatement. © dpa

Die neue Stärke der Liberalen hat zwei Ursachen: die Schwäche der Union und die Unzufriedenheit vieler Bürger mit der Corona-Politik der Bundesregierung. Die FDP als „freiheitliche Kampfeinheit“, wie Lindners Vize Wolfgang Kubicki sagt, ist zwar gerade mit ihrem Eilantrag gegen die Bundesnotbremse in Karlsruhe gescheitert, doch ihr Einsatz als „Verteidiger der Freiheit und des Rechtsstaats“ (Kubicki) kommt offenbar bei vielen an.

FDP-Chef Christian Lindner ist doppelter Krisengewinner

Lindner, der den Vorwurf kennt, die FDP habe mit dieser Haltung die „Querdenker“ befeuert, betont: „Zu keiner Zeit haben wir die Gefahr von Corona geleugnet.“ Die FDP sehe aber eben auch die sozialen Risiken. „Wir fühlen mit den Menschen, die um ihre Existenz bangen.“

Der Parteivorsitzende ist aktuell ein doppelter Krisengewinner. Doch der Parteichef weiß, wie schnell sich so was ändern kann – er bleibt vorsichtig. Ein großer Teil der Wähler ist noch unentschieden, viele legen sich erst kurz vor der Wahl fest. „Viel kann, viel wird noch passieren“, sagt Lindner. Er empfiehlt seinen Leuten „Demut und Bescheidenheit“, aber auch Selbstbewusstsein.

Lindner: Mit FDP wird es keine Steuererhöhungen geben

Lindners Kalkül: dass die FDP zurück ins Spiel kommt, weil viele ihr zutrauen, für die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie zu sorgen. „Nie gab es mehr zu tun“ – das ist das Motto des Parteitags und des Wahlprogramms. Konkrete Bedingungen für Koalitionen aber will Lindner erst im Spätsommer nennen – nur eine steht schon fest, es ist der Markenkern: Mit der FDP, verspricht der Parteichef, werde es keine Steuererhöhungen geben.

Gut möglich, dass die Liberalen am Ende eine Art Koalitionsjoker werden. Während es für Lindners Lieblings­option Schwarz-Gelb nach aktuellem Umfragestand eher nicht reichen dürfte, könnte möglicherweise ein grün-rot-gelbes Ampelbündnis eine grüne Kanzlerin Baerbock ins Amt wählen.

Personell sind die Liberalen dafür gewappnet: Generalsekretär Volker Wissing hat bereits in Rheinland-Pfalz eine Ampelkoalition geschmiedet, mit Johannes Vogel aus Nordrhein-Westfalen rückt ein Sozialpolitiker ins Präsidium auf, der ebenfalls keine Berührungsängste mit SPD und Grünen hat. Und Wolfgang Kubicki? Das Herz des Poltergeists aus Kiel schlägt sowieso seit Langem sozialliberal.